André Guigot: Eine Einführung in Sartres Philosophie

André Guigot, Sartre. Liberté et histoire,
Paris 2007,
Librairie philosophie J. Vrin,. ISBN 978-27116-1913-9

Die von André Guigot verfaßte Studie ist keine einfache Einführung in Sartres Philosophie. Die vielen verschiedenen Themen setzen ein Vorwissen und auch eine gute Kenntnis der Werke Sartres voraus. Damit sei aber nur gesagt, daß Guigots Band dem eiligen Leser eher anspruchsvoll erscheinen mag. Läßt man sich aber auf seine Argumentation ein, dann vermittelt dieses Buch eine sehr präzise, interessante und lesenswerte Einführung in die Philosophie Sartres.

Für seine Darstellung hat André Guigot mit Recht einen chronologischen Aufbau gewählt, der die Entwicklung seines Werkes auf der Grundlage der deutschen Phänomenologie über die Kriegserfahrung hinaus mit seinem Bemühen, die Moral begrifflich zu fassen und seinem Engagement ein theoretisches Fundament zu geben, umfaßt. Gerne wird immer wieder von zwei Abschnitten seiner Entwicklung gesprochen, wobei seine Auseinandersetzung mit dem Marxismus oft als Kennzeichen seines Werkes nach 1950 zitiert wird. Sein Versuch, den Existentialismus mit dem Marxismus zu verbinden, war nicht von Erfolg gekrönt, und Guigot akzentuiert viel mehr das Engagement im Verständnis Sartres und seine Suche nach einer Intelligibilität menschlicher Verhaltensweisen, die sowohl durch eine Dialektik wie auch durch die Geschichte beeinflusst werden, die Sartre bis zur Flaubert-Studie geführt hat.

In fünf Kapiteln untersucht Guigot nacheinander Sartres Auseinandersetzung mit der Phänomenologie, dann die Entstehung seiner ersten Schriften über die Einbildungskraft L’imagination (1936) und L’imaginaire (1940) und deutet mit der Überschrift des 3. Kapitels “L’aboutissement inachevé de L’être et le néant“, das nicht mit einer Lösung, sondern mit Fragen zur Verantwortung endet, eine Kontinuität mit seinen fol-genden Arbeiten an, die im allgemeinen zu der des 2. Sartre gerechnet werden. Im Ka-pitel IV geht es um die Entwicklung von der Moral zur Geschichte, womit Guigot auch hier nebenbei – aber in zutreffender Weise – darauf hinweist, daß in der letzten Zeit zunehmend die Überlegungen zur Geschichte vermehrt in den Blick der Forschung geraten. Seine Anmerkungen zur Ästhetik in Qu’est-ce que la littérature? (1947), seine Réflexions sur la question juive (1946) wie auch die langen Kapitel in den Cahiers pour une morale ([entstanden um 1946)] aus dem Nachlass veröffentlicht: 1983) bieten dazu viele Ansätze. Das letzte Kapitel untersucht das Problem der Gewalt im Rahmen der Geschichte, ein Thema, das im Zuge einer Neubewertung der Critique de la raison dialectique wieder mehr in den Blick geraten dürfte. L’Idiot de la famille (1970/72), das umfangreiche Flaubert-Porträt, hätte vielleicht in diesem Band von Guigot eine größere Aufmerksamkeit verdient als lediglich in der Zusammenfassung behandelt zu werden. Andererseits verleiht Guigot dieser Studie als “prolongement herméneutique de la raison dialectique” (S. 231, vgl. W., Sartre und die Kunst, Tübingen 1996, S. 107 ff.) mit wenigen Worten den Platz, der ihr in Sartres Werk zukommt.

