Ronald Aronson, Camus & Sartre, Amitié et combat

Ronald Aronson, Camus & Sartre, Amitié et combat, übers. v. D. B. Roche, D. Letellier, Alvik Editions, Paris 2005. ISBN 2-914833-28-8 

Über den Streit zwischen Camus und Sartre, der der sich an der Ideologiekritik in L’homme révolté (1951) entzündete und nach einem öffentlichen Schlagabtausch in Les Temps modernes zum vollständigen Bruch zwischen beiden führte, ist immer wieder berichtet worden. 1)

Jetzt ist die französische Übersetzung der Untersuchung (2004) erschienen, mit der Ronald Aronson die Beziehungen zwischen Jean-Paul Sartre und Albert Camus zwischen ihrem ersten Zusammentreffen von 1943 und dem Bruch von 1952 eingehend analysiert. Mit einem Abstand von 50 Jahren, so der Autor, liegen jetzt genügend Dokumente vor, die eine Untersuchung dessen erlauben, was sich zwischen beiden zugetragen hat. Ihre Beziehung wurde so eng, daß schließlich auch ihre Werke Antworten auf Fragen formulierten, die sich beide stellten. Es ergaben sich aber dennoch Differenzen, die Aronson im Vorwort ankündigt, und die schließlich zu ihrem Zerwürfnis führten. Es kommt also darauf an, zu ermitteln, zu welchem Zeitpunkt und aufgrund welcher Themen oder Ereignisse ihre Meinungsverschiedenheiten erkennbar wurden. Der Kalte Krieg und seine Auswirkungen, so lautet Aronsons Erklärung, habe lange Zeit einer Aufarbeitung ihrer Geschichte im Wege gestanden, da ihre Interpreten immer wieder versucht waren, sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden. (Cf. S. 11, 15 )

Nach dem Ende des Kalten Krieges kann nun das historische Verdikt, dass Camus’ Ideen als einen Irrtum bezeichnete, umgedreht werden, um nun seine politische tadellose Klarsicht zu hervorzuheben. Mit dieser Auffassung entsteht ein methodisches Problem, das den Ansatz dieser Untersuchung betrifft. Muß Camus’ L’homme révolté unter dem Eindruck der Beurteilung seiner Gegner und damit entsprechend den Spezifika seiner Zeit gelesen werden, um den Streit von 1952 in seiner ganzen Tragweite verstehen zu können? Mit diesen beiden Fragen, die den Beginn ihres Disputs und die Interpretation von L’homme révolté und der daraus erkennbaren Bedeutung für ihren Streit betreffen, soll die vorliegende Untersuchung geprüft werden.

Aronson glaubt nicht daran, daß der Bruch zwischen beiden durch ihre Auffassungen von Anfang an vorherbestimmt gewesen sei, sondern vielmehr der Kalte Krieg habe ihre zunächst guten Beziehungen getrübt und schließlich scheitern lassen. Aronson möchte sich nicht auf die vorhandenen Biographien beider und Zeugnissen andere verlassen, sondern er will sich auf ihre Werke konzentrieren und so die Bezugspunkte finden, die sich auf das Werk des jeweils anderen beziehen.

Camus rezensiert 1938 La nausée (Camus, Essais, Paris 1965, S. 1417-1419) und Sartre rezensiert seinerseits 1942 L’étranger (Sartre, Situations, I, Paris 1947, S. 120-147). Aronson zeigt die Zusammenhänge zwischen diesen Texten der beiden Rezensenten. Wenn auch Sartre bald der Bekanntere von beiden ist, so ist der doch von Camus’ Engagement überrascht. “Sartre et tout à fait étranger au pragmatisme de l’action.” (S. 40) erklärt Aronson und erinnert an die immer mal wieder von einigen Autoren geäußerte Verwunderung über Sartres späte Entdeckung der Politik. In der ersten Jahreshälfte 1944, so Aronson, wird Camus, der Chefredakteur der Zeitung Combat ist, zum Mentor Sartres. Die Politik, die beide 1952 trennen wird, hat auch beide zusammengeführt, so lautet Aronsons These. Wenn auch beiden gewisse Grenzen der Übereinstimmung bewußt waren, so wurde doch Camus zu einem der engsten Freunde Sartres.

