Rezension: Karin Westerwelle, Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie

In einigen Tagen jährt sich zum zweihundertsten Mal der Geburtstag von Charles Baudelaire (9. April 1821 – 31. August 1867). Eine gute Gelegenheit, mit der Rezension des Bandes von Karin Westerwelle, > Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie an das Werk des Dichters der Fleurs du mal (1857) zu erinnern.

Die Darstellung von Karin Westerwelle ist mit 567 Seiten wirklich sehr umfangreich, in diesem Fall gibt es allerdings einige Gründe dafür. Vielleicht hätte das Buch auch einen anderen Titel verdient, denn es enthält eine Kultur-, Wirtschafts- und Soziologiegeschichte der Zeit Baudelaires, von der Restauration über die Julimonarchie bis zum Zweiten Kaiserreich und nicht nur nebenbei werden die Werke Baudelaires ausführlich analysiert.

Die Kapitel Stadt als soziologisches Gefüge, die Hauptstadt Paris, das Geld, die Moderne, die Malerei (Kapitel über Baudelaire und Manet), die Tableaux parisiens, Rêve parisien, machen aus diesem Buch einen schwergewichtigen Beitrag zur Kulturwissenschaft. Wenn auch die Analysen der Werke Baudelaires gerade auch im Zusammenhang mit den hier bereits genannten Kapitelüberschriften überzeugen, so wird es im Vorfeld der Publikation sicher auch die Überlegung gegeben haben, zwei Bände aus diesem Manuskript zu machen: Die Stadt der Moderne im 19. Jahrhundert. Kunst, Soziologie und Wirtschaft (AT) und Charles Baudelaire mit dem aktuellen Untertitel. Die Autorin legt das Manuskript in einem Band vor und die Lektüre dieses Bandes erläutert alle Argumente, die dafür sprechen.

Charles Baudelaire ist der Dichter der Moderne, die ästhetische Konzeption seiner Dichtung ensteht in Paris und in der steten Auseinandersetzung mit allen Aspekten der Großstadt, die sich gerade zur Zeit Baudelaires in einem so immensen Umfang gewandelt hat. Baudelaire war Zeitzeuge, als die Moderne in die Stadt einzieht, sie prägt, aber auch wie die Möglichkeiten der Hauptstadt Paris, der Begriff der Moderne in jeder seiner Facetten so reichhaltig geprägt hat. Baudelaires Werke gehen weit über eine dichterische Empfindsamkeit hinaus, er protokolliert diesen Einzug der Modern in die Stadt in seinen Gedichten, in seinen Prosawerken und in seinen Rezensionen über Kunstwerke wie in seinen anderen Untersuchungen zur Kunst. Diese enge Verbindung zu seiner Stadt rechtfertigt die nur augenscheinlich parallele Analyse der Stadt und Baudelaires Werk, beide verweisen untrennbar aufeinander: “Mit Hilfe der Phantasmagorie entwirft Baudelaire in seiner Dichtung eine neue Deutung des städtischen Raums und begründet ein neues Verhältnis des Menschen zum Unsichtbaren.” (S. 19)

Die Stadt als Erfahrungswelt hat sich Baudelaire wie kaum ein anderer Dichter seiner Zeit als Dandy und Flaneur ohne festen Wohnsitz (vgl. S. 56 ff.) angeeignet. Seine Kritiken zu allen Äußerungen der Pariser Kunstszene waren nicht nur Berichte, sondern drücken auch seine ganze Leidenschaft aus, die Kunst von offizieller Beeinflussung zu lösen: vgl. S. 60 f. Seine eigene Verteidigung der Fleurs du mal gegenüber der Justiz, dass nur die Einheit aller Gedichte der ganzen Sammlung den ihr zugeschriebenen Sinn, nämlich der Warnung vor Morallosigkeit, bewahren kann, war ein Ansinnen, dass die Justiz nicht verstehen konnte und wollte. Seine Ausführungen im Salon 1859 über die Fotografie sind ebenfalls keine bloßen Kritiken, sondern sie sind stilprägend, wie seine Bemerkungen zu seinem Porträtphoto aus der Linse Etienne Carjats 1863: S. 62 f. und vgl dazu: S. 71 ff.

Paris prägt seine Bewohner und sie prägen die Stadt: aus diesem Wechselverhältnis entstehen Monde und demi-monde mit allen ihren Bewegungsformen jeder Art. Als Beispiel sei hier genannt, wie Karin Westerwelle Baudelaires Gedicht Confession auf die Darstellung der Pariser Nachtlandschaft hin untersucht: S. 96-98 und dabei zeigt,  wie beeindruckend es Baudelaire mit wenigen Worten gelingt, das nächtliche Paris vorzuführen. Ebenso gehört das Paris der Geschwindigkeit zu der neuen Moderne, die Baudelaire in Le Peintre de la vie moderne festgehalten hat. Mit Feingefühl untersucht Westerwelle alle Aspekte der Moderne bei Baudelaire und arbeitet ebenfalls heraus, dass dieser kein Vertreter des Fortschrittsgedankens war; für Baudelaire galt nur, was dem Individuum hinsichtlich seiner Entwicklung zugute kam: vgl. S. 113. Daraus folgen Überlegungen zum Dichter und seinem Publikum, vgl. S. 146 ff, mit einer Interpretation des ersten Gedichts der Fleurs du mal “Au lecteur”: vgl. S. 148-158, mit der Westerwelle die Zielgruppe Baudelaires definiert.

