Sartres Literaturtheorie: Appeler un chat un chat. Bibliographie

Appeler un chat un chat. Sartre et les lettres.
Über Sartre, Qu’est-ce que la littérature? Paris 1948.
Vortrag anläßlich des jährlichen Treffens der Groupe d’études sartriennes, Sorbonne, Paris

Erschien im Jahrbuch der Sartre-Gesellschaft:
Appeler un chat un chat. Sartre et les lettres, in: Sartre et Knopp, Peter / von Wroblewsky, Vincent (Hrsg.), Carnets Jean Paul Sartre. Reisende ohne Fahrschein, Reihe: Jahrbücher der Sartre-Gesellschaft e.V. – Band 3, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2012, S. 191-198.

Heiner Wittmann > Sartre and Camus in Aesthetics

Bibliographie zum Aufsatz: Appeler un chat un chat. Sartre et les lettres:
Jean-Paul Sartre, Bibliographie im Bild Jean-Paul Sartre, Werkbibliographie
Liens Internet

Baier, L., Sartres Schreibseligkeit, dans : Merkur 415, Klett-Cotta, Stuttgart 1983 (197-201).
— Was wird Literatur?, Wespennest, Wien 1993.

Bauer, G. H., Sartre and the Artist, University of Chicao Press, Chicago 1969.
En français: Sartre et l’artiste, trad. p. S. Astier-Vezon, Jepublie 2008.

Béja, A., Au-delà de l’engagement : la transfiguration du politique par la fiction,
in: tracés. Revue des sciences humaines, octobre 2006, p. 85-96.

Bridet, G., De Sartre à Houellebecq. La remise en cause de l’universalisme de la littérature française, dans : Etudes sartriennes, Dialectique et littérature avec des equisses inédites de la Critique de la Raison dialectique, éd. F. Caeymaex, G. Cormann, B. Denis, Paris, 2005, p. 283-305.

Contat, M., Sartre Jean-Paul, 1905-1980, dans : Dictionnaire des philosophes (éd. D. Huisman), t. II, Presses universitaires de France, Paris 1984 (2298-2309).
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Denis, B., Littérature et engagement : de Pascal à Sartre, Paris: Seuil 2010.
— Les fins de la littérature. Apories et contradictions de l’histoire littéraire sartrienne
http://www.fabula.org/atelier.php?Les_fins_de_la_littérature
— Retards de Sartre, dans : Etudes sartriennes. Dialectique et littérature avec des equisses inédites de la Critique de la Raison dialectique, éd. F. Caeymaex, G. Cormann, B. Denis, Paris, 2005, p. 189-209.

Knee, P., Sartre et la prais littéraire , in: Laval théologique et philosophique, vol. 39, n° 1, 1983, p. 69-92. id.erudit.org/iderudit/400006ar

König, T. (éd.), Sartres Flaubert lesen. Essays zu “Der Idiot der Familie”, Rowohlt, Reinbek/Hambourg, 1980.
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Mayer, H., Anmerkungen zu Sartre, Neske, Pfullingen 1972.
Lecarme, J, La théorie de la littérature selon Sartre et selon Blanchot, dans: Études sartriennes. Dialectique et littérature avec des equisses inédites de la Critique de la Raison dialectique, éd. F. Caeymaex, G. Cormann, B. Denis, Paris, 2005, p. 211-229.

Michelers, D., Röttgers, B, In Freiheit leben – Jean Paul Sartre und seine Zeit.
ISBN : 3-455-30420-6 Inhalt : 1 CD, 55 Minuten, 8-seitiges Booklet Hoffmann und Campe

Rossum, W. van, Sich verschreiben. Jean-Paul Sartre., 1939-1953, Fischer, Francfort/M., 1990.

Winock, M., Sartre s’est-il toujours trompé ?,
dans: www.diplomatie.gouv.fr/fr/IMG/pdf/0203-Winock-FR-5.pdf

Wittmann, H., L’Intellectuel est un suspect, dans : R. E. Zimmermann, (éd), Sartre. Jahrbuch Eins, Westfälisches Dampfboot, Münster 1991 (66-84).
— L’esthétique de Sartre. Artistes et intellectuels, traduit de l’allemand par N. Weitemeier et J. Yacar, Paris: Éditions L’Harmattan (Collection L’ouverture philosophique), 2001.
ISBN: 2-7475-0849-8

Sites Internet

  www.sartre-ges.fr
  www.sartre-gesellschaft.de

  Rezeptionsästhetik – Wikipedia
 
Théories de la réception et de la lecture selon l’école de Constance – Wikipédia

  Open access
  Heidelberger Appell –   Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte

Muss man das Urheberrecht beschränken?

Wir brauchen ein europäisches Urheberrecht, auf das wir uns verlassen können.

Romanistik 2.0. – Das Mitmach-Internet und die Wissenschaft

 

Der Streit zwischen Sartre und Camus

Sartre and Camus. A Historic Confrontation.
Ed. and translated by David A. Sprintzen and Adrian van den Hoven, Humanity Books, an imprint of Prometheus Books, New York 2003. ISBN 1-59102-157-X

In diesem Band wird der Streit, der 1952 zwischen Camus und Sartre durch die in den Temps modernes erschienene Rezension von Camus’ L’homme révolté (1951) durch Francis Jeanson ausgelöst wurde, dokumentiert und untersucht. Die Rezension beantwortete Camus mit einem Brief an Sartre “Monsieur le Directeur…”, der im Folgeheft der Temps modernes veröffentlicht wurde, und den Sartre seinerseits mit einem Brief an Camus “Mon cher Camus…” beantwortete. Jeanson schrieb einen weiteren Artikel “Pour tout vous dire” und Camus verfaßte eine Verteidigung seines Buches L’homme révolté, die erst 1965 veröffentlicht wurde. Diese Texte sind hier übersetzt worden. Sie werden von Aufsätzen der Autoren dieses Bandes begleitet, in denen die Konfrontation zwischen Sartre und Camus, die zum Bruch ihrer Freundschaft führte, dargestellt wird: “From Friendship to Rivals.” W. L. McBride und J. C. Isaac untersuchen dann den Streit aus der heutigen Perspektive.

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Literatur ohne Politik? Geht das gut?

Prof. Dr. Gunther Nickel, der beim Deutschen Literaturfonds in Darmstadt für Gutachten und Projekte zuständig ist (ARD: „Pro Jahr wandern rund 300 Manuskripte deutscher Autoren über seinen Schreibtisch. Außerdem lehrt Nickel als Professor an der Universität Mainz Neuere Deutsche Literaturgeschichte,“) hat im September 2010 in einem ARD-Interview unter der Überschrift > Wie viel Politik sollen Literaten wagen? * zu der Frage, Wie viel Politik sollen Literaten wagen? Stellung genommen. Anlass für dieses Interview war die Befürchtung, die Günter Grass im „Spiegel“ vertreten hatte, „ein Beitrag junger Literaten zur Entwicklung der Demokratie drohe aktuell abzureißen“.

Der erste Satz der Antwort von Gunther Nickel schreckt auf: „Ich weiß nicht, warum sich ausgerechnet Autoren politisch einmischen sollen und nicht auch andere Berufsgruppen – zum Beispiel Metzger, Schuster oder Juristen.“ Und der zweite Satz ebenfalls: „Das mag vielleicht daran liegen, dass Herr Grass meint, die Affinität zum Wort würde Schriftsteller in die Lage versetzen, in politischen Bereichen ein profunderes Urteil zu fällen. Aber das ist ja nicht der Fall.“ Ein Germanistikprofessor spricht Autoren politische Stellungnahmen, politischen Einfluß ab? Folgt man ihm, dürfen Autoren gar keine politischen Ansichten oder Meinungen vertreten? Was ist denn das für ein Literaturbegriff? Gunther Nickel sagt auch noch Erstaunlicheres: „Wenn ich beispielsweise in der aktuellen Debatte über Migration, Bildungspolitik und den Missbrauch des Sozialstaates, die Thilo Sarrazin angestoßen hat, mitreden will, dann nützt mir meine Sprachkompetenz allein gar nichts.“ Folgt man Gunther Nickel, dann würde die Literatur gar keine Funktion, keine gesellschaftliche Relevanz, keine Wirkung und keinen politischen Einfluss haben. Vielleicht ist das Ansichtssache, und der Interviewte hat mit Sicherheit nicht die programmatische Schrift von Jean-Paul Sartre, Was ist Literatur? im Sinn, wenn er auf diese Weise antwortet, und man könnte es dabei bewenden lassen. Aber da Professor Nickel für Gutachten im Deutschen Literaturfonds zuständig ist und im Rahmen dieser Aufgabe Gutachten über literarische Texte verfasst, muß man doch viel genauer hinsehen.

