Rezension: Volker Hunecke, Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators

Der Untertitel “Das Scheitern eines guten Diktators” der Biographie über Napoleon von Volker Hunecke, die 2011 im Verlag Ferdinand Schöningh erschienen ist, fasst die Thesen des Autors prägnant zusammen. Hunecke hat zuerst die Erfolge Napoleons im Auge: Der Erste Konsul hat in knapp drei Jahren Frankreich befriedet, für die Aussöhnung mit der römischen Kirche gesorgt, die Emigranten zurückgeholt, die staatliche Institutionen neu geordnet und neue Gesetzbücher verabschieden lassen. (vgl. S. 10) Folglich wurde er 1802 Konsul auf Lebenszeit. An dieser Stelle verortet Hunecke den Ursprung aller Probleme, die Napoleon von nun an begleiten werden. Seine Fehler, denen Hunecke sich im Lauf seiner Untersuchung zuwenden wird, seien nur der Tatsache geschuldet, dass Napoleon sich zum unumschränkten Herrscher habe aufschwingen können. (vgl. S. 12)

Den Krieg hatte er vor 1802 beendet, aber sein erneuter Beginn 1803 und seine Ausweitung auf den Kontinent war, so Hunecke, eine Folge der vom Kaiser betriebenen Außenpolitik. Zu seinem Scheitern hatte auch der Plan, Frankreich zu einer hegemonialen Großmacht machen zu wollen, beigetragen. Hunecke unterstreicht ausdrücklich, dass es keine moralischen Defizite gewesen seien, die dem Kaiser geschadet hätten, es war “sein Unvermögen, grundlegende Prämissen und Gebote des modernen Verfassungslebens einzusehen und gar zu akzeptieren,” (S. 13), das zu seinem Scheitern führte, aber auch gleichzeitig, “das Werk des guten Diktator vor dem Untergang bewahrte” (S. 14). Damit ist der Ansatz dieser Untersuchung umrissen, die mit der Schärfung des Blicks auf das Verfassungsrecht eine Lücke in der so unübersehbar großen Liste aller Veröffentlichungen zu Napoleon I. füllen möchte.

Die Einleitung erinnert an einige Stationen, mit denen der militärische Aufstieg Napoleons begann: Der 13. Vendémaire, IV (5.10.1795) war das Ereignis, aus dessen Anlass Paul Barras, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Paris und der Inlandsarmee sich die Unterstützung Napoleons holte, der mit seinem artilleristischen Knowhow die Aufständischen an der Kirche Saint-Roch besiegte. Der künftige Kaiser wurde mit 24 Jahren zum General befördert und lernte ein paar Monate später seine künftige Frau Joséphine de Beauharnais kennen. Anfang 1796 wird er zum Oberbefehlshaber der Italienarmee befördert. Ab jetzt griff er in das Geschehen ein.

Ein weiterer Vorzug dieser Darstellung sind die vielen Hinweise auf die Literatur: U.a. erinnert Hunecke an die Mémoires d’Outre tombe von Chateaubriand (t.XIX-XXIV) mit dessen Generalabrechnung mit Napoleon oder an La Confession d’un enfant de siècle von Alfred de Musset oder an Adolphe Thiers, der das schwierige Verhältnis der Blutströme und der politischen Freiheit als ein unauflösbares Problem der Herrschaft des Kaisers verstand. Man versprach sich Rettung durch den Konsul, der aber durch seine Machtfülle dann doch in eine Verschärfung der Diktatur abgeleitete. Die Interventionen in den europäischen Staaten bis zum Zug der großen Armee nach Moskau konnten nicht gut gehen. Trug das Kaiserreich von Beginn an, den Keim des Scheitern in sich? Wieder wendet sich Hunecke der Verfassung des Konsultats zu, und fragt, ob deren Art. 39 ff., die dem Konsul eine so unbegrenzte Machtfülle gaben, künftige Probleme des Kaisers vorprogrammierten?