Im Verlauf der Studie entwickelt Guigot die Bedeutung aller wichtigen Schlüsselbegriffe. Dabei fällt auf, daß er schon bezüglich der Einbildungskraft, vor allem bei der Analyse von L’imaginaire sachgerecht und zutreffend die engen Beziehungen zwischen dem Imaginären und der Freiheit herstellt. Auch hinsichtlich seiner Darstellung des Analogons werden Entwicklungslinien deutlich, die bis zur Flaubert-Studie reichen. Zunächst aber erinnert er daran, daß die Theorie der Emotionen und des Imaginären eine Grundlage der Ontologie in L’être et le néant bilden. Tatsächlich ist die Lektüre von L’imaginaire eine wichtige Vorbereitung zu seiner Untersuchung über die phänomenologische Ontologie. Am Ende des zweiten Kapitels bestätigt Guigot in Form eines Resümees, daß die Ablehnung des psychologischen Determinismus kein System begründen könne, denn um die menschliche Realität zu begreifen, werde etwas Grundlegenderes benötigt: Das ist die Ontologie, mit der die Theorie des Imaginären angewandt auf die Kunst aber weitgehend ergänzt um die Fragen der Geschichte wiederaufgenommen werde, so Guigot. Und er ergänzt diese Aussage mit dem Hinweis auf den Zusammenhang von L’être et le néant, Qu’est-ce que la littérature? und den Cahiers pour une morale. . Schließlich ist die Freiheit eine Tatsache, deren Verständnis die menschliche Realität aufdeckt. Es ist nicht einfach, den Kern der Sartreschen Philosophie so verkürzt zusammenzufassen, aber unbestreitbar ist es dem Autor hier gelungen, das Verständnis der Sartreschen Philosophie zu erleichtern.

Im folgenden Kapitel über L’être et le néant zeigt Guigot – um hier nur ein Beispiel zu nennen – bezüglich der Kontingenz wichtige Parallelen zu La Nausée (1938), wodurch wieder die Verbindungen zwischen Sartres literarischem und philosophischen Werk betont werden. Dieses dritte Kapitel seiner Untersuchung zeigt die Fragen, die in L’être et le néant nach dem Anderen, der Angst und der Verantwortung gestellt werden. Dieses Kapitel kann auch als eine Einführung in die Lektüre von Sartres philosophischem Hauptwerk gelesen werden. Durch die Art und Weise, wie Guigot auch die offenen Fragen erläutert, wird der Leser verstehen, wie auch L’être et le néant in die Kontinuität des Sartreschen Denkens eingebunden ist. Im vierten Kapitel geht es um die historische Dimension, deren Einführung Guigot anhand der Überlegungen zu seinem Manifest über die Literatur erläutert: “L’ouvrage critique de Qu’est-ce que la littérature? (1947) fait de la création le sens même de l’interrogation éthique et esthétique,” (S. 135) heißt es bei Guigot, der auf diese Weise an die fundamentale Bedeutung der Ästhetik im Werk Sartres erinnert. Der Schriftsteller ist engagiert, es geht bei Sartre nicht darum, daß dieser sich engagieren kann. Er schreibt und deshalb trägt er dafür eine Verantwortung, woraus auch wieder eine moralische Pflicht (S. 137) entsteht. “Ecrire, c’est agir,” (S. 166) lautet die kurze Zusammenfassung, die auf den Appell (S. 168) an die Freiheit hindeutet. Aber auch die Cahiers pour une morale bleiben unvollendet und erscheinen erst 1983 aus seinem Nachlaßt. Auch dieses Kapitel endet mit einer Bewertung der Unterschiede zwischen L’être et le néant und den Cahiers pour une morale. Es geht u.a. um das unaufhebbare Verhältnis zum Anderen, das durch Abhängigkeit und Verantwortung gleichermaßen geprägt ist. Eine Aktion ist immer durch die Zukunft, das ist wieder das Überschreiten einer Situation aber auch durch die fehlende Garantie für eine moralische Vorschrift geprägt. Eine solche Verkürzung wird dem Autor der Studie sicher nicht gerecht, aber die Lektüre seiner Studie fördert das Verständnis der Philosophie Sartre. Nicht die Brüche charakterisieren sie, sondern sein Bemühen, die menschliche Realität der Freiheit und ihrer Möglichkeiten zu analysieren, wodurch die Kontinuität in seinem Werk gekennzeichnet ist, gehört zu seinen Hauptinteresse.

Es ist die Verbindung zwischen Kunst, Philosophie und Literatur, die in den 30er Jahren mit L’imagination und L’imaginaire sowie dem Roman La nausée sein Anfangswerk geprägt hat. In seinem philosophischen Hauptwerken hat Sartre mit seinen Untersuchungen zur Ontologie, zur Moral und zur Geschichte seine Überlegungen systematisiert und schließlich in der Flaubert-Studie von neuem angewandt. Guigots Studie behandelt kein isoliertes Thema seiner Philosophie, sondern zeigt die Kunst als Ausgangspunkt seines Gesamtwerks, und sie gibt so zu verstehen, daß die Philosophie bei Sartre kein Selbstzweck ist, da sie ein ständiger Bezugspunkt jedes seiner anderen Werke ist, und daher auch nur im Gesamtzusammenhang seines Werkes unter Berücksichtigung seiner Schriften über die Kunst und die Literatur erläutert werden kann.


