Isabell Stal: Eine Einführung in Sartres Philosophie

Isabell Stal,
La philosophie de Sartre. Essai d’analyse critique,
PUF (coll. Thémis Philosophie) Paris 2006.
ISBN 2-13-055642-6

In ihrer Einleitung weist Stal auf die Vielfalt in Sartres Werk hin und nennt sie sein Paradox. Was sich nicht einordnen läßt, wird zweideutig. Jede seiner Interpretationen und Ansätze sei für sich wahr – aber immer nur bis zu einem bestimmten Punkt, an dem die gewöhnliche Einordnung und Klassifizierung in bekannte Denkschamata aufhört, möchte man ergänzen. Und es gibt in den Universitäten keine eigentlichen Sartre-Schüler oder – Anhänger. Stal nennt zwar die Temps modernes und auch die Groupe d’études sartriennes, deren Anhängerschaft eher in einem vertraulichen Rahmen bleiben. Die Vielfalt der Beiträge beim Kolloqium 2005 in Cérisy-la-Salle und die Aufmerksamkeit, die Sartre während zahlreicher Kolloquien 2005 zuteil wurde, erlauben es, dieses Urteil ein wenig zu nuancieren.

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Mitmachseiten. Eine kritische Bewertung.

Etienne Candel hat kürzlich sein Studum an der Ecole des hautes études en sciences de l’information et de la communication (Celsa) – ein Institut der Universität Paris IV – Sorbonne mit einer Doktorarbeit zu dem Thema, “Autoriser une pratique, légitimer une écriture, composer une culture : les conditions de possibilité d’une critique littéraire participative sur Internet. Etude éditoriale de six sites amateurs.” abgeschlossen.
Seine Arbeit paßt zu den Debatten um das neue Internet, das man auch das Mitmachnetz nennt. Die Doktorarbeit von Candel hat einen doppelten Vorteil, weil sie einerseits die Beiträge der Besucher analysiert und sich folglich beinahe ausschließlich auf die Inhalte und auf die Bewertung der Beiträge für die Seiten konzentriert, die eine Beteiligung der Besucher erhoffen.
Das Ziel der Arbeit Candels erfordert keineswegs einen vollständigen Korpus für die Untersuchung. Es ist wahr, das Mitmachnetz, das man auch Web 2.0 nennt, hat in wenigen Monaten Hunderte von Seiten hervorgebracht, die eine Beteiligung ihrer Besucher in Form von Fotos, Videosequenzen oder Texten erwarten. Oft schlagen diese Seiten ihren Besuchern eine Bewertung ihrer oder der Inhalte der Besucher vor. Das ist ein sehr wirksames Mittel für die Werbung der Seite, das zum Beispiel die Online-Buchhandlung Amazon schon lange einsetzt. Kaum etwas als anderes als das authentische Zeugnis eines Kunden ist besser geeignet, um es den Kunden, die ein Buch kaufen möchten, vorzustellen.
Die Liste der Seiten, Etienne Candel ausgewählt hat:
La liste des sites choisis par Etienne Candel :
www.ratsdebiblio.net
www.zazieweb.fr
www.citiques de livres.com
www.critic-instinct.com
www.lisons.info
www.guidelecture.com
Tatsächlich legt seine Arbeit viel mehr als eine einfache Analyse dieser Internet-Seiten vor. Candel hat eine interessante Arbeit geschrieben, die es erlaubt, die Konzepte der Mitmach-Angebote in einem viel größeren Rahmen zu verstehen, als es diese Auswahl erwarten läßt. Das Verfahren, das er vorschlägt, läßt sich leicht auf die Analyse andere Seiten übertragen. Ich denke gleich an Wikipedia, dessen Schwächen und Vorteile auch sehr gut mit einer solchen Untersuchung evaluiert werden könnten.

Candel beginnt zuerst mit den Texten der Amateure, beschreibt sie und bewertet, wie die Kritik verfaßt wird, dann versucht er den Aufbau dieser Kritiken zu analysieren, danach zeigt er, wie und auf welche Weise man auf diese die Kritik aufmerksam wird. – Das dritte Kapitel des ersten Teils dreht sich um das Phänomen Buch. Hier geht es um ganz sachgerechte Überlegungen, die viele Befürworter des Web 2.0 vernachlässigen, wenn es darum geht, erst einmal zu erörtern, um welche Art von Inhalten es überhaupt geht, wenn der Sinn der Beiträge der Kunden erfaßt werden soll. Es geht zunächst um die “Lektüre als Aneignungen” (S. 112 ff.), die versucht herauszufinden, welche Art der Lektüre zu den vorliegenden Rezensionen geführt hat. Dieses Kapitel ist ein schönes Beispiel, wie die Literaturkritik einen wichtigen Platz in einer Studie zum Web 2.0 einnehmen kann. – Der zweite Teil untersucht sozialpolitische Aspekte der Texte und versucht herauszufinden, wie die Internet-Seiten mit unterschiedlichen Konzepten de Abfassung von Rezensionen zu steuern versuchen. Dazu legt Candel eine Reihe von Beobachtungen vor, wie die Betreiber der Websites ihren Besuchern mehr oder weniger genaue Ratschläge geben oder Vorschriften machen. Die Grafik der Websites und die Werbebanner weisen auf das Lesevergnügen hin und werden manchmal durch präzise Hinweise auf den Aufbau der Rezensionen ergänzt. – Der dritte Teil will die Beziehungen zwischen dem Medium und den Vermittlungen aufdecken. Candel beschreibt hier eine Art Phänomenologie des Internets, das eine Beziehung zwischen “Aussage des Herausgebers und der Aussage der Teilnehmer” (p. 240) herstellt, womit er die Rolle des Internets “im Rahmen der kulturellen Vermittlungen aufdeckt.” (S. 281). Die Verlage werden sich sicher für die Resultate seiner Arbeit interessieren. Wie kann man die Besucher einer Seite dazu motivieren, bei ihr mitzumachen und ihr eigene Texte mit der Bewertung von Büchern anzuvertrauen? Die präzise Beschreibung der Beziehungen der Besucher zu den Mitmachseite, die Beschreibung der Prozesse, wie die Aufmerksamkeit der Kunden angezogen werden soll, und schließlich wo und welchen Bedingungen ihre Beiträge veröffentlicht werden, sind weitere Erläuterungen, mit denen das Phänomen Mitmachnetz erklärt werden kann.

Am Ende seiner Arbeit bestätigt Candel “daß der Amateurkritiker zum einen kritische Beiträge verfasst, dass es sich um einen Bruch in der bisherigen Medienlandschaft handelt, weiterhin geht es um eine Vermittlung, die sich sogar auf eine wissenschaftliche Grundlage berufen könnte, die aber auch Teil einer besonderen Art des Schreibprozesses sein könnte, in dem sie in bekannten Gefilden eine Art Wildern beginnt.” Diese Erkenntnis gibt das Ergebnis seiner Arbeit gut wieder. Tatsächlich hängt es sehr vom Konzept der Internet-Seite ab, ob der Amateur eine kritische, man könnte hinzufügen eine seriöse, Arbeit abliefert oder ob sein Beitrag sich eher oberflächlich entwickelt.
Ohne den vollständigen Umfang der Arbeit hier im Detail vorgestellt zu haben, möchte ich darauf hinweisen, daß das Verfahren Candels mit der Methode, die er hier erarbeitet auf eine sehr interessante Weise zeigt, wie er seine Studien zur Semiotik mit denen der Kommunikationswissenschaften verbunden hat.
Heiner Wittmann