In der gleichen Antwort präzisiert Nickel seinen Standpunkt und bringt ihn auf den Punkt: „Dass Autoren, wie alle Bürger, eine politische Haltung entwickeln sollten, das ist schon ganz recht. Aber das sollten sie als Privatpersonen tun. Das Politische steht mit den besonderen Anforderungen, die an sie als Verfasser von literarischen Texten gestellt werden, in gar keinem Zusammenhang.“ – Das kann man und muß man zugunsten aller Autoren, die sich mit ihren Werken für die Analyse von Geschichte, der Gesellschaft und Politik einsetzen, mit Entschiedenheit zurückweisen. Machiavelli, Montaigne, Pascal, Molière, Rousseau, Voltaire, Condorcet, Goethe, Schlegel, Schiller, Chateaubriand, Balzac, Stendhal, Flaubert, Zola, Sartre, Camus und viele andere hätten keine Zeile geschrieben , wenn sie zu politischen Fragen keine Stellung hätten beziehen dürfen. Politische und gesellschaftliche Visionen werden nicht oder nur selten von Politikern entwickelt. Sie werden vornehmlich von Intellektuellen und Literaten aufgrund ihrer Analysen erdacht. Sie sind es, die mit ihren Werken gesellschaftliche Entwicklungen antizipieren können. Der Versuch, ihnen diese Fähigkeit abzusprechen, offenbart ein sehr merkwürdiges Literaturverständnis.

Und Nickel fügt hinzu: „Wenn sich Autoren als politische Repräsentanten begreifen, dann ist die Frage zu klären, wer sie denn eigentlich dafür gewählt hat. Wir leben schließlich in einer Demokratie, in der wir durch politische Repräsentanten vertreten werden.“ Das ist nicht das Problem der Literaten, sondern ihr Glück. Niemand hat ihnen ein Mandat gegeben (s. Sartre, Plaidoyer pour les intellectuels, in: ders. Situation, VIII. Autour du mai 68 , Paris 1972), 1) und die meisten von ihnen werden sich hüten, ein solches Mandat wahrzunehmen. Als Intellektuelle sind sie in erster Linie unabhängig und frei, nur so können sie schreiben. Sartre und Camus, in diesem Punkt sind sich beide trotz ihrer politischen Auseinandersetzungen einig. Aber Nickel sagt noch mehr: „Dass Schriftsteller wie Grass hier so eine herausragende Rolle spielen wollen, vermag ich überhaupt nicht zu akzeptieren.“ Es geht nicht um die Rolle, die der Autor spielen will, es geht um das, was er schreibt. Ihm einen politischen oder gesellschaftlichen Einfluß absprechen zu wollen, heißt ihn zu vereinnahmen, ihm seine künstlerische Freiheit und seine Unabhängigkeit nehmen zu wollen. Das verbirgt sich hinter dem Angriff auf die Literatur, denn so müssen die Worte Nickel gewertet werden.

Und Nickel fragt: „Was qualifiziert sie (i.e. die Literaten W.) denn dazu, im politischen Bereich mehr sagen und etwas lauter sagen zu dürfen, als jeder andere Bürger?“ Und jetzt kommt eine kleine Einschränkung, die aber Nickel auch nicht rettet: „Das, was Herr Grass als Forderung stellt, ist für mich nur unter einer Voraussetzung plausibel: Nämlich dann, wenn es sich nicht als Forderung an die Schriftsteller als Schriftsteller und nicht mit dem Hintergedanken einer Exponierung der Schriftsteller zu so einer Art politischem Sprachrohr jenseits irgendwelcher Legitimationsinstanzen verstehen lässt.“ Der Autor darf also nicht in den Verdacht kommen, irgendeine politische Richtung zu unterstützen? Die Verabsolutierung der Politik, der Nickel hier das Wort redet, erklärt, warum er den politischen Einfluß von Autoren nicht verstehen will und ihn ablehnt. Die Politik umfasst alle Organisationsformen eines Gemeinwesens, sie bestimmt damit aber nicht die Inhalte. Eine solche Definition wird hier naturgemäß sehr verkürzt vorgetragen; ihr Inhalt wird aber dennoch verständlich. Mit anderen Worten: Das Nachdenken über und die Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse beeinflusst die Politik aber nicht umgekehrt.

Und Nickel sagt noch mehr: „Und an diesem Modell des Dichters (im vorhergehenden Satz erwähnt Nickel Schiller, W.), des Verkünders von Wahrheit gegenüber der Obrigkeit, orientiert sich Herr Grass noch immer. Das ist aber ein Modell, das meiner Meinung nach schon im 20. Jahrhundert nicht mehr funktioniert hat und im 21. Jahrhundert erst recht nicht. Diese Art von Privilegierung des Künstlers, die im 19. Jahrhundert geradezu kunstreligiöse Züge annahm, die sollte eigentlich wirklich vorbei sein.“ Nein, sie ist nicht vorbei. Jeder Versuch, dies zu behaupten, nimmt den Schriftstellern von heute ihre fundamentale Freiheit, überhaupt schreiben zu können.

Nickel: „Es hindert Autoren nichts daran, sich schlau zu machen, Kenntnisse zu erwerben in einem Bereich, der politisch relevant ist. Aber das ist für sie dieselbe Arbeit wie für jeden anderen Menschen, da nutzt ihnen ihr Status als Autor erst mal gar nichts.“ Das stimmt nicht. Ein Schriftsteller geht mit Sachverhalten, Analysen anders um als z.B. ein Journalist, der für das Tagesgeschäft recherchiert. Von Fall zu Fall dürfte die Recherche so mancher Autoren dem kurzlebigen Tagesgeschäft weit überlegen sein. Das ist nun einmal so. Und jetzt geht es doch ans Eingemachte, wenn Gunther Nickel seine Vision der Literatur wie folgt zusammenfasst: „Und dann könnten sie (i. e. die Autoren., W.) versuchen, das, was sie recherchiert haben, zum Gegenstand eines literarischen Textes zu machen. Aber Maßstab des literarischen Textes wäre dann doch nicht die politische Meinung, die dort vertreten wird, sondern die Art und Weise, in der sie gestaltet ist. Das ist ja das literarische Kriterium und nichts anderes.“ Das ist nicht ganz falsch. Die Form eines Textes ist ein wichtiges literarisches Kriterium, das stimmt. Aber es ist gerade die Form, die die Werke der Autoren allen anderen kurzlebigen Textformen, die im politischen Alltag verfasst werden, so überlegen, viel kompetenter, viel politisch einflussreicher und treffsicherer macht.

Und nach dem Interview wird der Leser auf der Internetseite der ARD, wo das Interview mit Professor Nickel veröffentlicht wird, aufgefordert, seine Meinung zu hinterlassen: “ Warum sollte sich Literaten zu gesellschaftlichen Themen äußern beziehungsweise nicht äußern?“ Nochmal. Literatur ist immer eine Äußerung zu politischen und gesellschaftlichen Fragen, deshalb ist diese Frage falsch gestellt. Es gibt keine literarischen Texte, die politische Enthaltsamkeit üben. Oder sie sind völlig wertfrei und wollen ohne jede Bedeutung daherkommen. Literatur setzt sich aus Wörtern zusammen, und sowie eine Sache benannt ist, bekommt oder empfindet der Leser eine bestimmte Einstellung zu ihr.

