Literatur und Kunst

Keine der Voraussetzungen, die Ernst-Wilhelm Händler zu seinen „Sieben Thesen zur Autorschaft von heute“ (FAZ, 3.8.2019) nennt, ist richtig. Die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Algorithmen und Literatur, um dann den Kunstwillen der Kunst zu negieren, ist mehrfach misslungen. Einmal, weil Händler dabei ganz ohne Not Wesentliches von einem Literaturbegriff wie die historische Dimension und den Anteil des Lesers gar nicht in den Blick nimmt, eher unterschlägt und sogar dann noch suggeriert, dass die dann verbliebene Bestimmung der Literatur von heute Anlass zur Sorge gebe. Und zum Zweiten, weil die Chancen der digitalen Literatur in seinem Vortrag noch nicht einmal gestreift werden. Nein, es gibt wahrlich keinen Grund für einen Abgesang auf die Qualität der Literatur, weil Händels Voraussetzungen allesamt falsch sind.

Literatur hat neben ihren möglichen Protokollaktivitäten in der sie umgebenden Gesellschaft auch eine Kraft der Vorhersage der Beeinflussung und überhaupt eine Art der Reflexion über Vergangenes, Gegenwärtiges und Künftiges, die weit über bloße Zustandsbeschreibungen hinausgeht. Literatur hat eine ganz andere Bedeutung als nur die, die den alten marxistischen Widerspiegelungsbegriff aufgreift. Indem ein Autor etwas benennt, wird es nicht nur bekannt, sondern verliert frei nach Sartre seine Unschuld und modifiziert die Haltung des Lesers zum genannten Objekt. Literatur ruft so immer zur Veränderung auf, das ist die Appellfunktion, die Sartre in seiner Literaturästhetik so einfach wie präzise hergeleitet hat. Literatur ist keinesfalls nur eine bloße Beschreibung der Gesellschaft. Schreiben hat immer eine Bedeutung auch für den Leser und es ist schon seltsam, dass er in diesem Vortrag von Händler eigentlich gar nicht vorkommt und wenn nur eine ganz marginale Rolle bekommt. Aber dennoch ist der Leser ganz maßgeblich am Prozess der Entstehung von Literatur beteiligt. Und dann ist da noch die Kunst, die Ästhetik der Literatur, nach der Händler eigentlich fragt, die er aber als essentiellen Bestandteil der Literatur im Titel einmal andeutet, dann aber in seiner Rede vergisst, um sie am Ende ohne substantielle Begründung zu negieren.