Lexikon: Frankreich erklären

Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fekl, Siegfried Loewe
und Fritz Taubert
Frankreich-Lexikon
Jetzt auch in einer broschierten Ausgabe
Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen, Erich Schmidt Verlag
2., überarbeitete Auflage 2005, 1224 Seiten, 15,8 x 23,5 cm,
fester Einband, ISBN: 3-503-06184-3

Das Frankreich-Lexikon von Bernhard Schmidt (u.a.) ist in einer zweiten Auflage erschienen. Auf rund 1200 Seiten werden mit rund 600 Artikeln alle bedeutenden Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als Schwerpunkte dieses Bandes behandelt. Der Aufbau dieses Lexikons, sein möglicher Adressatenkreis und seine inhaltliche Vielfalt bestimmen die Konzeption dieses Bandes.

Der Aufbau
Ein Sachregister mit französischen Begriffen und ein Register mit deutsch- und anderssprachigen Begriffen erläutern die Grundidee des Lexikons. Der Schwerpunkt liegt auf der Erklärung Frankreich-spezifischer Besonderheiten (von Abolition des privilèges über Cohabitation, Décentralisation, Grandes écoles, Réformes de l’enseignement bis ZEP), das zweite Register erschließt Begriffe, die im Vergleich zu ihrem Verständnis in Deutschland mit ihren französischen Besonderheiten erläutert werden. Auf diese Weise leistet der vorliegende Band einen sehr nützlichen Beitrag zum Verständnis der beiderseitigen Beziehungen. (s. auch die Auswahlbibliographie, die einen eigenen Abschnitt mit Veröffentlichungen zu den deutsch-französischen Beziehungen enthält: S. 1078-1082) Viele Organisationen, die im beiderseitigen Verhältnis als Akteure auftreten, werden genannt: Deutsch-französischer Kulturrat, Deutsch-französische Hochschule, CIRAC – Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine, Deutsch-französische Brigade, Deutsch-französisches Jugendwerk (DFJW) – Office franco-allemand de la jeunesse: “Es hat sich – neben dem Konsultations-Abkommen – auch als stabilstes Element des Vertrags von 1963 erwiesen.”, S. 948. Dem deutsch-französischen Vertrag von 1963 werden fünf Seiten gewidmet. In seiner Würdigung dieses Vertrages heißt es trotz eines positiven Gesamtergebnisses dieses Vertrages, ” … klaffen gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik, Deklarationen und Realitäten weit auseinander.” (Walther Fekl, S. 950) Die “wechselseitige(…) Einschätzung der beiden Völker” hat sich seit 1963 sehr positiv entwickelt. “Die vom Elysée-Vertrag geschaffenen Institutionen, insbesondere das OFAJ, haben dazu beigetragen.” (ib.) Ein Artikel über den Sprachunterricht in Frankreich (im Vergleich mit Deutschland) hätte den Autoren dieses Bandes die Möglichkeit eröffnet, auf die lange Jahre andauernden eklatanten Mängel (Vgl. dazu: Ingo Kolboom: Was wird aus der Sonderbeziehung? (*.pdf), in: Dokumente, Heft 3, Juni 2000, S. 207-214) gerade in den beiderseitigen kulturellen und bildungspolitischen Beziehungen hinzuweisen, die erst jüngst ganz allmählich, eher halbherzig in den Blick der Regierungen rücken.

Inhaltliche Vielfalt
Interessenten können sich mit diesem Band sachgerecht in kurzer Zeit z.B. einen ausgewogenen Überblick über die Entwicklung der französischen Parteien (Partis politiques, und die Artikel über die einzelnen Parteien, und Gesetz über die Parteienfinanzieung: Loi sur le financement des partis) verschaffen, die historischen Grundlagen der Fünften Republik, wie über viele spezifische Themen der französischen Politik (u.a. ein Artikel Centralisation fehlt > Décentralisation, CSA, Intercommunalité, Laïcité, PAC, SMIC) die zum Verständnis diese Landes unverzichtbar sind. Im Artikel Documents- Revue des questions allemandes hätte die Schwesterzeitschrift Dokumente – Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog unbedingt genannt werden müssen. Sie wird aber in der Auswahlbibliographie unter “Laufende Publikationen” (S. 1069) und im Artikel BILD – Bureau international de liaison et de documentation genannt. Leider wird das Deutsch-französische Institut in Ludwigsburg nicht genannt, das als Anlaufstelle für Frankreich-Interessierte eine wichtige Rolle im beiderseitigen Verhältnis hat.

Lexikonartikel müssen immer auf die Einhaltung bestimmter editorischer Regeln und auf einen Umfang achten, der dem Leser die versprochene schnelle Information gemäß des anvisierten Konzepts auch wirklich vermittelt. Die Autoren müssen oft ihr jeweiliges Spezialthema in aller Kürze darstellen. Es wird daher ihren Lesern leichtfallen, immer mal wieder auf Lücken hinzuweisen. Allerdings schleichen sich oft Bewertungen ein, die durch die Knappheit der Artikel verständlicherweise gefördert werden, aber eigentlich vermieden werden sollten: Camus’ Werk im Artikel Existentialisme als “eher pessimistisch” (S. 375) zu charakterisieren ist eine Auffassung, die als Summe des Werks von Camus nicht unwidersprochen bleiben darf.