Heiner Wittmann

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1. Vgl. dazu auch: D. Hoeges, Beantwortung der Frage: Was ist Gegenaufklärung? (II.) Nationalintellektuelle, Postmoderne und die Preisgabe der Menschen- und Bürgerrechte, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte , Bd. 1/2, Heidelberg 1997 (105-122).

Eine neue Machiavelli-Biographie

Sandro Landi, Machiavel, Ellipses, Paris 2008.

Die Legende Machiavelli übergehe den Autor selbst. Es sei an der Zeit, ihm seine Biographie wiederzugeben, so der Klappentext und so der Auftrag an den Verfasser dieser Studie. In dieser Hinsicht ist die Aufgabe gelöst. Sandro Landi rekonstruiert das Leben Niccolò Machiavellis. Er beschreibt seine Ausbildung, die ersten Publikationen, die Begegnung mit der Politik, die Erfolge und Misserfolge im Kontakt mit den Medici, der Absturz und der mühsame Wiederaufstieg und zeichnet damit zugleich ein beeindruckendes Fresko seiner Zeit.

Der Legende Machiavelli nähert man sich aber nicht auf diese Weise. Die Biographie eines Autors und besonders im Falle Machiavellis ist wie so oft keinesfalls der Schlüssel zum Verständnis seines Werkes. Es bleibt nur die Lektüre aller seiner Werke als einziges Mittel, um, wenn man es wirklich will, die Absichten des Autors zu durchschauen. Die Lektüre der Werke Machiavellis kann man dem Verfasser dieser Studie nicht absprechen, zudem er auch ihre entscheidenden Stellen aufzeigen kann. Aber er hat sie nicht systematisch gelesen, es fehlen die Zusammenhänge zwischen den Werken, er nutzt die wichtigen Stellen meist nur als Illustration der Lebensgeschichte Machiavellis. Der Verfasser skizziert in einem Absatz (S. 125) die Struktur und den Aufbau des Principe; diese Analyse bleibt aber oberflächlich. Eine durchgängige, genaue Lektüre unterlässt er zugunsten der Illustrierung seiner Biographie (S. 125, S. 133-136. S. 156 et passim). Ganz ohne Zweifel ist der Principe ein Buch seiner Zeit, denn sein Ursprung, die darin eingefügten Bezüge können nur mit guten Kenntnissen der Geschichte vollständig erfasst werden. Aber eine Erklärung dieses Buches, die sich auf die Biographie Machiavellis konzentriert und es immer wieder als Versuch, sich den neuen Machthabern zu empfehlen, beschreibt, wird lediglich dessen Lektüre, die auf einen realen Fürsten zielt, favorisieren, und damit das Missverständnis dieses Werkes weiter befördern. Auf diese Weise unterschlägt, wenn auch ungewollt, der Verfasser die für dieses Werk so eminent wichtige Form dieses Traktats, und folglich kann er dem Leser nicht die eigentliche Bedeutung dieses Traktats über die politische Theorie vermitteln, die nämlich das Modell eines Fürsten vorstellt. Eine solche Erkenntnis ist für die Entschlüsselung der Machiavelli-Legende ungleich wichtiger als eine erneute Erzählung seiner Biographie.

Das lange Kapitel über Machiavelli als Historiker (S. 196-206) enthält viele interessante Ansätze, sein Werk zu entschlüsseln. Fast gewinnt man hier den Eindruck, Landi durchbricht hier gerne Aufgaben des bloßen Biographen. Aber der Hinweis auf die Schriften wie die über Castruccio Castracani bleibt auch hier leider nur eine Nebensache. Manche Bemerkungen sind unverständlich. Machivellis Versdichtung Der Goldene Esel nach Apuleus in toskanische Verse soll ihm misslungen sein? Immerhin kann Lani die Bedeutung des Esels als Symbol für die Allgegenwärtigkeit des Schlechten richtig deuten, womit Machiavellis Text aber keinesfalls erschöpfend behandelt worden ist.

Der Verfasser zitiert andere Schriften Machiavellis wie das Theaterstück La Mandragola, aber immer als Illustration seines Lebenswegs und beweist damit einmal mehr, dass die Biographie und das Werkverzeichnis nicht immer harmonieren. Gedichte, Verse, politische Traktakte, Theaterstücke, diplomatische Relationen, Abhandlungen über die Geschichte waren Machiavellis Leben, jedes dieser Genre ist auf das andre bezogen, die Lebensdaten sind nur das Gerüst. Hätte Landi das Werkverzeichnis zur Grundlage seiner Untersuchung gemacht und dann eventuell einige Lebensstationen illustrierend eingefügt, wäre er der Entschlüsselung der Machiavelli-Legende ungleich näher gekommen.

Heiner Wittmann

Thomas R. Flynn, Der Existentialismus und seine Geschichte

Thomas R. Flynn, Existenzialismus. Eine kurze Einführung. Aus dem Amerikanischen von Erik M. Vogt. (Engl. Existentialism. A Very Short Introduction, Oxford University Press, New York 2006), Wien, Berlin: Verlag Turia + Kant, 2007. 191 S., ISBN 978-3-85132-488-4,.

Thomas R. Flynn, Professor für Philosophie an der Emory University, USA, hat eine knappe Einführung in den Existentialismus, für den gemeinhin Sartre und Camus stehen, aus historischer Sicht verfasst. Die enge Verbindung des Existentialismus mit der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht zu übersehen, aber Flynn erinnert daran, dass die Wurzeln des Existentialismus bis in die antike Philosophie reichen.
Flynn weist auf die Bedeutung von Sartres Untersuchung Was ist Literatur? (1947) hin, in der Freiheit und Verantwortung des Schriftstellers als untrennbare Einheit erscheinen, und nennt den Appellcharakter des Kunstwerks als das zentrale Thema der Ästhetik Sartres. Die Auseinandersetzung mit Edmund Husserls (1859-1938) phänomenologischer Methode und seiner Theorie der Intentionalität des Bewußtseins nutzt Sartre bei der Entwicklung seiner Theorie über die Vorstellungskraft, gleichwohl grenzt er sich von Husserl ab. Die Hauptaussagen des Existentialismus Sartrescher Prägung, Verantwortung, Wahl, Situation, Authentizität, Freiheit, Bewußtsein und “mauvaise foi”, werden von Flynn als grundlegende Begriffe in einen Zusammenhang gestellt und dienen hier als Einführung in Sartres philosophisches Hauptwerk.
Nach Flynn wird der Existentialismus nach 1945 im Wesentlichen von Sartre bestimmt. Dabei vernachlässigt er aber doch den erheblichen Einfluß Camus’ auf den Existentialismus. Die Ausführungen zu Camus sind, trotz der Bemerkungen zu Le Mythe de Sisyphe (S. 74 f.) und zum Streit mit Sartre über L’homme révolté (1951), auch im Rahmen dieser Einführung zu knapp geraten.
Trotz aller Verkürzungen, die durch die Konzept dieses Buches als Short Introducation verlangt werden, ist es dem Autor gelungen, eine lesenswerte Einführung vorzulegen.

