Rezension: Éric Anceau, Ils ont fait et défait le Second Empire

Der Band von Éric Anceau > Ils ont fait et défait le Second Empire enthält 25 Biographien von Persönlichkeiten, die den Aufstieg Louis-Napoleons gefördert, zum Erfolg des Zweiten Kaiserreichs beigetragen, es kritisch begleitet haben oder an seinem Sturz beteiligt waren.

Eric Anceau, der für seine Veröffentlichungen zu Napoléon III. bekannt ist,(Éric Anceau, L’Empire libéral (2 vol.) T1 Genèse, avènement, réalisations, T2 Menaces, chute, postérité, Paris: Editions SPM 2017 und > Nachgefragt: Eric Anceau, Napoléon III – 18. Februar 2014) lehrt Geschichte an der Universität Sorbonne Paris IV.

Es ist ein gewisses Wagnis, das Regime Napoleons III. und damit das Zweite Kaiserreich (1852-1870) auf 25 Kapitel und Personen zu reduzieren. Aber, bedenkt man “Le Second Empire est un régime vertical et personnel, incarné par un homme, Napoléon III,” (S. 7) wie hier der erste Satz ganz richtig lautet, dann haben wir schon einen ersten Hinweis darauf bekommen, warum der Ansatz von Anceau sich so gut realisieren lässt. Das so persönliche Regime von Napoleon III, der sich ganz systematisch mehr als 25 Jahre auf dieses Staatsamt vorbereitet hat, und schon im Vorfeld von einer Reihe besonderer Persönlichkeiten unterstützt wurde, hat sich diese Netzwerkbildung auch von 1852-1870 erhalten. Ganz ohne Zweifel hat dieses Netzwerk das persönliche Regime Napoleons III. nicht nur ergänzt, es war dessen Voraussetzung. Geschickt hat der Kaiser sich seiner Unterstützer versichert und hat auch seinen Kritiker trotz Diktatur und Zensur, wie z. B. den Künstlern (1) einen gewissen Freiraum überlassen, den diese wiederum nutzten, um dem Regime eine öffentliche Bühne zu bieten, die auch international eine große Beachtung fand.

Und die Auswahl der Persönlichkeiten, die in diesen 25. Kapiteln vorgestellt werden, überzeugt. Durch sie und ihre Verbindungen untereinander zusammen mit der so profunden Kenntnis des Autors über das Zweite Kaiserreich, ergibt sich eine ganz eigene, geradezu packende Geschichte des Zweiten Kaiserreichs. Jeder dieser Persönlichkeiten kommt wie auf einem Schachbrett eine bestimmte Position zu und ihre Summe erläutert das Beziehungsgeflecht seiner Unterstützer und Kritiker und zeigt zugleich die Möglichkeiten und Grenzen der Handlungsspielräume des Kaisers.

An erster Stelle steht die Prinzessin Mathilde (1820-1904), Tochter von Napoleons jüngstem Bruder Jérôme wird die Verlobte von Louis-Napoleon, ein Verlöbnis, dass nach dem gescheiterten Coup von Straßburg wieder gelöst wird, aber sie wird 1851 den Staatsstreich mitfinanzieren und einen einflussreichen Salon im Zweiten Kaiserreich unterhalten. Ihre Biographie tritt hier beinahe in den Hintergrund, so intensiv wird ihre Unterstützung für ihren Vetter in allen Einzelheiten geschildert, sein Aufstieg aus der Sicht Mathildes.

Victor de Persigny (1808-1872) macht 1835 die Bekanntschaft mit Louis-Napoleon und bereitet dessen Staatsstreich in Straßburg vor. Auch bei Boulogne-sur-Mer ist er dabei, später gründet er ein “Comité Napoléon”, hilft ihm bei der Wahl zum Staatspräsidenten und tritt in die Regierung ein.

Charles de Morny (1811-1865), der Halbbruder des Kaisers, der Sohn von Hortense und Charles de Flahaut und wird den Staatsstreich von 1851 organisieren und 1854 wird er Präsident des Corps législatif. Morny wird Autor von M. Choufleuri restera chez lui le… vertont von Jacques Offenbach (1819-1880). (3)

Die wichtigsten Unterstützer beim Aufstieg des künftigen Kaisers kommen also aus  der eigenen Familie, so auch der Prince Napoléon (1822-1891) “Plon-Plon”, der dritte Sohne von Jérôme Bonaparte. Diese Unterstützung hält sich allerdings in Grenzen, obwohl der Prinz immer wieder neue Aufgaben übernimmt, sich aber nie mit seiner Kritik an der Politik und dem Regime Napoleons III. zurückhält. Plon-Plon wird das “Enfant terrible du bonapartisme” (S. 39). Er wird General im Krimkrieg, verlässt aber die Armee wegen Unstimmigkeiten und übernimmt in Paris die Präsidentschaft über die Weltausstellung 1855. Später wird der Minister für Algerien und die Kolonien, ein Amt, das er aber im März 1859 wieder aufgibt.