Heiner Wittmann

Eine Rekonstruktion der Denkwege Wittgensteins

Fabian Goppelsröder,
Zwischen Sagen und Zeigen. Wittgensteins Weg von der literarischen zur dichtenden Philosophie,
transcript Verlag, Bielefeld 2007.
168 S., kart., 18,80 € ISBN: 978-3-89942-764-6

Dieser Band legt eine knappe und einleuchtende Einführung in die Philosophie Ludwig Wittgensteins (1889-1951) vor. Es geht um seine philosophischen Grundsätze und um ihre Form, deren werkimmanente Bedeutung über seine rein philosophischen Argumente hinausragt. Auf diese Weise wird ein literarisch-poetischer Ansatz seines Werkes erkennbar, der sein eigentliches Werk eigentlich erst jenseits des Gesagten entfaltet. Verfolgt man die Entwicklung dieser Ankündigung in dem vorliegenden Buch, verspricht der Autor eine Einsicht in die “philosophische (Überzeugungs-) Kraft Wittgensteins, die nicht allein in seinen Argumenten zu suchen ist. Trotz den zwei deutlich voneinander getrennte Werkphasen will der Autor in seinem Buch das Vermögen, Kunstwerke angemessen wahrzunehmen, die Aisthesis nutzen, um den philosophischen Denkweg Wittgenstein darzustellen.

Es gibt im Werk Wittgensteins kein “abstrakt reduzierbares Denkgebäude” (S. 7) stellt der Autor in seiner Vorbemerkung fest. Wenn nun berechtiger- und notwendigerweise nach einer Form für sein Werk gesucht wird, macht sich der Autor nach eigenem Bekunden eher widerwillig auf den Weg einer “Allgemeinheit ihrer Thesen zielenden Vorgehensweise” (S. 7) Der Autor umgeht aber mögliche Klippen durch eine chronologisch an den Wittgenstein’schen Texten entlang geführte Darstellung, in die er “Zwischenglieder” einfügt. In diesem Zusammenhang verweist der Autor auf den umfangreichen Anmerkungsapparat, in dem wichtige Beziehungen zu anderen Denkern untersucht werden. Das Kapitel über das Palais Stonborough in Wien nutzt der Autor geschickt als “eine Art Folie”, die die späteren philosophischen Probleme bereits erkennbar werden läßt.

Die Teilung des Werks Wittgenstein in zwei Teile – auf die “logische Idealsprache der Frühphase” und der “linearen Denkweise” des Tractatus folgt die täglich Umgangssprache und die “aossoziative, nur in Paragraphen geordnete” Denkweise der Philosophischen Untersuchungen (S. 9) -, wird vom Autor als revisi-onsbedürftig dargestellt. Offenkundig diente diese Einteilung bisher oft als Versuch, sich dem Gedankengebäude Wittgensteins zu nähern. Allerdings hat Wittgenstein selbst die Beziehungen zwischen seinen Hauptwerken betont. Neben den inhaltlichen und formalen Erwägungen gilt es nun einen Weg zu finden, der den literarischen Charakter seines Werkes berücksichtigt. Der Autor, der diesem folgt, stellt dem Leser in Aussicht, daßss so nicht nur seine Philosophie sondern sein Philosophieren aufgedeckt wird. Dieser Ansatz eröffnet dem Autor den Weg, die Brüche und die Kontinuitäten im Werk Wittgensteins in einen Zusammenhang zu stellen.

Der Autor weiß sich zu Recht auf der sicheren Seite, da Wittgenstein im Vorwort des Tractatus logico-philosophicus (1921) sein Werk nicht als ein Lehrbuch bezeichnet, sondern vom Leser Vergnügen erwartet und nur Verständnis von den Lesern erwartet, die Ähnliches schon einmal gedacht haben. Für Goppelsröder ist der Tractatus auch ein literarisches Werk und damit auch als “Manifest einer neuen Philosophie” (S. 17). Das Kapitel mit einigen wenigen biographischen Angaben zum Werdegang Wittgensteins “Von der Mathematik zur Logik – vom Paradox zur Philosophie” erklärt einleuchtend die Grundlagen des Tractatus, dessen erster Satz “Die Welt ist alles, was der Fall ist,” lautet.
Das zentrale Kapitel behandelt die “Ethnologische Wende am Leitfaden der Poesie”.