 

Jüngst erschien eine weitere Einführung mit dem Titel Der Existentialismus von Roland Galle, Universität Duisburg-Essen. Zu Beginn seiner Einleitung spricht Galle von “Anleihen” des Existentialismus bei Hegel, Kierkegaard, Husserl und Heidegger, verzichtet aber auf weitere inhaltliche Ausführungen mit der Begründung, der Existentialismus sei “von einem auffallenden Pathos der Voraussetzungslosigkeit” geprägt. Einer solchen Trennung des Existentialismus von seinem philosophischen Kontext hat Flynn mit Recht widersprochen. Schwerer wiegt die Ausblendung der Ästhetik Sartres und Camus’. Mit der Analyse von Sartres Roman La nausée. Journal (1938) stellt der Autor fest, dass der im Roman geschilderten Auflehnung gegen die Welt “der Begriff der Geschichte und erst recht der des Politischen noch vollkommen fremd” (S. 91) sei. Hier verpasst der Autor die Chance, die von Roquentin am Ende von La nausée deutlich zum Ausdruck gebrachte Bedeutung der Ästhetik für den Existentialismus Sartrescher Prägung in den Blick zu nehmen: “Eine Geschichte zum Beispiel, wie es keine gegeben kann, ein Abenteuer. Sie müßte schön sein und hart wie Stahl und müßte die Leute sich ihrer Existenz schämen lassen,” (Sartre, Der Ekel, in: ders., Gesammelte Werke. Romane und Erzählungen I, Hamburg 1987, S. 91) sagt sich Roquentin auf dem Rückweg nach Paris. Leider erwähnt Galle auch nicht die zahlreichen Studien Sartres über Baudelaire, Flaubert, Leconte de Lisle, Genet, Mallarmé, Tintoretto, Calder, Wols, Masson, Giacometti und Leibowitz, in denen Sartre seine ästhetischen Analysen mit ausgewählten Aspekten der Psychoanalyse unter dem Stichwort la psychoanalyse existentielle verbindet.
Dies gilt auch für Galles Nichtberücksichtigung der Rolle von Kunst und Künstlern im Gesamtwerk Camus’. In langen Passagen in Le mythe de Siyphe und L’homme révolté hat Camus seine Schlussfolgerungen über das Absurde darlegt. Die Kapitel über die Kunst in diesen beiden Büchern sind keine bloßen Anhängsel, sie gehören zu ihrem eigentlichen Konzept und enthalten Camus’ Begründungen hinsichtlich der Zusammenhänge von Kunst und Freiheit.
Diese Aussparungen der ästhetischen Positionen Camus’ und Sartres führen zu einem erheblichen Defizit dieser Studie, die durch ihre perspektivische Enge beeinträchtigt wird.
Roland Galle
Der Existentialismus. Eine Einführung
W. Fink, UTB 3188, Paderborn 2009.

Heiner Wittmann

Poesie und Identität

Khalid Hadji,
La présence poétique
Lecture d’Arman Monjo, Abdelllatif Laâbi et Mahmoud Darwich.
Université Sidi Mohammed Ben Abdellah, Fès, 2006

Die présence poétique ist etwas, das bei einem Autor das verlangen, sowohl im Glück wie im Unglück zu sprechen, bezeichnet. Außerdem bezeichnet sie auch das Bewusstsein, das der Autor von seiner Identität, seiner Sprache und seiner Lebensumgebung hat. “Das Gedicht kann einen Sinn erzeugen, weil seine Wörter, obgleich es dieselben sind, etwas anderes aufdecken kann,” heißt es in der Einleitung zu diesem Band, in dem es darum geht, die Formen und Figuren dieser “présence poétique” zu analysieren, um die Frage zu beantworten, warum auf die Dringlichkeit, die Welt zu bewohnen, ein so großer Wert gelegt wird? Es geht um das Verhältnis von Poesie und Existenz, das die Werke der für diese Studie ausgewählten Dichter bestimmt.

Armand Monjo (1913-1998), ein Freund von Jean Giono und Pablo Picasso. Von ihm stammt eine zweisprachige Anthologie Poésie italienne (Seghers, Paris 1964). Trotz seines Engagements sei er nur wenig bekannt geworden. Abdellatif Laâbi (1942 in Fès geboren) gehört zu den Mitbegründern der Zeitschrift Souffles. Von ihm erschien zuletzt Fragments d’une genèse oubliée (1998). Seine Poesie, die jede Form der Reduktion überschreiten will und die Sprache neu bewerten will, bringt ihn in die Nähe zu Mahmoud Darwich (geboren 1941 in Galiläa). Zuletzt erschien Onze planètes (1992).

Die Fragen nach der Präsenz, das Sein-in-der-Welt und dem Standort berühren die Philosophien, die das Sein befrgaen, vor allem die Ontologie Martin Heideggers, erklärt der Autor dieser Studie, die er in drei Teilen vorlegt: Im ersten Kapitel “Ecriture de la présence” geht es um die Darstellung der Welt, die Dichtung, die Dauer und schließlich um die Entwicklung des poetischen Gedankens. Im zweiten Kapitel untersucht der Autor die Symbolik unter dem Stichwort der Mimesis und im dritten Kapitel steht die Semiotik im Vordergrund seiner Untersuchung.

Im ersten Kapitel wird die “présence poétique” als eine Offenbarung der Welt verstanden. Diese poetische Präsenz ist aber gleichzeitig auch als eie Art geheimnisvolles Einverständnis mit der Wlet zu verstehen. Es geht aber hier auch um das Lebendige selbst, durch das der Sinn entsteht, dne der Autor auch als Wiederaneignung einer verlorenen Substanz bezeichnet. Gegenwart und Abwesenheit kennzeichnet die poetische Entwicklung im zweiten Kapitel, wobei der Zeichenvorrat des Dichters, deesen er sich bedient, auf einen Erkenntnisakt zielt: Der Sinn entsteht durch die Beschreibung der Formen der Existenz. (S. 91). Die “présence poétique” bedeutet eine Projektion des Seins auf die Existenz, die auch das Anderssein des eigenen Ichs einschließen kann.

Diese Studie über drei Dichter, die aus verschiedenen Kulturen stammen, zeigt bei ihnen ganz ähnliche Ansätze, mit der ihrer Dichtung die eigene Identität zu untersuchen und auszudrücken. Mit dem bezug auf theoretische Texte zur Poetik wie u.a. auch von Paul Ricoeur, Yves Bonnefoy, der Autor nennt auch Käte Hamburger verleiht er seiner Studie ein solides theoretisches Gerüst. In diesem Sinne geht es in seiner Studie nicht nur um die Interpretationen ausgewählter Gedichte, sondern auch um eine vergleichenden Analyse dreier Poetiken, wobei der Autor Ähnlichkeiten und Unterschiede aufdeckt.

Heiner Wittmann

Schönherr-Mann, Sartre. Philosophie als Lebensform

Hans-Martin Schönherr-Mann,
Sartre. Philosophie als Lebensform,
C. H. Beck, München 2005. ISBN 3-406-51138-4.

Die Einführung, die Schönherr-Mann in das Werk Sartres anlässlich seines 100. Geburtstags vorgelegt hat, konzentriert sich auf die Entwicklung des Existentialismus und dessen Verhältnis zum Marxismus. In den ersten drei Kapiteln entwickelt der Autor die Grundlagen von Das Sein und das Nichts (1943) und vor allem die Entwicklung seines Freiheitsbegriffs. Er zeigt, wie Sartre mit dem Bezug auf Husserls Phänomenologie und in Abgrenzung zu Descartes eine Definition des Bewusstseins entwickelt, das immer ein Bewußtsein von etwas ist (S. 32), und gleichzeitig von der Existenz zu unterscheiden ist, in dem Sinne, wie das Bewusstsein über diese Existenz hinausweist, also die eigene Situation überschreiten kann. Schönherr-Mann stellt die Entstehung von Das Sein und das Nichts in einen Zusammenhang mit Sartres Kriegserlebnissen, der Besatzungszeit in Paris und erklärt die Bezüge zu den Werken, die seinem philosophischen Hauptwerk vorausgingen, wie La Nausée (1938) und folgten wie seine Theaterstücke und der Romanzyklus Die Wege der Freiheit.

 

Die Freiheit ist gemäß der bekannten Formulierung, der Mensch ist zur Freiheit verurteilt, auch selber ein Zwang; sie ist eine schwierige und riskante Herausforderung, der wir aber nicht entgehen.” (S. 58) Die Freiheit beschreibt die menschliche Realität, die Sartre mit dem Begriff der Situation kennzeichnet, die er mit dem projet des Menschen, mit seinem Entwurf verbindet. .