Als Überraschung erscheint hier an 5. Stelle George Sand (1804-1876) : “La romancière socialisante”. (2): “Le dialogue direct ou à distance est un bel avatar des relations intemporelles entre l’homme ou a femme de lettres et le pouvoir.” (S.75) Geschickt verurteilt sie Cäsar, so wie ihr Korrespondenzpartner ihn in seiner Histoire de Jules César dargestellt hatte und meint damit die Staatsstreiche; drei hatte Louis-Napoleon unternommen, was ihm vor allem die Künstler nie verziehen haben. Und deshalb erscheint hier auch der Exilant auf der Kanalinsel Victor Hugo (1802-1885) an 6. Stelle

Abd el-Kader, jean-Baptiste Vaillant, Eugénie, Prosper Mérimée, Pie IX, Georges Haussmann, Les frères Pereire, Eugène Viollet-le-Duc, Königin Victoria, Camillo Cavour, Victor Duruy, Louis Pasteur, Eugène Rouher, Adolphe Thiers, Emile Ollivier, Otto von Bismarck, Achille Bazeine, Léon Gambetta, le Prince Impérial, sie alle verkörpern entscheidende Phasen des zweiten Kaiserreichs, sie haben als Politiker, Künstler oder Vertreter auswärtiger Mächte die Geschicke des Regimes so wesentlich beeinflusst.

Sicher war Napoleon III. ein Alleinherrscher; er war aber immer auf Unterstützer angewiesen, die er sowie er ihre Qualifikationen erkannt hatte, wie z. B. im Falle von Georges Haussmann persönlich förderte, um sich ihrer Mithilfe bei seinen Plänen, hier die Umgestaltung von Paris, zu vergewissern. Auf diese Wiese schärft der Autor die Darstellung der politischen Geschichte des Zweiten Kaiserreichs. Dabei zeigt er mit den Biographien dieser Persönlichkeiten, wie sie, wenn sie den Kaiser unterstützen, zur Modernisierung Frankreichs beigetragen haben. Kaum eine von ihnen, mit kleineren Ausnahmen, hat die autoritäre Seite des Regimes maßgeblich gefördert.

Der wirtschaftliche Aufschwung, das Engagement der Künstler wie auch das rhetorische Geschick der Politiker, die auf der Seite Napoleons III. oder auch Opposition zu ihm standen, haben alle maßgeblich zur Entwicklung der politischen Kultur beigetragen.


1. Heiner Wittmann, Napoleon III. Macht und Kunst, Reihe Dialoghi/dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs, hrsg. v. Dirk Hoeges, Band 17, Verlag Peter Lang, Frankfurt, Berlin, Bern u. a., 2013.
2.  Heiner Wittmann, Schreiben für eine bessere Welt. Der literarische Utopismus der Georges Sand, in: Heidi Beutin, Wolfgang Beutin, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Herbert Schmidt, Claudia Wörmann-Adam (Hg.)> Reich der Notwendigkeit, Reich der Freiheit. Arbeitswelten in Literatur und Kunst, Mössingen, Talheimer-Verlag 2018, 267 Seiten, S. 165-190.
3. Mardi 4 juin 2019: H. Wittmann, Jacques Offenbach und das Zweite Kaiserreich
mit Susanne von Laun, Hamburg, Vortrag im Institut français in Mainz

Éric Anceau
> Ils ont fait et défait le Second Empire
Paris: Tallandier 2019
ISBN: 979-10-210-2719-0

Neu erschienen: Dante Alighieri, La Divina commedia

Es ist ein Glücksfall, wenn ein Sprachenverlag neben den Lektüren für den Sprach- und Literaturunterricht auch Werke der klassischen Literatur verlegt: Gerade hat der Romanist Karheinz Stierle (vgl. > Romanistik als Passion: Ein Gespräch mit Professor Dr. Karlheinz Stierle – www.france.-blog.info, 26. September 2013) die deutsche Dante-Rezeption unter dem Titel “Der deutsche Dante” in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Juli 2021 gewürdigt, da legt der Verlag Ernst Klett Sprachen eine Übernahme von italienischen Verlagen als Lektüre für den Sprach- und Literaturunterricht vor: Dante Alighieri (1265-1321), > La Divina Commedia, entstanden zwischen 1307 und 1321, vor. Für diese Ausgabe hat Alberto Cristofori eine leicht lesbare kommentierte Fassung mit Originalzitaten hergestellt.