“Sprachphilosophie und Wahrnehmung” sind die Stichwörter für die späte Philosophie Wittgensteins, die auf die Folgen aus der “,ethnologisch-poetischen Wende’ seines Denkens” (S. 63) zielt, wobei das Sprachspiel als Modell verstanden wird, das eine Entdeckung der Sprache mittels der Nennung nicht rational definierbarer Zusammenhänge nachzuvollziehen versucht, indem das philosophische Thema auf dem Umweg über die Infragestellung des Gewohnten erreicht werden soll. Schließlich ist “Wittgensteins eigene philosophische Praxis” das Thema des letzten Kapitels, das die “Radikalisierung der litera-rischen zur dichtenden Philosophie” darstellt.

Dem Autor dieses Bandes ist eine sehr lesenswerte Einführung in das Werk Wittgensteins gelungen, indem er die sprachlichen Schwierigkeiten des Tracta-us und der Philosophischen Untersuchungen keinesfalls etwa als schwierig oder gar obskur dargestellt hat, sondern ihren literarischen Anspruch aufgegriffen hat und den mit ihr verbundenen philosophischen Ideen einleuchtend dargestellt hat. Sein Kapitel über “Wittgenstein als Architekt” ist viel mehr als nur ein dem Leser in der Einleitung versprochene Ruhepol, denn als eine praktische Interpretation des Zusammenhangs von “Sagen und Zeigen” zu verstehen. Der Autor greift die Zweiteilung des Werkes wieder auf, aber nicht unter dem Aspekt der Trennung, sondern als eine Entwicklung, die an vielen Grundsätze, die den Bau des Hauses in der Kundmanngasse mitbestimmt haben, abzulesen sind. Archiktektur stellt in ihrer materiellen Form alle gegenseitigen Verweise und Abhängigkeiten vor, sie wird zu einer Geste, und der Autor kündigt nebenbei wenn auch indirekt sein nächstes Buch an.

“Das Sprachspiel ist nicht Resultat wissenschaftlichen Kommunizierens, (…) es ist ein Modell (…) welches sich (…) in die Situation hinein überwindet.”(S. 63) Die folgenden Kapitel zeigen die praktischen Seiten der Philosophie Wittgen-steins und nehmen ihr viel von dem Image schwer durchdringbar zu sein. Goppelsröders Art, die Entwicklung der Sprachphilosophie Wittgensteins mit verständlichen Beispielen zu illustrieren, zeigt auch, wie sich Wittgensteins Wunsch, seine Philosophie möge Vergnügen bereiten, hier erfüllen läßt. Aber gerade mit der Sprache zeigt der Autor, daß Wittgenstein die Unterscheidung von Sagen und Zeigen im Sinne der “gerahmten Wahrnehmung” in den Philosophischen Untersuchungen keineswegs aufgibt, sondern sie um angemessene Aspektwechsel erweitert und so das Unaussprechbare thematisieren kann.

Es ist hier völlig unangemessen, diese gedrängte Einführung, die den Leser mit sicherer Hand durch das Labyrinth des Wittgenstein’schen Denkens lenkt, resümieren zu wollen. Mein kurzer Text geriet viel länger, weil die Kapitel des hier zu besprechenden Bandes so ausdrücklich zur genauen Lektüre einladen, die wiederum zur Lektüre von Wittgenstein selbst verführen. Das besondere Verdienst des Autors, der hier nicht ein einziges oder gar nur ein Spezialthema der Philosophie Wittgensteins aufgegriffen hat, eine Untersuchung vorgelegt zu haben, mit der es ihm gelingt, auf spannende Weise die Philosophie Wittgensteins vorzustellen, sollte auch Literaturwissenschaftler dazu bewegen, über den Rand ihrer Disziplin einmal hinauszuschauen.