In den folgenden Kapiteln entwickelt Schönherr-Mann jeweils einen der Grundbegriffe der Sartreschen Philosophie, wie die mauvaise foi, die Verantwortung und das Engagement, die er einzeln untersucht und deren Entwicklung im Werk Sartres er in einen Zusammenhang mit dessen politischen Engagement stellt. Schönherr-Mann entscheidet sich gegen Traugott König, der von der Unaufrichtigkeit sprach, dafür die mauvaise foi mit dem verdrehten Bewusstsein zu übersetzen und begründet dies mit der Verdrehung der Freiheit (S. 79), wodurch er im Gegensatz zum Freudschen Unbewußten die absichtliche Verdrehung von Fakten und das Umdefinieren von Faktizitäten verstehen möchte. Der Autor versucht so, Sartres Absicht, Freuds Theorie vom Unbewussten abzulehnen, wiederzugeben, wobei aber zu bedenken ist, dass so eine Aspekt dieses Begriffs möglicherweise unterschätzt wird: “Das wahre Problem der Unaufrichtigkeit kommt evidentermaßen daher, daß die Unaufrichtigkeit [mauvaise foi] ein Glaube [foi] sei.” (Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 154) und nicht unbedingt eine Lüge sondern ein “Seinsmodus”( ib. S. 156) ist. Diese Unterscheidung ist wichtig, da Sartre auf dieser Grundlage, nämlich eines Bewusstseins, das etwas ist, was es nicht ist und gleichzeitig nicht das ist, was es ist, die permanente Versuchung der Unaufrichtigkeit aufdeckt, und damit das Bewusstsein selbst untersuchen will, “… das nicht Totalität des menschlichen Seins ist, sondern der instantane Kern dieses Seins.” (ib. S. 160)

Das Engagement stellt Schönherr-Mann mit dem Begriff der littérature engagée in den von Sartre gemeinten Zusammenhang mit der Rezeptionsästhetik, die dem Leser am Entstehungsprozeß des Werkes beteiligt. Allerdings kommt in diesem Kapitel der Gedanke, daß ein Schriftsteller sich nicht ausdrücklich mit einem bestimmten Werk engagieren kann, etwas zu kurz, denn er ist immer engagiert, das heißt, er kann der Verantwortung für seine Werke nicht ausweichen. Andererseits weist Schönherr-Mann auch in seinen anderen Kapiteln sehr wohl auf die Bedeutung der Verantwortung gerade in der Verbindung mit dem Sartreschen Konzept der Freiheit ausdrücklich hin. Sartres Behauptung, die Wörter seien sein Abschied von der Literatur gewesen, darf, so wie Bernard-Henri Lévy dies getan hat, und Schönherr-Mann zitiert ihn, nicht überbewertet werden. Die monumentale Flaubert-Studie ist der beste Beweis dafür, daß ihn die Literatur sehr wohl weiter beschäftigt hat.

Seine Flaubert-Studie ist, wie es in ihrem Vorwort steht, die Fortsetzung von Questions de méthode, einem Artikel der zunächst 1957 in einer polnischen Zeitschrift erschien und dann in überarbeiteter Form im gleichen Jahr in Les Temps modernes, in dem Sartre die Zusammenhänge zwischen dem Existentialismus und dem Marxismus untersucht. Die Kritik, die Sartre in diesem Aufsatz, der 1960 wieder zu Beginn der Kritik der dialektischen Vernunft erscheint, am Marxismus äußert, erlaubt es nicht, vorbehaltlos von seinem “marxistisch orientierte[m] Denken” zu sprechen. Seine Kritik am Marxismus in seiner damaligen Praxis ist so deutlich, daß eine Verbindung zwischen Der Idiot der Familie und der Kritik der dialektischen Vernunft allenfalls auf der Ebene einer Kritik an der Dialektik selbst zu erkennen ist. Im übrigen übersieht Schönherr-Mann Sartres deutliche Reserviertheit gegenüber dem Stalinismus oder dem Kommunismus sowjetischer Prägung. Er zitiert den von Sartre und Merleau-Ponty zusammen unterzeichneten Artikels “Les jours de notre vie”, der 1950 in Les Temps modernes erschien, in der es heißt, daß die UdSSR sich im Gleichgewicht der Kräfte auf der Seite derer befinden würden, die gegen die uns bekannten Ausbeutungsformen kämpfen würden. (S. 137) Die Schlußfolgerung auf eine Zurückhaltung Sartres hinsichtlich einer Kritik am sowjetischen Lagersystem kann durch den Zusammenhang nicht gerechtfertigt werden. Sartre fügt an dieser Stelle hinzu: Die Dekadenz des russischen Kommunismus könne die marxistische Kritik nicht ungültig machen, und man müsse keine Nachsicht gegenüber dem Kommunismus zeigen, das heißt aber auch nicht, daß man sich mit seinen Gegnern verbinden könne. (Cf. Sartre, Merlau-Ponty, Les jours de notre vie, in: TM, Nr. 51, 1950, S. 1162 f). Im diesem Artikel heißt es u.a.: “A moins d’être illuminé, on admettra que ces faits remettent entièrement en question la signification du système russe.” (ib. S. 1154) und “… il n’y a pas de socialisme, quand un citoyen sur vingt est au camp.” (ib, S. 1155) und “En regardant vers l’origine du système concentrationnaire, nous mesurons l’illusion des communistes d’aujourd’hui.” (ib. S. 1160) Sartres Wegbegleitung der KPF von 1951-1956 hat ihn zu keiner Zeit dazu veranlaßt, seine Prinzipien und Konzepte hinsichtlich der Freiheit des Menschen aufzugeben.

Sein 1970 in einem Interview geäußertes Erstaunen, (cf. Sartre par Sartre, in: ders., Situations, IX, S. 101 f.) darüber , daß er geschrieben habe, der Mensch sei immer frei, zu entscheiden, ob er ein Verräter oder nicht sein werde, wird von Schönherr-Mann mit der Frage verbunden, ob er mit seinem marxistischen Engagement die Freiheit aufgegeben habe? Eine unmittelbare Antwort gibt er nicht, aber beim Leser bleibt vielleicht ein bestimmter Eindruck von diesem Interview haften. Man muß Sartres ganze Antwort lesen, in der er ganz unmarxistisch wiederholt, daß jeder immer dafür verantwortlich sei, was man aus ihm gemacht habe, denn jeder Mensch könne immer etwas aus dem machen, wozu man ihn gemacht habe. Dies sei die Definition, die er jetzt der Freiheit geben würde.

“Philosophie als Lebensform” heißt der Untertitel des hier besprochenen Buches, in dem Autor im letzten Kapitel sein Ergebnis vorlegt: “… Sartres Existentialismus zeigt den Menschen ihre Freiheit und Selbstverantwortlichkeit sowie den Reflexionszwang, um ihr Leben selber zu gestalten.” (S. 158)

Mit diesem Band ist dem Autor eine interessante Darstellung gelungen, die aufgrund einer geschickten Auswahl verschiedener Konzepte die Entwicklung des Denkens Sartres sowie seine festen Bezugspunkte in einen Zusammenhang mit seiner Zeitgeschichte bringt.

Heiner Wittmann

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Niccolò Machiavelli. Dichter – Poeta

Dirk Hoeges,
Niccolò Machiavelli. Dichter – Poeta. Mit sämtlichen Gedichten, deutsch/italienisch. Con tutte le poesie, tedesco/italiano,
Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. u.a. 2006

Mit Professor Hoeges habe ich am 1. September 2007 in Köln ein
Niccolò Machiavelli Gespräch über sein neues Buch geführt.