Das Gedicht ist unterteilt in drei Abschnitte Die Hölle, Das Fegefeuer und Das Paradies, die einer Ich-Form die Wanderung des Menschen durch diese drei Jenseitsbereiche schildern. Der Erzähler wird von Vergil durch die Höllenkreise geführt. Er wird am Läuterungsberg ab dem 5. Bußbezirk, dort wo die Ehrgeizigen, ausharren müssen, vom Dichter Statius unterstützt. Zu Beginn des irdischen Paradieses übernimmt Matelda Virgils Rolle, die den Erzähler zu Beatrice bringt, die dem Leser von Dantes Vita Nova vertraut ist.

Die hier vorliegende Ausgabe enthält neben dem Überblick über die Ereignisse, Übungen zum Leseverständnis und reichhaltige enzyklopädische Angaben, mit denen die Feinheiten des Textes erläutert werden.

Wer mehr von der Divina Commedia lesen möchte, dem sei die zweisprachige mit der > Übersetzung von Hermann Gmelin empfohlen, die als dreibändige Ausgabe, mit je einem Kommentarband bei Klett-Cotta  erschienen und leider vergriffen ist.

Karlheinz Stirle,
> Dante Alighieri. Dichter im Exil, Dichter der Welt
München, Beck 2014.

> www.dante-gesellschaft.de

Dante Alighieri
> La Divina Commedia
A cura di Alberto Cristofori
Legger mente – I Grandi Classici – La Spiga – Grupo Editioirale Eli –
240 Seiten
Stuttgart : Ernst Klett Sprachen GmbH 2021
ISBN 978-3-12-515607-4

Rezension: Alain Queruel, La Franc-Maçonnerie sous Napoléon III


Der 2019 erschienene Band von Alain Queruel > La Franc-Maçonnerie sous Napoléon III berichtet über die Entwicklung der Freimaurer im Zweiten Kaiserreich von 1852-1870.

Am 2. Dezember 1848 war der Neffe des Kaisers Louis-Napoleón in der im Februar 1848 ausgerufenen II. Republik zum Ersten Staatspräsidenten Frankreichs gewählt worden. Die Verfassung verbot eine Wiederwahl nach vier Jahren, der Versuch einer Verfassungsrevision scheiterte, so blieb dem Präsidenten nur ein  Staatsstreich mit nachfolgendem Referendum, das ihm die Macht für 10 Jahre sicherte, bevor nach einem erneuten Referendum am 2. Dezember 1852 das Zweite Kaiserreich ausgerufen wurde.

Der neue Machthaber kannte die Macht der Freimaurer, die sich am 5. Oktober 1852 in einer Mitteilung des Grand Orient für die Wiedereinführung der Kaiserwürde zugunsten des Prince-Président ausgesprochen hatte. (vgl. S. 31 ff.) Kurz nach seiner Machtübernahme hatte der Grand Orient Lucien Murat (1803-1878), der Sohn von Caroline Bonaparte der Schwesterer Napoleons I. und Joachim Murat, König von Neapel, die Würde des Großmeisters angetragen. Gab es Druck seitens des Regimes? Victor Fialin, duc de Persigny, der neue Innenminister und Freimaurer, sandte am 25. Mai 1852 eine Note an die Freimaurer, sicherte Ihnen die Unterstützung des Regimes zu, ließ aber auch durchblicken, dass die “Loges ‘égarées'” (S. 38) sich zu dem Regime zu unterwerfen hätten. Kaum jemand andres als Louis-Napoléon, jetzt Napoleon III. konnte besser wissen,  welche Gefahr die Freimaurer für ein Regime bedeuten konnte. Implizit wird dies mit der Studie von Alain Queruel > La Franc-Maçonnerie sous Napoléon III deutlich. Wird doch das neue Regime, wie bereits angedeutet, die Freimaurer unter eine strenge staatliche Aufsicht stellen. Doch sie betrachteten den neuen Großmeister Lucien Murat mit Misstrauen, wie im 2. Kapitel mit großer Detailkenntnis geschildert wird.