Heiner Wittmann

Fabian Goppelsröder studiert Philosophie und Geschichte in Berlin und Paris. Zur Zeit arbeitet er an einer Dissertation in Stanford (CA). Er ist Herausgeber von Wittgensteinkunst. Annäherungen an ein Philosophie und ihr Unsagbares, diaphanes Verlag, Berlin 2006.

Schönherr-Mann, Sartre. Philosophie als Lebensform

Hans-Martin Schönherr-Mann,
Sartre. Philosophie als Lebensform,
C. H. Beck, München 2005. ISBN 3-406-51138-4.

Die Einführung, die Schönherr-Mann in das Werk Sartres anlässlich seines 100. Geburtstags vorgelegt hat, konzentriert sich auf die Entwicklung des Existentialismus und dessen Verhältnis zum Marxismus. In den ersten drei Kapiteln entwickelt der Autor die Grundlagen von Das Sein und das Nichts (1943) und vor allem die Entwicklung seines Freiheitsbegriffs. Er zeigt, wie Sartre mit dem Bezug auf Husserls Phänomenologie und in Abgrenzung zu Descartes eine Definition des Bewusstseins entwickelt, das immer ein Bewußtsein von etwas ist (S. 32), und gleichzeitig von der Existenz zu unterscheiden ist, in dem Sinne, wie das Bewusstsein über diese Existenz hinausweist, also die eigene Situation überschreiten kann. Schönherr-Mann stellt die Entstehung von Das Sein und das Nichts in einen Zusammenhang mit Sartres Kriegserlebnissen, der Besatzungszeit in Paris und erklärt die Bezüge zu den Werken, die seinem philosophischen Hauptwerk vorausgingen, wie La Nausée (1938) und folgten wie seine Theaterstücke und der Romanzyklus Die Wege der Freiheit.

 

Die Freiheit ist gemäß der bekannten Formulierung, der Mensch ist zur Freiheit verurteilt, auch selber ein Zwang; sie ist eine schwierige und riskante Herausforderung, der wir aber nicht entgehen.” (S. 58) Die Freiheit beschreibt die menschliche Realität, die Sartre mit dem Begriff der Situation kennzeichnet, die er mit dem projet des Menschen, mit seinem Entwurf verbindet. .

In den folgenden Kapiteln entwickelt Schönherr-Mann jeweils einen der Grundbegriffe der Sartreschen Philosophie, wie die mauvaise foi, die Verantwortung und das Engagement, die er einzeln untersucht und deren Entwicklung im Werk Sartres er in einen Zusammenhang mit dessen politischen Engagement stellt. Schönherr-Mann entscheidet sich gegen Traugott König, der von der Unaufrichtigkeit sprach, dafür die mauvaise foi mit dem verdrehten Bewusstsein zu übersetzen und begründet dies mit der Verdrehung der Freiheit (S. 79), wodurch er im Gegensatz zum Freudschen Unbewußten die absichtliche Verdrehung von Fakten und das Umdefinieren von Faktizitäten verstehen möchte. Der Autor versucht so, Sartres Absicht, Freuds Theorie vom Unbewussten abzulehnen, wiederzugeben, wobei aber zu bedenken ist, dass so eine Aspekt dieses Begriffs möglicherweise unterschätzt wird: “Das wahre Problem der Unaufrichtigkeit kommt evidentermaßen daher, daß die Unaufrichtigkeit [mauvaise foi] ein Glaube [foi] sei.” (Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 154) und nicht unbedingt eine Lüge sondern ein “Seinsmodus”( ib. S. 156) ist. Diese Unterscheidung ist wichtig, da Sartre auf dieser Grundlage, nämlich eines Bewusstseins, das etwas ist, was es nicht ist und gleichzeitig nicht das ist, was es ist, die permanente Versuchung der Unaufrichtigkeit aufdeckt, und damit das Bewusstsein selbst untersuchen will, “… das nicht Totalität des menschlichen Seins ist, sondern der instantane Kern dieses Seins.” (ib. S. 160)