“Die erste vollständige Übersetzung der Gedichte Machiavellis und ihre Analyse zeigen: Sein Werk ist nur in der Zusammensetzung von Poesie und Prosa zu verstehen. Es enthält eine Systematik der literarischen Formen, die durch Beschränkung auf den Prinicipe verdeckt bleibt. Kompromittiert wird neuerlich der ideologische Kampfbegriff des Machiavellismus. Machiavelli schärft über zahlreiche poetische Formen sein literarisches Profil: Epigramm, Strambotto, Stanza, Madrigal, Sonnett, Kanzone, Canto, Capitolo, Serenade. Poetisiert werden Schlüsselbegriffe seiner Geschichts- und Machttheorie. Fortuna, die Gelegenheit, der Undank, der Ehrgeiz. Sichtbar wird ein Machiavelli, der von persönlicher und säkularer Angst vor der Verdorbenheit des Menschen geprägt, entschlossen ist, seine Würde zu behaupten. Die poetischen Intermezzi aus den Komödien Clizia und La Mandragola erweitern die Perspektive. Er erscheint facettenreich, tragisch und komisch, wie er sich selbst sah, Erotik, frühe und späte Liebe eingeschlossen. Die Poesie bestätigt: Zeit seines Lebens begriff er sich als Zögling der Freien Künste, von Sprache, Literatur und Musik. Das Buch bildet den dritten Teil der Machiavelli Trilogie des Verfassers. Das Leben Castruccio Castracanis aus Lucca, 1998, Die Macht und der Schein, 2000.” Klappentext.

www.dirk-hoeges.de

www.machiavelli-fuerst.de

 

Zweimal behandelt Machiavelli das Thema eines neues Herrschertyps, der sich in Italien am Beginn der modellhaft zeigt: in “Der Fürst” und in der Novelle “Das Leben des Castruccio Castracani aus Luca. Dirk Hoeges hat die großartige Novelle neu übersetzt und mit einem Essay herausgegeben, der ein neues Machiavelli-Bild entwirft.

Niccolò Machiavelli.
Das Leben des Castruccio Castracanis aus Lucca, übersetzt und herausgegeben von Dirk Hoeges, C.H. Beck, München 1998.
ISBN 3-406-43357-X

 

Die Geschichte Machiavellis ist die Geschichte seiner Entstellung und Ausbeutung. Sie resultiert aus einer reduzierten Deutung des “Principe”, welche die Komplexität des Humanisten verkennt. Dirk Hoeges entwirft ein neues Bild des Autors, das ihn als bedeutenden Schriftsteller der Renaissance würdigt und zugleich seine erstaunliche Modernität zeigt.
Rezensionen
Dirk Hoeges, Niccolò Machiavelli.
Die Macht und der Schein, C.H. Beck, München 2000.
ISBN 3-406-45864-5

 

Rezensionen – Auswahl:

Hans-Martin Lohmann
Der Schein der Macht Maurizio Viroli und Dirk Hoeges korrigieren das Bild
Niccolò Machiavellis
DIE ZEIT    nicht mehr online

Peter Zaun, Rezension
Dirk Hoeges
Niccolò Machiavelli .Die Macht und der Schein
NDR 4, 1.1. 2000

Patrick Horst    ncht mehr online
SWR2 Buch-Tipp am Mittwoch, 22. November 2000, 16.55 bis 17.00 Uhr, SWR2 Dirk Hoeges, » Niccolò Machiavelli. Die Macht und der Schein «

Ronald Aronson, Camus & Sartre, Amitié et combat

Ronald Aronson, Camus & Sartre, Amitié et combat, übers. v. D. B. Roche, D. Letellier, Alvik Editions, Paris 2005. ISBN 2-914833-28-8 

Über den Streit zwischen Camus und Sartre, der der sich an der Ideologiekritik in L’homme révolté (1951) entzündete und nach einem öffentlichen Schlagabtausch in Les Temps modernes zum vollständigen Bruch zwischen beiden führte, ist immer wieder berichtet worden. 1)

Jetzt ist die französische Übersetzung der Untersuchung (2004) erschienen, mit der Ronald Aronson die Beziehungen zwischen Jean-Paul Sartre und Albert Camus zwischen ihrem ersten Zusammentreffen von 1943 und dem Bruch von 1952 eingehend analysiert. Mit einem Abstand von 50 Jahren, so der Autor, liegen jetzt genügend Dokumente vor, die eine Untersuchung dessen erlauben, was sich zwischen beiden zugetragen hat. Ihre Beziehung wurde so eng, daß schließlich auch ihre Werke Antworten auf Fragen formulierten, die sich beide stellten. Es ergaben sich aber dennoch Differenzen, die Aronson im Vorwort ankündigt, und die schließlich zu ihrem Zerwürfnis führten. Es kommt also darauf an, zu ermitteln, zu welchem Zeitpunkt und aufgrund welcher Themen oder Ereignisse ihre Meinungsverschiedenheiten erkennbar wurden. Der Kalte Krieg und seine Auswirkungen, so lautet Aronsons Erklärung, habe lange Zeit einer Aufarbeitung ihrer Geschichte im Wege gestanden, da ihre Interpreten immer wieder versucht waren, sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden. (Cf. S. 11, 15 )

Nach dem Ende des Kalten Krieges kann nun das historische Verdikt, dass Camus’ Ideen als einen Irrtum bezeichnete, umgedreht werden, um nun seine politische tadellose Klarsicht zu hervorzuheben. Mit dieser Auffassung entsteht ein methodisches Problem, das den Ansatz dieser Untersuchung betrifft. Muß Camus’ L’homme révolté unter dem Eindruck der Beurteilung seiner Gegner und damit entsprechend den Spezifika seiner Zeit gelesen werden, um den Streit von 1952 in seiner ganzen Tragweite verstehen zu können? Mit diesen beiden Fragen, die den Beginn ihres Disputs und die Interpretation von L’homme révolté und der daraus erkennbaren Bedeutung für ihren Streit betreffen, soll die vorliegende Untersuchung geprüft werden.

Aronson glaubt nicht daran, daß der Bruch zwischen beiden durch ihre Auffassungen von Anfang an vorherbestimmt gewesen sei, sondern vielmehr der Kalte Krieg habe ihre zunächst guten Beziehungen getrübt und schließlich scheitern lassen. Aronson möchte sich nicht auf die vorhandenen Biographien beider und Zeugnissen andere verlassen, sondern er will sich auf ihre Werke konzentrieren und so die Bezugspunkte finden, die sich auf das Werk des jeweils anderen beziehen.

Camus rezensiert 1938 La nausée (Camus, Essais, Paris 1965, S. 1417-1419) und Sartre rezensiert seinerseits 1942 L’étranger (Sartre, Situations, I, Paris 1947, S. 120-147). Aronson zeigt die Zusammenhänge zwischen diesen Texten der beiden Rezensenten. Wenn auch Sartre bald der Bekanntere von beiden ist, so ist der doch von Camus’ Engagement überrascht. “Sartre et tout à fait étranger au pragmatisme de l’action.” (S. 40) erklärt Aronson und erinnert an die immer mal wieder von einigen Autoren geäußerte Verwunderung über Sartres späte Entdeckung der Politik. In der ersten Jahreshälfte 1944, so Aronson, wird Camus, der Chefredakteur der Zeitung Combat ist, zum Mentor Sartres. Die Politik, die beide 1952 trennen wird, hat auch beide zusammengeführt, so lautet Aronsons These. Wenn auch beiden gewisse Grenzen der Übereinstimmung bewußt waren, so wurde doch Camus zu einem der engsten Freunde Sartres.