Der Text, der Sartres Engagement auslöste oder zumindest mitbestimmte, soll Camus’ Roman La peste (1947) gewesen sein. Aronsons Analyse, wie beide Ihre Ansichten austauschen und gemeinsame Berührungspunkte beibehalten, widerspricht der späteren Darstellung von Simone de Beauvoir, die in den Cérémonies d’adieux behauptete, Camus habe mit dem Existentialismus nichts gemein gehabt. Hier wird beispielhaft der Vorteil von Aronsons Ansatz deutlich, die vorhandenen Werke und Schriften der beiden Autoren genau zu lesen und sich nicht nur auf damalige oder spätere Meinungen und Aussagen zu verlassen. Die zunehmende Politisierung Sartres entwickelt sich parallel zu der Camus’ aber manchmal auch in umgekehrter Richtung. Damit deutet der Autor Sartre Verhältnis zur Kommunistischen Partei an, das die Qualität ihrer Beziehung bald beeinflussen sollte. Ihre Haltungen zur Geschichte lassen weitere Indizien erkennen, die ihre unterschiedlichen Auffassungen andeuten. Die präzise Untersuchung ihrer Texte, die nach der Befreiung entstanden sind, bietet dafür interessante Nachweise. Gerade in bezug auf die Begründung der Freiheit, in deren Rahmen Sartre, so der Autor, seine eher unhistorischen Begriffe der Situation und der absoluten Freiheit zumindest bis zum zweiten Band der Critique de la raison dialectique nicht mit den Realitäten der Menschen in Verbindung bringt, möchte Aronson deutliche Unterschiede zwischen beiden erkennen.

Aronson hält sich an den eingangs versprochenen Vergleich der Texte der beiden Autoren, führt aber immer wieder Äußerungen wie z.B. von Simone de Beauvoir an, erklärt aber auch, welche Details sie aus mehr oder weniger offenkundigen Gründen ausläßt (S. 110), und er beschreibt die Rollen von Merleau-Ponty und Arthur Koestler. Aronson zeigt auch, daß Camus Sartre nicht genau liest und beschreibt, wie es zu unterschiedlichen Interpretationen des Geschichtsbegriffs bei beiden kommt. Die Übereinkunft zwischen Sartre und Camus, daß das Kapitel über Nietzsche aus L’homme révolté in Les Temps modernes veröffentlicht werden soll, zeigt, daß beide von dem herannahenden Gewitter noch nicht so recht etwas ahnen. Nach dem Erscheinen des Buches (1951) kommt es 1952 zum Bruch zwischen beiden, der von der heftigen Ideologiekritik Camus, seine Ablehnung des Kommunismus, und Sartres heftiger Reaktion als Antwort auf Camus Klagen wegen der Rezension aus der Feder Francis Jeansons sich vollzieht: Aronsons Satz “On a vu devenir Sartre un révolutionnaire, Camus devenir un homme révolté.” (S. 191) läßt noch ein wenig die Absicht erkennen, doch ein Lager wählen zu wollen, die Aronson zu Beginn des Kapitels allen Interpreten von L’homme révolté zuschrieb. 2)

Beide hätten, so Aronson, in den Monaten nach dem Ende ihrer Freundschaft wenig geschrieben.- Camus veröffentlicht 1954 die Novellensammlung L’été, deren Themen seine Grundüberzeugungen Revue passieren lassen und er schreibt mehrere wichtige Texte über die Aufgaben des Künstlers -. Sartre veröffentlicht die Artikelserie Les communistes et la paix. 1956 erscheint La Chute, mit dem Camus sogleich einen beachtlichen Erfolg erzielt. Aronson liest diesen Roman als eine Antwort auf die Vorwürfe, die Sartre 1952 an Camus gerichtet hatte. 1975 erwähnte Sartre in einem Interview das Zerwürfnis mit Camus, erklärte daß er sich gegen den Brief Camus’, der mit den Worten “Monsieur le Directeur” begann, gewandt habe. Aber, er fügt auch hinzu: Camus sei vielleicht der letzte gute Freund gewesen.

Aronson zeigt in überzeugender Weise, wie es aufgrund der Zeitumstände und der unterschiedlichen Geschichtsauffassungen Sartre und Camus’ zu ihrem Streit kam, der das Ende ihrer Freundschaft besiegelte. Er zeigt aber auch, daß der Streit an beiden nicht spurlos vorbeigegangen ist und wie ihre späteren Werke immer wieder von diesem Streit geprägt sind. Nach Camus’ Tod hat Sartre in seinem Nachruf auf die Nähe Camus’ zu den französischen Moralisten hingewiesen. Er ordnete Camus in die lange Reihe der Erben der Moralisten ein , deren Werke das repräsentieren, was zum Ursprünglichsten der französischen Literatur gehöre. Und Camus habe durch die Hartnäckigkeit seiner Verweigerungen gegen die Machiavellisten und das goldene Kalb des Realismus die Existenz der Moral bestätigt.