Das 3. Kapitel gehört wie eingangs angedeutet in den rein kulturwissenschaftlichen Teil der vorliegenden Darstellung mit der historischen Entwicklung von Paris vom 16. Jahrhundert bis Haussmann und den Weltausstellungen: S. 184-283. Aber auch dieses Kapitel enthält bemerkenswerte Gedichtinterpretationen wir “La Cygne”: “Comme je traversais le nouveau Carrousel”, S. 218-237, womit hier der Erkenntnisgewinn aus der Verbindung zwischen Gedichtanlyse und kulturhistorischer Darstellung gelungen demonstriert wird.

“Die Regeln des Geldes” werden in einem 4. Kapitel erläutert, ist doch “Die Frage, wie sich das Verhältnis von Literatur und ökonomischen Wert, in der bürgerlichen Epoche bestimmt (…) für Baudelaire zentral:”(S. 293) Comment payer ses dettes quand on a du génie, eine Gebrauchsanweisung, in der er an die Geschäftsgebaren Balzacs “Literat und Ökonom” (S. 297) erinnert. Geldsorgen waren ein ständiger Begleiter Baudelaires – ein Leben in strengem Kontrast zu der frugalen (offiziellen) Kunstförderung im Zweiten Kaiserreich stand, von der zunächst nicht profitieren wollte, 1857 machte er aber doch eine Eingabe und erhielt eine Unterstützung für seine Poe-Übersetzungen.

Le peintre de la vie moderne ist eine ganz zentrale Schrift im Werk von Baudelaire. Anhand der Werke von Constantin Guys erläutert Baudelaire die ästhetische Darstellung der Moderne. Eine Gelegenheit für Karin Westerwelle den Zusammenhang von Zeichnung und Kommentar wie auch die Künstlerfiguren im städtischen Raum näher zu untersuchen (S. 363 ff.), zu denen auch der Dandy, S. 368 ff. gehört.

Die Begegnung zwischen Baudelaire und Éduard Manet führt zum Erscheinen des Dichters auf dem Bild La Musique au jardin des Tuileries (1862): S. 410-418: hier gelingt es der Autroin  die Beziehung zwischen der Literatur und der Kulturwissenschaft um die Dimension der Kunstbetrachtung zu ergänzen, war es der ziemlich unbekannte Dichter, der mit dazu beitrug, dass die Kritik dieses Bild nur sehr reserviert aufnahm?

Die Tableaux parisiens benötigen ohne Zweifel zu ihrem Verständnis und Einordnung einen kulturhistorischen Hintergrund, den die Autorin in den vorhergehenden Kapiteln bereitgestellt hat: Das 7. Kapitel untersucht den “Reflexionsgehalt” und die Gattung der Tableaux parisiens. Westerwelle vergleicht die Tableaux mit anderen Gesamtdarstellungen der Stadt Paris und gewinnt so Klarheit über die Eigenheiten der Tableaux, die man heute als Alleinstellungsmerkmale bezeichnet. Gerade in diesen Passagen der Darstellung von Westerwelle wird deutlich, wie gut es ihr gelingt, den Leser zu erneuten Lektüre von Baudelaire anzuregen.

Die Interpretation von Rêve parisien (1860) im letzten Kapitel rechtfertigt den Untertitel dieser Untersuchung Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie. Realität, Traum und Fiktion gehen ineinander über und beweisen wie meisterhaft Baudelaire die Form des Gedichts beherrscht.

Erschöpfend behandelt auch dieses Buch trotz seines Umfangs das Werk Baudelaires keinesfalls. Die besondere Vielfalt seines Werkes erlaubt immer neue Perspektiven, je nachdem welchen Aspekt man betonen möchte. Die Bezüge zur Kunst, die besondere Stellung der Form in seinem Gesamtwerk, die Bezüge seiner Werke untereinander, die Beziehungen Baudelaires zu der Kunstwelt seiner Epoche, seine prekäre wirtschaftliche Lage zugleich aber auch seine Unabhängigkeit, als Voraussetzung für den Erfolg seines künstlerischen Schaffens: Westerwelle weist hier der künftigen Forschung interessante Wege. Sie selber hat zum 200. Geburtstag von Charles Baudelaire vor allem seinen stilbildenden Einfluss auf die ästhetische Interpretation der aufziehenden Moderne und die Folgen für den Kunstbetrieb in der Hauptstadt mit großem Einfühlungsvermögen gewürdigt.

Karin Westerwelle, > Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie, Paderborn, Brill/Wilhelm Fink 2020.

ISBN: 978-3-8467-5977-6

Une introduction à l’étude des Fleurs du Mal.