Den Freimaurern werden nicht nur staatliche Zügel angelegt, die Gründung der Loge Bonaparte im Oktober 1852 ist beinahe eine Regierungsorganisation, ihre Logentafel liest sich mit den Namen der Familie Bonaparte, vieler Regierungstreuen, wie Anhängern de Garde impériale wie ein Verzeichnis offizieller Persönlichkeiten des Regimes.

Aber es brodelt in den Logen und die italienische Einigung und Rom wurde die Hauptstadt, aber Murat sprach sich für die Unabhängigkeit des Vatikans aus, obwohl die katholische Kirche deutlich gegen die Freimaurer Position bezogen hatte. Viele weitere internen Streitigkeiten führten dazu, dass sich die Kandidatur des Prinzen Napoleon-Jérôme für den Großmeister abzeichnete, der sich aber dafür aber nicht bereit zeigte. Schließlich wird Rexès im Namen des Großmeisters im März 1861 eine Anordnung des Präfekten des Departement Seine überbringen, mit der eine Versammlung zum Zweck der Wahl des Großmeisters verboten wird.

Am 11. Januar 1862 unterzeichnet Napoleon III. ein Dekret, mit dem Marschall Magnan (1791-1865) als Großmeister des Grand Orient ernannt wird: “Un pilier de l’ordre” lautet die Überschrift des Abschnitts, in dem die Entscheidungen des neuen Großmeisters dargestellt werden: “Un militaire pur et dur”. Es gibt Hinweise darauf, dass Napoleon III. die Freimaurer vielleicht gar verbieten wollte, aber er hatte sich wohl wie sein Onkel eines Besseren belehren lassen. (vgl. S. 90)

Die Darstellung von Alain Queruel ist auch bemerkenswert, weil er die innen- und außenpolitischen Geschichte des zweiten Kaiserreichs (Ch. 6. De l’Empire autoritaire à l’Empire  libéral) geschickt mit der Geschichte der Freimaurer verbindet: Ein Staat im Staate? 1865 wird General Mellinet (1798-1894) Großmeister des Grand Orient für eine Wahlperiode. Mellinet, so berichtet  Queruel, habe selber nur wenige Beziehungen zu den Freimaurer vorweisen können (vgl. S.  121), was den Eindruck der Vormundschaft des Regimes über die Freimaurer eher verstärkt.

Die letzten Kapitel enthalten Berichte über die Aufnahme von Frauen, in die Logen, die mit der Einführung von Maria Deraisme 1882 begann. (vgl. S. 125). Ohne Zweifel übten die Logen einen gewissen Einfluss zugunsten des laizistischen Unterrichts aus: S. 143-165.

Das Kapitel 10 berichtet über die Beziehungen der Freimaurer zu den Juden und im 5. Teil der Untersuchung wird die Entwicklung der Freimaurer in Afrika und in Übersee dargestellt.

Die Kapitel 14 und 15 berichten über vier Freimaurer Eugène Pelletan (1812-1884), Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865), Jean Marie Ragon de Bettignies (1781-1882) und Eliphas Lévi (1810-1875), die beiden Letztgenannten kümmerten sich um eine Weiterentwicklung der Riten : “Un renouveau du symbolisme maçonnique.”

Mit Recht bestätigt der Umschlagtext, die Dritte Republik als ein goldenes Zeitalter der Freimaurer, das aber durch deren Geschichte im zweiten Kaiserreich vorbereitet wurde. Die Frage stellt sich, ob es dem Regime wirklich gelingen konnte, den Grand Orient vollständig unter staatliche Aufsicht zu stellen, zu groß war die Vielfalt die sich in den vielen Logen äußerte. Sie waren zu mächtig, um verboten zu werden… schließlich wusste Napoleon III. nur zu gut, wem er u. a. seinen politischen Aufstieg auch zu verdanken hatte. Ein Verbot hätte die Freimaurer unweigerlich in die Opposition getrieben und das Regime möglicherweise auch in Gefahr gebracht. Wie auch immer, die Freimaurer hatten sich im Zweiten Kaiserreich eine gute Machtbasis geschaffen, um bei den großen Fragen der Dritten Republik, Emanzipation der Frauen, soziale und religiöse Fragen, wie auch hinsichtlich des Laizismus an erster Stelle mitzureden.

Alain Queruel
> La Franc-Maçonnerie sous Napoléon III
Tolouse: Cépaduès Éditions 2019

Retrouvez la présentation de l’ouvrage : vidéo réalisée par Jacques Carletto et publiée par Hiram.be