Heiner Wittmann

www.logosjournal.com/issue_4.1/aronson_postel.htm:
Camus, Sartre, and Us: The Story of a Friendship and the Quarrel That Ended It
An Interview with Ron Aronson
With Danny Postel

1) Cf. u.a. : C. Kuhn, “Monsieur le Directeur”, “Mon cher Camus”. Die Anatomie eines Bruchs, in: B. Wilczeck, Hrsg., Paris 1944-1962. Dichter und Denker auf der Straße, Bühl-Moos 1994, S. 93-102;
H. Wittmann, Albert Camus. Kunst und Moral, Kapitel V: Albert Camus und Jean-Paul Sartre, Frankfurt/M. 2001, bsds. S. S. 94-98.
2) Cf. H.Wittmann, Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert, Tübingen 1996, S. 73-88: Die Kritik am Marxismus.

Brigitte Sändig, Albert Camus, Autonomie und Solidarität

Brigitte Sändig, Albert Camus. Autonomie und Solidarität,
Würzburg: 
Königshausen & Neumann 2004.
ISBN 3-8260-2630-6 

In diesem Band sind 25 Aufsätze versammelt, von denen die größte Anzahl nach 1989 verfasst wurde. Die Autorin hat ihnen durch eine Kapiteleinteilung im Inhaltsverzeichnis eine Struktur gegeben: “Die Bindung an Algerien”, die bis zu seinem Tod sein Werk bestimmt hat, versammelt die Aufsätze des ersten Kapitels. Mit “Kunstausübung, Kunstreflexion” ist das zweite Kapitel überschrieben, in dem u.a. Camus’ Literaturverständnis mit dem Sartres verglichen wird. Das Kapitel “Geschichte und Politik” enthält Betrachtungen zur Zeitgeschichte, Spanien, Deutschland im Jahr 1945, zu seinem Eintreten gegen die Todesstrafe und eine Untersuchung seiner Bezeichnung der “Geschichte von Europas Hochmut”. Das Kapitel “Wirkungen” enthält Aufsätze, in denen sein Werk mit denen anderer Schriftsteller wie Rachid Mimouni oder Gunter Grass und Christoph Hein verglichen wird. Der letzte Abschnitt “Aufnahme” läßt die Rezeption Camus’ in der DDR Revue passieren.

Das erste Kapitel über Algerien enthält vor allem Analysen mit biographischem Interesse in bezug auf seine Herkunft und unterstreicht mit Zitaten aus seinen Tagebüchern und aus dem Romanfragment Le premier homme und der Novellensammlung L’exil et le royaume seine enge Bindung an Algerien. Ohne Zweifel muß sein Werk vor dem Hintergrund dieser Lebensgeschichte gelesen werden. Sändig stellt durchaus kritische Fragen, die Camus’ Verständnis des Zusammenlebens von Kolonisierten und Kolonisatoren betreffen. Ihr Erstaunen über die Wortwahl Camus’, “er spricht … sogar vom “Golgatha-Weg der Kolonisierung des 19. Jahrhunderts” (S. 43) ist nicht berechtigt. In der Fußnote gibt Sändig auch den französischen Wortlaut dieser Passage an “le calvaire des colons de 1848” an. Es sind aber nicht Camus’ Worte, sondern er erwähnt hier lediglich in einer Notiz in seinen Fragmenten im Anhang das Buch Calvaire des Colons de 48 von Maxime Rasteil (1930). Sein Verhältnis zu Algerien muß sicherlich durch eine genaue Lektüre seiner Artikel in seinen Actuelles-Bänden ergänzt werden. Es ist richtig, daß er sich nach 1956 sich zu diesem Thema kaum noch geäußert hat und lediglich seine innere Zerrissenheit erkennen ließ.