Pierre Brunel, Giovanni Dotoli (Éd.), 1857. Baudelaire et Les Fleurs du Mal (Biblioteca dela Ricerca, Baris-Paris 4, Schena Editore, Fasano 2007.

Dans son introduction, Georges Molinié a bien raison de souligner avec force la “fracassante modernité” de Baudelaire. Une modernité qui n’a pas passé sous silence son mal et les destructions jusqu’à Auschwitz. Tout en évoquant le mal, les poèmes de Baudelaire réussissent de rappeler “une esthétique de l’illimité au ras de l’humain résiduel”. Pierre Brunel décrit les “Tombeaux poétiques de Baudelaire” en parlant de l’histoire de la réception de ces poèmes. Après tout, il faut toujours revenir à “son tombeau le plus beau et le plus vrai”, justement aux Fleurs du Mal.

Ce recueil qui réunit les contributions d’une journée de commémoration à l’occasion du 150e anniversaire des Fleurs du Mal est une introduction très réussie à l’étude des poèmes de Baudelaire et ceci pour trois raisons. L’effet de la lecture, les interprétations personnelles et les remarques sur la structure et la composition des Fleurs du mal avancent tous les trois des pistes importantes de recherche. Ce volume de 150 pages a le grand mérite de ne pas avoir la prétention de vouloir épuiser le sujet, mais il explique pourquoi il vaut la peine de lire et de bien lire les poèmes de Baudelaire.

Salah Stétié y livre un témoignage émouvant de sa découverte des Fleurs du Mal et fait envie de revivre cette aventure. Stétié évoque la “préhension du paysage” comme l’inconscient et d’autres thèmes qu’il a rencontrés dans ses poèmes et comment il a découvert les rapports entre eux. Giovanni Dotoli, lui, propose une interprétation originale sous le titre “Vertige des Fleurs du mal” en apportant son propre poème sur Baudelaire : “Théâtre immortel de ton âme amère…”. Lise Sabourin s’est penché sur les épreuves de l’édition de 1857 des Fleurs du Mal et elle revient à la question de l’organisation du recueil de Baudelaire en sections. En lisant son article on comprendra ce que la suite des poèmes contribue d’essentiel à leur sens et à leur compréhension.

En ce qui concerne les interprétations personnelles, Gabrielle Althen s’est interrogé sur la douleur essentiellement dans L’Héautontimoruménos qui est l’occasion pour le poète d’évoquer le mal sans passer par des médiations divines ou autres. Ce rapport intime avec le mal soulève aussi la question de faire du mal qui ne perd pas de vue la distinction entre le bien et le mal. De cette manière, ce poème évoque aussi des questions éthiques. Ainsi, il conjuge être et mal et en médite la conscience. Lionel Ray analyse les poèmes sous le titre du “Défini et de l’inépuisable” en partant de l’interprétation de Paul Claudel. Ray relit “La servante au grand cœur…” (1857) et “Petites Vielles” (1861). Maxime Durisotti a relu ” Le Masque ” et tient compte de la place de ce poème dans les Fleurs du Mal, une place qui est particulièrement importante en ce qui concerne son esthétique. Les différents thèmes, et avant tout celui de la modernité, dépendent de cette place devant Hymne à l’a Beauté. Steve Murphy évoque la “Personnalité et impersonnalité du Cygne” et décrit ici en détails et explique “le point de vue de Baudelaire touchant les méthodes de composition s’avère assez variable”. Son analyse est un modèle pour les étudiants qui hésitent de livrer par écrit les fruits de leur lecture de ces poèmes. Murphy y montre comment on peut lier les thèmes des poèmes avec les significations de mots tout en tenant compte de l’histoire contemporaine comme p. ex. la transformation de l’urbanisme parisien. Brigitte Buffard-Moret analyse ” Les Origines de la musique baudelairienne “. En peu de lignes, elle évoque l’histoire littéraire autour de 1857 et détaille les implications de la musique dans Les Fleurs du Mal. Sylvain Détoc propose une analyse du ” Dernier Voyage “. le dernier poème des Fleurs du Mal (1861), et pour conclure, il n’est pas surprenant que Sylvie Thorel, dans son article à la fin du recueil s’interroge sur ” …les Postulation de la morale ” chez Baudelaire. Elle aussi revient à l’histoire littéraire et rappelle entre autres comment le style des poèmes de Baudelaire était, à l’époque déjà, le sujet de beaucoup d’interprétations souvent controversées.

La littérature critique réussit bien surtout, si elle, comme ce livre sur Baudelaire, propose des approches, conduit à des interprétations détaillées sans perdre de vue, comme dans le cas présent, le rapports des Fleurs du Mal a son époque, ce qui n’empêche pas, de voir plus loin et de remarquer qu’on ne se limite pas à constater une modernité de Baudelaire, car il faut bien voir, dans quelle mesure, aussi un poète comme Baudelaire prouve que la poésie, elle aussi, contribue au développement de l’esthétique comme à la critique de la société tout en insistant sur part de prédiction qui revient aussi à la poésie.


Heiner Wittmann