Eine Zeittafel mit der sinnvollen Verknüpfung in Form der Hinweise auf die dazugehörigen Artikel, eine Liste mit Internet-Adressen, bei denen ebenfalls die Hinweise auf entsprechende Artikel erscheinen, eine von Siegfried Loewe erstellte Auswahlbibliographie (30 S.) und ein Personenregister ergänzen den Band, erschließen ihn und geben nützliche Anregungen und Ausblicke. Das Fehlen eines Hinweises auf die Website Romanistik im Internet ist nicht unbedingt ein Manko angesichts der Vielfalt der Angebote, mit denen sich Interessierte im Internet über Frankreich informieren können. Die im Frankreich Lexikon versprochenen weiteren Informationen (S. 4) unter esv.info/3 503 06184 3 enthalten künftig vielleicht die notwendigen Ergänzungen zu diesem Band.

Besonders interessant sind die zahlreichen Artikel über alle Medien und Verlage in Frankreich, die neben ihrem heutigen Einfluß und deren geschichtliche Entwicklung knapp aber einprägsam umreißen. Das ist ein Vorteil der zweiten Auflage, die sich auf ein solides Fundament beziehen kann. Zusammen mit vielen Artikeln zu Wirtschaftsthemen und französischen Unternehmen ist dieses Lexikon auch für alle sehr gut geeignet, die sich auf einen Dialog mit französischen Geschäftspartnern vorbereiten wollen. Die Themenbreite wird in diesem Band durch viele Artikel mit kulturellen und historischen Inhalten ergänzt: Chanson française, S: 166-172), Festivals, – im Artikel Intellectuels hätte ein Hinweis auf Sartres Plaidoyer pour les intellectuels (1965) erscheinen müssen -, Nouveaux philosophes, Nouvelle vague, Prix littéraires, RAP, Structuralisme, zur Geschichte u.a. zur Révolution française (S. 839-854) Viele Artikel zum französischen Bildungswesen, einschließlich der Darstellung zahlreicher Institute, Universitäten und Grandes écoles bestimmen die Vielfalt dieses Bandes.

Der mögliche Adressatenkreis
Der Band vermittelt Frankreich-Neulingen interessante Kenntnisse und zeigt auch denjenigen, die schon mit Fankreich vertraut sind, wichtige Zusammenhänge auf. Ein historisches Gerüst, ein Faktenwissen, ein Verständnis politischer Entscheidungen und somit eine Phantasie hinsichtlich möglicher Entwicklungen der deutsch-französischen Beziehungen, für die sich ein Engagement lohnt, ist unverzichtbar. Viele politische Verantwortliche wohl auf beiden Seiten vernachlässigen oft zugunsten kurzsichtiger tagespolitischer oder parteipolitischer Interessen, bestimmte Chancen, um den beiderseitigen Beziehungen das Gewicht wiederzuverleihen, das die Zivilgesellschaft ihnen täglich gewährt, ohne dafür stets die notwendige politische Unterstützung zu erhalten. Viele wichtige Initiativen in der EU hatten ihren Ursprung im deutsch-französischen Dialog, der auf einer immer besseren Kenntnis voneinander beruhte. Wenn dieses Gespann sich immer häufiger verspricht, künftig immer enger zusammenarbeiten zu wollen, ohne entsprechende Taten auch wirklich folgen zu lassen, ist dies ein Hinweis auf solch kurzfristige tagespolitische Interessen, die oft einer sachgerechten Überprüfung nicht standhalten. Genauso wie ein öffentlicher Dialog in Deutschland (noch nicht) oder mit Frankreich über die EU-Verfassung nicht zu erkennen ist, sind effektive deutsch-französische Initiativen zugunsten Europas nicht in Sichtweite. Ein eigener Eintrag Frankreich und die Europäische Union hätte Interessierten zu diesem Thema die Haltung Frankreichs aufzeigen können. In dem vorliegenden Band werden Informationen zu diesem Thema in über 20 verschiedenen Artikeln angeboten, in denen die EU meist nur beiläufig erwähnt wird. Ebenso fehlt laut Register auch ein Hinweis auf den europäischen Verfassungsentwurf. Die historische Entwicklung wird in den Artikeln Cinquième République (EWG, S. 184), PAC – Politique agricole commune, Traité de Mastricht, u.a. dargestellt. Die Gestaltung der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist Grundlagenarbeit, wie die jüngst begonnene Entwicklung des deutsch-französischen Geschichtsbuches zeigt. Für diese beharrliche und notwendige Arbeit der Aufklärung und Einsicht in die von vielen ungeahnten Möglichkeiten, die die Beschäftigung mit Frankreich eröffnet, liefert das Frankreich-Lexikon eine gute Basis.

Heiner Wittmann