Napoleon sei kein Sohn der Revolution gewesen, aber als Arzt habe er ihre Wunden geheilt, so lautet Huneckes These infolge des 15. Dezembers 1799, an dem die Verfassung des Jahres VIII verkündet und in einer Proklamation der drei Konsuln die Revolution für beendet erklärt wird: “eine Verheißung für die Zukunft” S. 33 Wie bereits angedeutet, interessiert Hunecke sich ganz besonders für verfassungsrechtliche Fragen, für die Napoleon sich offensichtlich weniger begeistern konnte, ihm ging es allein um Machtfragen: vgl. S. 35. Aber sein Regime bekommt auch einen Namen, über den “Bonapartismus” wird viel geschrieben werden und sein Neffe Louis-Napoléon wird sich nach 1852 anschicken, diesen weiterzuentwickeln.

Im III. Teil “Der Aufstieg” schildert Volker Hunecke die Karriere, die Bonaparte bis zum General geführt hat. Bemerkenswert ist es, wie die Kritik an der großen Machtfülle des Parlaments noch vor der Machtübernahme am 18. Brumaire deutlich wird und sich so ein wesentliches Kennzeichen des Bonapartismus abzeichnet. Spuren dieser Kritik werden sich bis 1958 in der Verfassung der V. Republik wiederfinden, mit dem was man als einen “parlementarisme rationalisé” bezeichnet hat. Aber das Resultat des 18. Brumaire hat er sich in einer Volksabstimmung bestätigen lassen: S. 80-87, der dann die > Verfassung des Jahres VIII folgte, in der der Regierung eine herausgehobene Position als “Repräsentant der Nation” bekommt. 1804 geht der Kaiser noch weiter: “Das Volk wird durch die gesetzlichen Gewalten repräsentiert.” S. 89.

Es entsteht eine “plebiszitäre Monarchie” (S. 116-142): Frankreichs vierte Dynastie mit allen Attributen einer neuen Monarchie, bei der aber die von Montesquieu Zwischengewalten nicht ihre Position als notwendige Gegengewichte erhalten: S. 129 f. Nach 1804 ist Napoleon der einzige Repräsentant der Nation und wurde so anerkannt, weil er (noch) als Stifter des Friedens und Reformer (S. 143 ff.) akzeptiert wurde. In Kurzform. Alle Werke und Verdienste, die er nicht auf seine eigene Person bezog, waren von Dauer, wobei der von ihm so stark geprägte Zentralismus erfolgreich umgesetzt wurde, so dass er auch heute noch nur schwer reformierbar ist.

Der Innere Frieden war nicht umsonst zu haben. Ihr Preis war die “Ächtung der Opposition” (vgl. S. 175), die Zensur und die Propaganda und das Exil der Schriftsteller (vgl. S. 187-196).

Napoleons Siege festigten die Stellung des Diktators (vgl. S. 204 ff). Nachdem er die Revolutionskriege 1802 beendet hatte, erklärte England Frankreich 1803 den Krieg, damit begann ein Krieg Frankreichs gegen Europa: vgl. S. 221 ff. 1808 bemächtigte er sich des spanischen Throns und so begann der Abstieg seiner Herrschaft (vgl. S. 269). Bis 1812 bestand noch sein Grand Empire (vgl. S. 278), das aber spätestens mit dem großen Desaster des Russlandfeldzuges zu Ende war. Nach seiner Abdankung beließen ihn die Alliierten als souveränen Herrscher über Elba.

Napoleon ließ sich das nicht gefallen und und landete am 1. März 1815 in Frankreich und eilte in drei Wochen nach Paris um wieder die Herrschaft zu übernehmen, das gelang ihm für 100 Tage und endet mit der Schlacht von Waterloo und seiner Verbannung nach St. Helena, wo er 1821 starb. Auch in diesem Kapitel versucht Volker Hunecke die Actes additionnels aux constitutions de l’Empire mit den vorhergehenden Verfassungen zu vergleichen: Napoleon distanzierte sich vom Kaiserreich und betonte den Schutz der Freiheit der Bürger. Seine Anhänger zeigten sich schockiert. War der Kaiser unglaubwürdig geworden? Aber die Actes waren nur eine halbe Sache, die verfassungsgebende Gewalt wollte der Kaiser behalten. Das Volk sollte wohl souverän werden, aber ihr Inhaber wollte der Kaiser bleiben.