Der Text, der Sartres Engagement auslöste oder zumindest mitbestimmte, soll Camus’ Roman La peste (1947) gewesen sein. Aronsons Analyse, wie beide Ihre Ansichten austauschen und gemeinsame Berührungspunkte beibehalten, widerspricht der späteren Darstellung von Simone de Beauvoir, die in den Cérémonies d’adieux behauptete, Camus habe mit dem Existentialismus nichts gemein gehabt. Hier wird beispielhaft der Vorteil von Aronsons Ansatz deutlich, die vorhandenen Werke und Schriften der beiden Autoren genau zu lesen und sich nicht nur auf damalige oder spätere Meinungen und Aussagen zu verlassen. Die zunehmende Politisierung Sartres entwickelt sich parallel zu der Camus’ aber manchmal auch in umgekehrter Richtung. Damit deutet der Autor Sartre Verhältnis zur Kommunistischen Partei an, das die Qualität ihrer Beziehung bald beeinflussen sollte. Ihre Haltungen zur Geschichte lassen weitere Indizien erkennen, die ihre unterschiedlichen Auffassungen andeuten. Die präzise Untersuchung ihrer Texte, die nach der Befreiung entstanden sind, bietet dafür interessante Nachweise. Gerade in bezug auf die Begründung der Freiheit, in deren Rahmen Sartre, so der Autor, seine eher unhistorischen Begriffe der Situation und der absoluten Freiheit zumindest bis zum zweiten Band der Critique de la raison dialectique nicht mit den Realitäten der Menschen in Verbindung bringt, möchte Aronson deutliche Unterschiede zwischen beiden erkennen.

Aronson hält sich an den eingangs versprochenen Vergleich der Texte der beiden Autoren, führt aber immer wieder Äußerungen wie z.B. von Simone de Beauvoir an, erklärt aber auch, welche Details sie aus mehr oder weniger offenkundigen Gründen ausläßt (S. 110), und er beschreibt die Rollen von Merleau-Ponty und Arthur Koestler. Aronson zeigt auch, daß Camus Sartre nicht genau liest und beschreibt, wie es zu unterschiedlichen Interpretationen des Geschichtsbegriffs bei beiden kommt. Die Übereinkunft zwischen Sartre und Camus, daß das Kapitel über Nietzsche aus L’homme révolté in Les Temps modernes veröffentlicht werden soll, zeigt, daß beide von dem herannahenden Gewitter noch nicht so recht etwas ahnen. Nach dem Erscheinen des Buches (1951) kommt es 1952 zum Bruch zwischen beiden, der von der heftigen Ideologiekritik Camus, seine Ablehnung des Kommunismus, und Sartres heftiger Reaktion als Antwort auf Camus Klagen wegen der Rezension aus der Feder Francis Jeansons sich vollzieht: Aronsons Satz “On a vu devenir Sartre un révolutionnaire, Camus devenir un homme révolté.” (S. 191) läßt noch ein wenig die Absicht erkennen, doch ein Lager wählen zu wollen, die Aronson zu Beginn des Kapitels allen Interpreten von L’homme révolté zuschrieb. 2)

Beide hätten, so Aronson, in den Monaten nach dem Ende ihrer Freundschaft wenig geschrieben.- Camus veröffentlicht 1954 die Novellensammlung L’été, deren Themen seine Grundüberzeugungen Revue passieren lassen und er schreibt mehrere wichtige Texte über die Aufgaben des Künstlers -. Sartre veröffentlicht die Artikelserie Les communistes et la paix. 1956 erscheint La Chute, mit dem Camus sogleich einen beachtlichen Erfolg erzielt. Aronson liest diesen Roman als eine Antwort auf die Vorwürfe, die Sartre 1952 an Camus gerichtet hatte. 1975 erwähnte Sartre in einem Interview das Zerwürfnis mit Camus, erklärte daß er sich gegen den Brief Camus’, der mit den Worten “Monsieur le Directeur” begann, gewandt habe. Aber, er fügt auch hinzu: Camus sei vielleicht der letzte gute Freund gewesen.

Aronson zeigt in überzeugender Weise, wie es aufgrund der Zeitumstände und der unterschiedlichen Geschichtsauffassungen Sartre und Camus’ zu ihrem Streit kam, der das Ende ihrer Freundschaft besiegelte. Er zeigt aber auch, daß der Streit an beiden nicht spurlos vorbeigegangen ist und wie ihre späteren Werke immer wieder von diesem Streit geprägt sind. Nach Camus’ Tod hat Sartre in seinem Nachruf auf die Nähe Camus’ zu den französischen Moralisten hingewiesen. Er ordnete Camus in die lange Reihe der Erben der Moralisten ein , deren Werke das repräsentieren, was zum Ursprünglichsten der französischen Literatur gehöre. Und Camus habe durch die Hartnäckigkeit seiner Verweigerungen gegen die Machiavellisten und das goldene Kalb des Realismus die Existenz der Moral bestätigt.

Heiner Wittmann

www.logosjournal.com/issue_4.1/aronson_postel.htm:
Camus, Sartre, and Us: The Story of a Friendship and the Quarrel That Ended It
An Interview with Ron Aronson
With Danny Postel

1) Cf. u.a. : C. Kuhn, “Monsieur le Directeur”, “Mon cher Camus”. Die Anatomie eines Bruchs, in: B. Wilczeck, Hrsg., Paris 1944-1962. Dichter und Denker auf der Straße, Bühl-Moos 1994, S. 93-102;
H. Wittmann, Albert Camus. Kunst und Moral, Kapitel V: Albert Camus und Jean-Paul Sartre, Frankfurt/M. 2001, bsds. S. S. 94-98.
2) Cf. H.Wittmann, Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert, Tübingen 1996, S. 73-88: Die Kritik am Marxismus.

Brigitte Sändig, Albert Camus, Autonomie und Solidarität

Brigitte Sändig, Albert Camus. Autonomie und Solidarität,
Würzburg: 
Königshausen & Neumann 2004.
ISBN 3-8260-2630-6 

In diesem Band sind 25 Aufsätze versammelt, von denen die größte Anzahl nach 1989 verfasst wurde. Die Autorin hat ihnen durch eine Kapiteleinteilung im Inhaltsverzeichnis eine Struktur gegeben: “Die Bindung an Algerien”, die bis zu seinem Tod sein Werk bestimmt hat, versammelt die Aufsätze des ersten Kapitels. Mit “Kunstausübung, Kunstreflexion” ist das zweite Kapitel überschrieben, in dem u.a. Camus’ Literaturverständnis mit dem Sartres verglichen wird. Das Kapitel “Geschichte und Politik” enthält Betrachtungen zur Zeitgeschichte, Spanien, Deutschland im Jahr 1945, zu seinem Eintreten gegen die Todesstrafe und eine Untersuchung seiner Bezeichnung der “Geschichte von Europas Hochmut”. Das Kapitel “Wirkungen” enthält Aufsätze, in denen sein Werk mit denen anderer Schriftsteller wie Rachid Mimouni oder Gunter Grass und Christoph Hein verglichen wird. Der letzte Abschnitt “Aufnahme” läßt die Rezeption Camus’ in der DDR Revue passieren.

Das erste Kapitel über Algerien enthält vor allem Analysen mit biographischem Interesse in bezug auf seine Herkunft und unterstreicht mit Zitaten aus seinen Tagebüchern und aus dem Romanfragment Le premier homme und der Novellensammlung L’exil et le royaume seine enge Bindung an Algerien. Ohne Zweifel muß sein Werk vor dem Hintergrund dieser Lebensgeschichte gelesen werden. Sändig stellt durchaus kritische Fragen, die Camus’ Verständnis des Zusammenlebens von Kolonisierten und Kolonisatoren betreffen. Ihr Erstaunen über die Wortwahl Camus’, “er spricht … sogar vom “Golgatha-Weg der Kolonisierung des 19. Jahrhunderts” (S. 43) ist nicht berechtigt. In der Fußnote gibt Sändig auch den französischen Wortlaut dieser Passage an “le calvaire des colons de 1848” an. Es sind aber nicht Camus’ Worte, sondern er erwähnt hier lediglich in einer Notiz in seinen Fragmenten im Anhang das Buch Calvaire des Colons de 48 von Maxime Rasteil (1930). Sein Verhältnis zu Algerien muß sicherlich durch eine genaue Lektüre seiner Artikel in seinen Actuelles-Bänden ergänzt werden. Es ist richtig, daß er sich nach 1956 sich zu diesem Thema kaum noch geäußert hat und lediglich seine innere Zerrissenheit erkennen ließ.