Das Engagement stellt Schönherr-Mann mit dem Begriff der littérature engagée in den von Sartre gemeinten Zusammenhang mit der Rezeptionsästhetik, die dem Leser am Entstehungsprozeß des Werkes beteiligt. Allerdings kommt in diesem Kapitel der Gedanke, daß ein Schriftsteller sich nicht ausdrücklich mit einem bestimmten Werk engagieren kann, etwas zu kurz, denn er ist immer engagiert, das heißt, er kann der Verantwortung für seine Werke nicht ausweichen. Andererseits weist Schönherr-Mann auch in seinen anderen Kapiteln sehr wohl auf die Bedeutung der Verantwortung gerade in der Verbindung mit dem Sartreschen Konzept der Freiheit ausdrücklich hin. Sartres Behauptung, die Wörter seien sein Abschied von der Literatur gewesen, darf, so wie Bernard-Henri Lévy dies getan hat, und Schönherr-Mann zitiert ihn, nicht überbewertet werden. Die monumentale Flaubert-Studie ist der beste Beweis dafür, daß ihn die Literatur sehr wohl weiter beschäftigt hat.

Seine Flaubert-Studie ist, wie es in ihrem Vorwort steht, die Fortsetzung von Questions de méthode, einem Artikel der zunächst 1957 in einer polnischen Zeitschrift erschien und dann in überarbeiteter Form im gleichen Jahr in Les Temps modernes, in dem Sartre die Zusammenhänge zwischen dem Existentialismus und dem Marxismus untersucht. Die Kritik, die Sartre in diesem Aufsatz, der 1960 wieder zu Beginn der Kritik der dialektischen Vernunft erscheint, am Marxismus äußert, erlaubt es nicht, vorbehaltlos von seinem “marxistisch orientierte[m] Denken” zu sprechen. Seine Kritik am Marxismus in seiner damaligen Praxis ist so deutlich, daß eine Verbindung zwischen Der Idiot der Familie und der Kritik der dialektischen Vernunft allenfalls auf der Ebene einer Kritik an der Dialektik selbst zu erkennen ist. Im übrigen übersieht Schönherr-Mann Sartres deutliche Reserviertheit gegenüber dem Stalinismus oder dem Kommunismus sowjetischer Prägung. Er zitiert den von Sartre und Merleau-Ponty zusammen unterzeichneten Artikels “Les jours de notre vie”, der 1950 in Les Temps modernes erschien, in der es heißt, daß die UdSSR sich im Gleichgewicht der Kräfte auf der Seite derer befinden würden, die gegen die uns bekannten Ausbeutungsformen kämpfen würden. (S. 137) Die Schlußfolgerung auf eine Zurückhaltung Sartres hinsichtlich einer Kritik am sowjetischen Lagersystem kann durch den Zusammenhang nicht gerechtfertigt werden. Sartre fügt an dieser Stelle hinzu: Die Dekadenz des russischen Kommunismus könne die marxistische Kritik nicht ungültig machen, und man müsse keine Nachsicht gegenüber dem Kommunismus zeigen, das heißt aber auch nicht, daß man sich mit seinen Gegnern verbinden könne. (Cf. Sartre, Merlau-Ponty, Les jours de notre vie, in: TM, Nr. 51, 1950, S. 1162 f). Im diesem Artikel heißt es u.a.: “A moins d’être illuminé, on admettra que ces faits remettent entièrement en question la signification du système russe.” (ib. S. 1154) und “… il n’y a pas de socialisme, quand un citoyen sur vingt est au camp.” (ib, S. 1155) und “En regardant vers l’origine du système concentrationnaire, nous mesurons l’illusion des communistes d’aujourd’hui.” (ib. S. 1160) Sartres Wegbegleitung der KPF von 1951-1956 hat ihn zu keiner Zeit dazu veranlaßt, seine Prinzipien und Konzepte hinsichtlich der Freiheit des Menschen aufzugeben.

Sein 1970 in einem Interview geäußertes Erstaunen, (cf. Sartre par Sartre, in: ders., Situations, IX, S. 101 f.) darüber , daß er geschrieben habe, der Mensch sei immer frei, zu entscheiden, ob er ein Verräter oder nicht sein werde, wird von Schönherr-Mann mit der Frage verbunden, ob er mit seinem marxistischen Engagement die Freiheit aufgegeben habe? Eine unmittelbare Antwort gibt er nicht, aber beim Leser bleibt vielleicht ein bestimmter Eindruck von diesem Interview haften. Man muß Sartres ganze Antwort lesen, in der er ganz unmarxistisch wiederholt, daß jeder immer dafür verantwortlich sei, was man aus ihm gemacht habe, denn jeder Mensch könne immer etwas aus dem machen, wozu man ihn gemacht habe. Dies sei die Definition, die er jetzt der Freiheit geben würde.