Volker Hunecke präsentiert in diesem Band die verfassungsrechtliche Entwicklung unter Napoleon I. als Schlüssel zum Verständnis seiner erfolgreichen Herrschaft und als Erklärung für ihren Untergang.

Drei weitere Kapitel “XII: Von der Legende zum Bonapartismus”, “XIII. Strassen und Brunnen. Künste und Wissenschaften” und “XIV. Bilanz eines guten Diktators” erklären die Verdienste, die den Ruhm des Kaisers begründeten. Diese Kapitel zeigen auch, wie wichtig die Kenntnisse der Biographie des Kaisers und der Geschichte seiner nachrevolutionären Epoche sind, um das künftige Ringen um eine Verfassung in Frankreich verstehen zu können. Napoleon nutzte Pelebiszite, um seine Diktatur zu festigen, eine Befragung des Volkes hatte er nicht im Sinn. Nicht nur die Bücher über Napoleon, sondern auch über die Napoleon-Legende lassen ganze Bücherregale unter ihrer Last sich biegen. Sein Neffe profitierte von ihr und verfolgte planmäßig die für ihn eigentlich ziemlich aussichtslose Idee, das Erbe seines Onkels anzutreten. Zufälle und politisches Geschick halfen ihm dabei, am 2. Dezember 1851 seinen dritten Staatsstreich zu begehen, mit dem der erste Präsident der Republik (> Vor 170 Jahren: 10 décembre 1848 : L’élection du premier Président de la République – 5. Dezember 2018) sich sein Amt für 10 Jahre sicherte, um am 2. Dezember 1852 das II. Kaiserreich zu gründen.

Volker Hunecke: Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 419 S., ISBN 978-3-506-76809-4.


“Noch heute sind achtzig Prozent der Besucher des Schlachtfeldes von Waterloo, wie Jürg Altwegg heute in der FAZ: „Eine glorreiche Niederlage“ berichtet, Viele Besucher des Schlachtfeldes seien heute noch davon überzeugt, Napoleon habe diese Schlacht für sich entschieden. Sein Genius war gar nicht in der Lage, so eine Schlacht zu verlieren. Auch nach seinem Tod am 5. Mai 1821 in der Verbannung, haben wohl viele eine solche Schreckensmeldung mit der Antwort: Napoleon könne nicht sterben, abgetan.

Auch wenn sich jetzt der Jahrestag dieser Schlacht zum 200. Mal jährt, wirkt die Napoleon-Legende 1) immer noch nach. Auch seine Gegner konnten sich ihr nicht entziehen….” > Bitte weiterlesen.

Volker Hunecke
> Napoleons Rückkehr
Die letzten hundert Tage – Elba, Waterloo, St. Helena
Stuttgart: Klett-Cotta, 1. Aufl. 2015, 256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-94855-4

Rezension: Violaine Houdart-Merot, La Création littéraire à l’université

Kann man das Schreiben von literarischen Texten lehren und lernen? In ihrem jüngst erschienenen Band La Création littéraire à l’université stellt Violaine Houdart-Merot, emeritierte Professorin für französische Literatur an der Universität Cergy-Pontoise, die Entwicklung, wie Kreatives Schreiben an französischen Universitäten gelehrt wird, vor. Der Band verdient insofern die Aufmerksamkeit auch deutscher Romanisten, weil hier in präziser Form Entwicklungen des Faches Französische Literatur erklärt werden.

“L’irrésistible ascension de la création littéraire” steht als Überschrift über der Einleitung, die nachzeichnet, wie nach 2014 Masterstudiengänge zum Kreativen Schreiben sich entwickelten. Französische Literatur wurde seit ca. 1900 immer im Rahmen von Literaturgeschichte und -theorien gelehrt. Nachdem gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Rhetorik in den Hintergrund trat, interessierte man sich nicht mehr besonders für die Kunst des Schreibens:vgl. S. 6. Es entwickelten sich Unterschiede zwischen der Literatur und den andren Künsten. (s. auch S. 18-21)

In Frankreich ist die Öffnung zum Kreativen Schreiben in den Universitäten erst vor kurzem erfolgt. Violaine Houdart-Merot will in ihrem Band Konzepte dazu vorstellen und fragt auch danach, welchen Platz die Literatur in der Gesellschaft einnehmen soll?

