Rezension: Violaine Houdart-Merot, La Création littéraire à l’université

Kann man das Schreiben von literarischen Texten lehren und lernen? In ihrem jüngst erschienenen Band La Création littéraire à l’université stellt Violaine Houdart-Merot, emeritierte Professorin für französische Literatur an der Universität Cergy-Pontoise, die Entwicklung, wie Kreatives Schreiben an französischen Universitäten gelehrt wird, vor. Der Band verdient insofern die Aufmerksamkeit auch deutscher Romanisten, weil hier in präziser Form Entwicklungen des Faches Französische Literatur erklärt werden.

“L’irrésistible ascension de la création littéraire” steht als Überschrift über der Einleitung, die nachzeichnet, wie nach 2014 Masterstudiengänge zum Kreativen Schreiben sich entwickelten. Französische Literatur wurde seit ca. 1900 immer im Rahmen von Literaturgeschichte und -theorien gelehrt. Nachdem gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Rhetorik in den Hintergrund trat, interessierte man sich nicht mehr besonders für die Kunst des Schreibens:vgl. S. 6. Es entwickelten sich Unterschiede zwischen der Literatur und den andren Künsten. (s. auch S. 18-21)

In Frankreich ist die Öffnung zum Kreativen Schreiben in den Universitäten erst vor kurzem erfolgt. Violaine Houdart-Merot will in ihrem Band Konzepte dazu vorstellen und fragt auch danach, welchen Platz die Literatur in der Gesellschaft einnehmen soll?

Zuerst untersucht sie die “Tradition françaises et culture du commentaire”, die den Rhetorikunterricht beendete und die Lektüre bevorzugte und folglich aus Abschlussarbeiten wissenschaftliche Untersuchungen werden ließ. Die Folge war die allgemeine Einsicht, dass das Schreiben selbst nicht lehrbar sei.

Im zweiten Kapitel “Entrer dans la littérature par la pratique” stellt sie die Anstöße vor, mit den Universitätsreformen nach 1970 und den neuen Schreibateliers nach 2000 zu einem Umdenken geführt haben: S. 40-44. “Faire du lecteur un producteur de textes”: intertextualité et critique génétique lautet eine Zwischenüberschrift über dem Kapitel, in dem die theoretischen Grundlagen der Arbeiten von Roland Barthes und Gérard Genette genannt werden. Nicht vergessen darf man hier die Wiederbelebung der Rezeptionsästhetik durch Jean-Paul Sartre, der in Qu’est-ce que la littérature ? (Paris: Gallimard 1948) erklärte, dass ein Geisteswerk nur entstehen könne, wenn Autor und Leser zusammenarbeiten. Es ist die Praxis, die über den Erfolg entschiedet, so zitiert die Autorin François Bon: “Écrire ne s’apprend pas. Simplement voilà : ils écrivent. Et c’est cela, qui se travaille.”

Das Kapitel “Profession écrivain” ist als eine Art Studienführer eine wahre Fundgrube für deutsche Romanisten. Hier erklärt Violaine Houdart-Merot die Unterschiede zwischen französischen und amerikanischen Ansätzen zum kreativen Schreiben und ihre Vermittlung und skizziert die Berufsaussichten für die Absolventen dieser Studiengänge: S. 65 f.

Da diese Ausbildung in der Universität stattfindet, äußert sich auch die Forschung dazu: “La recherche en création”, wie z.B. Das Doctorat SACRe: Sciences, Arts, Création, Recherche, das im November 2012 eingerichtet wurde und in Zusammenarbeit mit der École normale supérieure entwickelt wird. In diesem Zusammenhang kommt Violaine Houdart-Merot auf die vielen Autoren zu sprechen, die ihrerseits ihre eigene Schreibpraxis erläutert und kommentiert haben, unter ihnen z. B. Stéphane Mallarmé: S. 109 ff.

Das letzte Kapitel untersucht Auftritte von Schriftstellern in der Universität und in der Öffentlichkeit: Vgl. dazu > Donnerstag 07.04.11 20.00 Uhr: > Michel Houellebecq, Karte und Gebiet im Stuttgarter Literaturhaus, oder Donnerstag 20.12.18 19.30 Uhr: > Bodo Kirchhoff, Dämmer und Aufruhr

Eine ausführliche Bibliographie, S. 147-153 ergänzt diesen Band.

Violaine Houdart-Merot ist es aufgrund ihrer Erfahrung gelungen, in präziser Form spezielle  Entwicklungen des Literaturunterrichts in französischen Universitäten aufzuzeigen, von denen auch deutsche Romanisten profitieren sollten. Außerdem bietet sie mit ihren Erklärungen zur Rhetorik und zum Stellenwert französischer Poetiken nicht nur nebenbei wichtige Grundlagen für das Literaturstudium.

Violaine Houdart-Merot,
La Création littéraire à l’université,
Saint-Denis : Presses Universitaires de Vincennes 2018