“Philosophie als Lebensform” heißt der Untertitel des hier besprochenen Buches, in dem Autor im letzten Kapitel sein Ergebnis vorlegt: “… Sartres Existentialismus zeigt den Menschen ihre Freiheit und Selbstverantwortlichkeit sowie den Reflexionszwang, um ihr Leben selber zu gestalten.” (S. 158)

Mit diesem Band ist dem Autor eine interessante Darstellung gelungen, die aufgrund einer geschickten Auswahl verschiedener Konzepte die Entwicklung des Denkens Sartres sowie seine festen Bezugspunkte in einen Zusammenhang mit seiner Zeitgeschichte bringt.

Heiner Wittmann

Weiterlesen

Sartre. Ohne Literatur und ohne Kunst.

Dorothea Wildenburg,
Jean-Paul Sartre,
Campus Einführungen, .
Frankfurt/M.: Campus Verlag 2004.
ISBN 3-593-37394-7

Die Darstellung, die Dorothea Wildenburg in der Reihe Einführungen bei Campus über Jean-Paul Sartre vorgelegt hat, bietet auf 150 Seiten eine knappe Einführung in sein Werk. Die Konzentration auf seine Hauptwerke, eine für die solche Einführungen verständliche und oft übliche Entscheidung, wirkt sich aber auf das Ergebnis dieses Buches eher nachteilig aus. L’imagination (1936) und L’imaginaire (1938) werden nicht genannt; folglich fehlt auch jeder Hinweis auf die Kunst, mit deren Darstellung Sartre in L’imaginaire seinen Freiheitsbegriff L’être et le néant (Gallimard, idées Nr. 101, S. 343-373) vorbereitet. Überhaupt kommt gemäß dieser Einführung die Kunst im Werk Sartres nicht vor. Spätestens aber mit der Lektüre der Flaubert-Studie wird jedem Leser der Stellenwert der Ästhetik im Werk Sartres auffallen, wenn er in L’idiot de la famille die zahlreichen präzise durchgeführten Analysen der Werke Flauberts entdecken wird. Wildenburg weist mit Recht daraufhin, daß Sartre den Menschen verstehen will, auch wenn sie den von Sartre intendierten totalen, also umfassenden Ansatz nur streift, aber das Verhältnis des Porträtierten zu seinem Werk und damit zur Literatur und zur Kunst als Thema von Sartres Werken nicht nennt. Die Art und Weise, wie sie die Bedeutung der Literatur in der Flaubert-Studie übergeht, ist bedauerlich, aber erklärlich, allein schon weil in dieser Einführung Qu’est-ce que la littérature? (1947) und außer zwei Interviews die Situations-Bände gar nicht genannt werden.

Ein Kapitel berichtet über die existentielle Psychonalyse, über Sartres Freud-Kritik, über seine Suche nach dem konkreten Urentwuf und auf einer Seite über die Flaubert-Studie. Sein Verhältnis zum Marxismus und zu den Maoisten wird im Kapitel “Sartres ‘neue Passion'” abgehandelt, in dem allerdings jeder Hinweis auf die zahlreichen kritischen Äußerungen Sartres zum Marxismus und der PCF fehlen. Der im wesentlichen philosophisch geprägte Ansatz dieser Einführung muß die Verbindung von Philosophie und Literatur, die Sartre durch seine Beschäftigung mit der Kunst geprägt hat, übersehen. Einführungen dieser Art übergehen viele wesentliche Aspekte seines Werkes, sie nehmen wie hier nur einige Werke in den Blick, zeichnen seine vermeintlichen ideologischen Änderungen nach, stellen sein “Sündenregister” (S. 147 ff.) auf und übersehen dabei die erstaunliche Kontinuität, mit der Sartre sein Werk seit der Beschäftigung mit Jaspers (1927) bis zur Flaubert-Studie geprägt hat.

Dennoch hat Wildenburg aber auf ihre Art eine solide Einführung in seine Philosophie vorgelegt. Ihre wichtigsten Begriffe von L’être et le néant, über die demnächst auf deutsch vorliegenden Cahiers pour une morale bis zur Critique de la raison dialectique werden hier in kurzer und prägnanter Form dargelegt und helfen auch beim Verständnis seiner philosophischen Hauptwerke.

Heiner Wittmann