Zuerst untersucht sie die “Tradition françaises et culture du commentaire”, die den Rhetorikunterricht beendete und die Lektüre bevorzugte und folglich aus Abschlussarbeiten wissenschaftliche Untersuchungen werden ließ. Die Folge war die allgemeine Einsicht, dass das Schreiben selbst nicht lehrbar sei.

Im zweiten Kapitel “Entrer dans la littérature par la pratique” stellt sie die Anstöße vor, mit den Universitätsreformen nach 1970 und den neuen Schreibateliers nach 2000 zu einem Umdenken geführt haben: S. 40-44. “Faire du lecteur un producteur de textes”: intertextualité et critique génétique lautet eine Zwischenüberschrift über dem Kapitel, in dem die theoretischen Grundlagen der Arbeiten von Roland Barthes und Gérard Genette genannt werden. Nicht vergessen darf man hier die Wiederbelebung der Rezeptionsästhetik durch Jean-Paul Sartre, der in Qu’est-ce que la littérature ? (Paris: Gallimard 1948) erklärte, dass ein Geisteswerk nur entstehen könne, wenn Autor und Leser zusammenarbeiten. Es ist die Praxis, die über den Erfolg entschiedet, so zitiert die Autorin François Bon: “Écrire ne s’apprend pas. Simplement voilà : ils écrivent. Et c’est cela, qui se travaille.”

Das Kapitel “Profession écrivain” ist als eine Art Studienführer eine wahre Fundgrube für deutsche Romanisten. Hier erklärt Violaine Houdart-Merot die Unterschiede zwischen französischen und amerikanischen Ansätzen zum kreativen Schreiben und ihre Vermittlung und skizziert die Berufsaussichten für die Absolventen dieser Studiengänge: S. 65 f.

Da diese Ausbildung in der Universität stattfindet, äußert sich auch die Forschung dazu: “La recherche en création”, wie z.B. Das Doctorat SACRe: Sciences, Arts, Création, Recherche, das im November 2012 eingerichtet wurde und in Zusammenarbeit mit der École normale supérieure entwickelt wird. In diesem Zusammenhang kommt Violaine Houdart-Merot auf die vielen Autoren zu sprechen, die ihrerseits ihre eigene Schreibpraxis erläutert und kommentiert haben, unter ihnen z. B. Stéphane Mallarmé: S. 109 ff.

Das letzte Kapitel untersucht Auftritte von Schriftstellern in der Universität und in der Öffentlichkeit: Vgl. dazu > Donnerstag 07.04.11 20.00 Uhr: > Michel Houellebecq, Karte und Gebiet im Stuttgarter Literaturhaus, oder Donnerstag 20.12.18 19.30 Uhr: > Bodo Kirchhoff, Dämmer und Aufruhr

Eine ausführliche Bibliographie, S. 147-153 ergänzt diesen Band.

Violaine Houdart-Merot ist es aufgrund ihrer Erfahrung gelungen, in präziser Form spezielle  Entwicklungen des Literaturunterrichts in französischen Universitäten aufzuzeigen, von denen auch deutsche Romanisten profitieren sollten. Außerdem bietet sie mit ihren Erklärungen zur Rhetorik und zum Stellenwert französischer Poetiken nicht nur nebenbei wichtige Grundlagen für das Literaturstudium.

Violaine Houdart-Merot,
La Création littéraire à l’université,
Saint-Denis : Presses Universitaires de Vincennes 2018

Abbaye Saint-Benoît-sur-Loire

Waren Sie schon einmal in der Abteikirche (12. Jh.) von Saint-Benoît-sur-Loire, etwa 80 km südlich von Orléans?

Mit einem Klick auf ein Foto können Sie das Fotoalbum öffnen, F11 vergrößert den Browser:
Ach die Technik… bei einigen Versionen des Internet Explorers funktioniert das Fotoalbum nicht. Unserer Redaktion empfiehlt Firefox oder Chrome, mit den Browsern funktioniert es:


> www.abbaye-fleury.com

> Fleury (Abtei) – Wikipedia

> www.tourisme-loire-foret.com