Das zweite Kapitel enthält den Aufsatz “Zur Funktion von Kunst und Künstler” (1974), der 1975 in den Beiträgen zu romanischen Philologie veröffentlicht wurde. Im Ansatz untersucht sie hier seine Kunstkonzeption vor dem Hintergrund seiner Biographie. Angesichts der von Camus immer wieder evozierten Absurdität der Welt wird die Kunst für ihn zur einer “Form subjektiver Lebensbewältigung.”
(S. 59) Es ist richtig, die Entwicklung seiner ästhetischen Vorstellungen besonders eng an die Kriegsereignisse und seine Erfahrungen in der Résistance zu knüpfen. Sändig weist auch auf die Rede “Le Témoin de la liberté” hin, in der Camus 1948 die Aufgaben des Schriftstellers präzisiert. Er und die Künstler dürfen dem Leid der Menschen gegenüber nicht teilnahmslos bleiben. Daraus ergibt sich eine etwas nuancierte Auffassung des Begriffs ‘Engagement’, so wie ihn Sartre versteht. Allerdings darf diese Unterscheidung nicht zu stark akzentuiert werden, indem zu verstehen gegeben wird, Camus wende sich allein gegen tödliche Ideologien. Sartres ursprüngliches Verständnis des Engagements (Qu’est-ce que la littérature? 1947) enthält zunächst nur die aus jeder Aktivität eines Schriftstellers entstehende Verantwortung, als Ausdruck seines Engagements ohne, daß er sich expressis verbis für eine Ideologie einsetzt: “Je dirai qu’un écrivain est engagé lorsqu’il tâche à prendre la conscience la plus lucide et la plus entière d’être embarqué…” Sartre, Qu’est-ce que la littérature?, Paris 1948, S. 98. Ohne Zweifel ist der Streit zwischen Camus und Sartre auch auf unterschiedliche Auffassungen in diesem Bereich zurückzuführen, aber in bezug auf die Wirkungsmöglichkeiten der Kunst und die Aufgaben des Künstlers ergeben sich zwischen beiden erstaunliche Parallelen, die auch von ihrem Streit nicht verwischt werden können. Mit Recht weist Sändig auf Camus’ Bemerkung hin, daß die Forderung der Revolte z.T. eine ästhetische Forderung sei. (S. 66) Das ist tatsächlich der Kerngedanke von L’homme révolté, mit dem die Kunst dem Künstler die Aufgabe verleiht, die Welt neu zu erschaffen, wie Camus dies in einem übertragenem Sinn ausdrückt. Camus hat seine theoretischen Überlegungen in seinem Roman La chute (1956) und in der Novelle Jonas ou l’Artiste au travail (1957) fortgeführt. Außerdem hat er seine Überlegungen zur Kunst und zur Verantwortung des Künstlers in seiner Nobelpreis-Rede eindeutig dokumentiert. 1974 hat Sändig folglich die besondere Stellung der Kunst im Werk Camus’ beschrieben, sie zitiert Marx in bezug auf die Kunstproduktion Jonas’, sie zeigt Camus’ Ideologiekritik, aber die besondere Stellung der Kunst in ihrer ihr eigentümlichen Autonomie, die er allen Ideologien entgegensetzt, tritt nicht ganz so deutlich hervor.

Der folgende Aufsatz “Was kann Kunst? Zum Literaturverständnis von Camus und Sartre” ist 1991 entstanden. Das von Sändig gewählte Zitat, mit dem der Beitrag des Schriftstellers hinsichtlich der “Bildung einer konstruktiven und revolutionären Ideologie” (Sartre, Qu’est-ce que la littérature? op.cit., S. 289) dargestellt wird, verleitet sie zu der Anmerkung, so – wenn auch die Unerfüllbarkeit beinahe zugegeben wird – “überfrachtet Sartre den Schriftsteller nicht nur quantitativ, sondern nagelt ihn gewissermaßen auf die engagement-Funktion, ja auf die Erstellung von Ideologie fest.” (S.83) Zu diesem Sachverhalt folgert sie: “Solch konkret-soziale Funktionssetzungen liegen Camus fern.” (ib.). Nun darf aber das gerade erwähnte Zitat Sartres nicht ohne den in Qu’est-ce que la littérature? unmittelbar folgenden Satz gelesen werden: “Il s’agit malheureusement d’espoirs anachroniques : ce qui était possible au temps de Proudhon et de Marx ne l’est plus.” (S. 289 f.) In der Tat, Sartres Literaturmanifest ist eine Neubegründung der Rezeptionsästhetik, so wie sie ein Emile Hennequin im Sinn gehabt hat, es ist aber kein Vademekum für das Erstellen ideologischer Schriften.

Das dritte Kapitel “Geschichte und Politik” enthält einen Aufsatz, in dem sein Verhältnis zu Spanien untersucht wird und einen über die Beziehungen Camus’ zum Deutschland des Jahres 1945. Das letzte Kapitel dieses Abschnitts stellt die Frage nach der Bedeutung von Camus’ “Geschichte von Europas Hochmut”, ein Gedanke, mit dem Camus seinen Essay L’homme révolté (Der Mensch in der Revolte,Le mythe de Sisyphe,Sisyphos, Hamburg 1953, S. 13, L’homme révolté, in: Essais, Paris 1965, S. 420) die Einleitung nennt. Camus erklärt diesen Ausdruck, so Sändig, mit dem “schrankenlosen Autonomieanspruch des Subjekts”, woraus auch für Verbrechen ein Legitmationsanspruch entstände, der im 20. Jahrhundert einen Höhepunkt erreicht. Als Resultat ihrer Untersuchung verweist die Autorin auf C.G. Jung und nennt die Notwendigkeit, heute psychische Realitäten, womit auch das Unbewußte gemeint ist, anzuerkennen. Sändig unterstreicht ihr Ergebnis mit dem Hinweis auf Camus’ Lektüre der Werke C.G. Jungs und A. Adlers. (S. 201). Der Verlauf der Argumentation in ihrem Beitrag visiert das hier dargestellte Ergebnis an. Es ist aus dem Zusammenhang des Textes nicht klar erkennbar, ob Camus an dieser Stelle mit seinem Begriff vom Hochmut Europas wirklich den von der Autorin evozierten Autonomieanspruch zum Ausdruck bringen will. Dieser Begriff steht am Ende des vorletzten Absatzes der Einleitung, die im letzten Absatz, die Revolte als das Thema seines Essays in den Vordergrund rückt, die er mit der Frage nach einer Regel verbindet, die das Absurde nicht vorgeben kann. Er erwähnt auch die Hoffnung nach der Schöpfung, und erinnert daran, daß der Mensch das einzige Wesen sei, das sich weigern kann, das zu sein, was er ist. Insoweit wird hier eine gewisse Autonomie angedeutet, die aber nicht ausreicht, den hier beschriebenen Ansatz der Autorin zu stützen. Läßt man sich aber dennoch auf den von der Autorin gewählten Ansatz ein, findet man hier eine sehr komprimierte, aber interessante Fassung der Grundprobleme von L’homme révolté, die allerdings vom dritten Teil des Essays mit den Überlegungen zur Kunst nicht getrennt werden sollten. Vielleicht war das auch ein Grund für die Schärfe der Auseinandersetzung mit Sartre, bei der lediglich die Ideologiekritik Camus’, der Verriß von Francis Jeanson und die Antwort von Camus (Monsieur le Directeur…) eine Rolle spielten.

Zusammen mit den im letzten Teil folgenden Aufsätzen, die die Werke Camus’ mit denen anderer Autoren vergleichen, dokumentiert dieser Band langjährige, beharrliche Forschungen. Manchmal wird der Blick der Autorin durch die Konzentration auf Details etwas eingeengt. Der Blick auf sein Gesamtwerk mit all seinen Facetten und die behutsame Reduktion biographischer Elemente, die dessen Wirkungsgeschichte eher behindern, ist im Zusammenhang aller Aufsätze angelegt, da sie dem Leser eine eindrucksvolle Perspektive auf die Bedeutung des Werks Camus’ öffnen.

Heiner Wittmann

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