Das zweite Kapitel enthält den Aufsatz “Zur Funktion von Kunst und Künstler” (1974), der 1975 in den Beiträgen zu romanischen Philologie veröffentlicht wurde. Im Ansatz untersucht sie hier seine Kunstkonzeption vor dem Hintergrund seiner Biographie. Angesichts der von Camus immer wieder evozierten Absurdität der Welt wird die Kunst für ihn zur einer “Form subjektiver Lebensbewältigung.”
(S. 59) Es ist richtig, die Entwicklung seiner ästhetischen Vorstellungen besonders eng an die Kriegsereignisse und seine Erfahrungen in der Résistance zu knüpfen. Sändig weist auch auf die Rede “Le Témoin de la liberté” hin, in der Camus 1948 die Aufgaben des Schriftstellers präzisiert. Er und die Künstler dürfen dem Leid der Menschen gegenüber nicht teilnahmslos bleiben. Daraus ergibt sich eine etwas nuancierte Auffassung des Begriffs ‘Engagement’, so wie ihn Sartre versteht. Allerdings darf diese Unterscheidung nicht zu stark akzentuiert werden, indem zu verstehen gegeben wird, Camus wende sich allein gegen tödliche Ideologien. Sartres ursprüngliches Verständnis des Engagements (Qu’est-ce que la littérature? 1947) enthält zunächst nur die aus jeder Aktivität eines Schriftstellers entstehende Verantwortung, als Ausdruck seines Engagements ohne, daß er sich expressis verbis für eine Ideologie einsetzt: “Je dirai qu’un écrivain est engagé lorsqu’il tâche à prendre la conscience la plus lucide et la plus entière d’être embarqué…” Sartre, Qu’est-ce que la littérature?, Paris 1948, S. 98. Ohne Zweifel ist der Streit zwischen Camus und Sartre auch auf unterschiedliche Auffassungen in diesem Bereich zurückzuführen, aber in bezug auf die Wirkungsmöglichkeiten der Kunst und die Aufgaben des Künstlers ergeben sich zwischen beiden erstaunliche Parallelen, die auch von ihrem Streit nicht verwischt werden können. Mit Recht weist Sändig auf Camus’ Bemerkung hin, daß die Forderung der Revolte z.T. eine ästhetische Forderung sei. (S. 66) Das ist tatsächlich der Kerngedanke von L’homme révolté, mit dem die Kunst dem Künstler die Aufgabe verleiht, die Welt neu zu erschaffen, wie Camus dies in einem übertragenem Sinn ausdrückt. Camus hat seine theoretischen Überlegungen in seinem Roman La chute (1956) und in der Novelle Jonas ou l’Artiste au travail (1957) fortgeführt. Außerdem hat er seine Überlegungen zur Kunst und zur Verantwortung des Künstlers in seiner Nobelpreis-Rede eindeutig dokumentiert. 1974 hat Sändig folglich die besondere Stellung der Kunst im Werk Camus’ beschrieben, sie zitiert Marx in bezug auf die Kunstproduktion Jonas’, sie zeigt Camus’ Ideologiekritik, aber die besondere Stellung der Kunst in ihrer ihr eigentümlichen Autonomie, die er allen Ideologien entgegensetzt, tritt nicht ganz so deutlich hervor.

Der folgende Aufsatz “Was kann Kunst? Zum Literaturverständnis von Camus und Sartre” ist 1991 entstanden. Das von Sändig gewählte Zitat, mit dem der Beitrag des Schriftstellers hinsichtlich der “Bildung einer konstruktiven und revolutionären Ideologie” (Sartre, Qu’est-ce que la littérature? op.cit., S. 289) dargestellt wird, verleitet sie zu der Anmerkung, so – wenn auch die Unerfüllbarkeit beinahe zugegeben wird – “überfrachtet Sartre den Schriftsteller nicht nur quantitativ, sondern nagelt ihn gewissermaßen auf die engagement-Funktion, ja auf die Erstellung von Ideologie fest.” (S.83) Zu diesem Sachverhalt folgert sie: “Solch konkret-soziale Funktionssetzungen liegen Camus fern.” (ib.). Nun darf aber das gerade erwähnte Zitat Sartres nicht ohne den in Qu’est-ce que la littérature? unmittelbar folgenden Satz gelesen werden: “Il s’agit malheureusement d’espoirs anachroniques : ce qui était possible au temps de Proudhon et de Marx ne l’est plus.” (S. 289 f.) In der Tat, Sartres Literaturmanifest ist eine Neubegründung der Rezeptionsästhetik, so wie sie ein Emile Hennequin im Sinn gehabt hat, es ist aber kein Vademekum für das Erstellen ideologischer Schriften.

Das dritte Kapitel “Geschichte und Politik” enthält einen Aufsatz, in dem sein Verhältnis zu Spanien untersucht wird und einen über die Beziehungen Camus’ zum Deutschland des Jahres 1945. Das letzte Kapitel dieses Abschnitts stellt die Frage nach der Bedeutung von Camus’ “Geschichte von Europas Hochmut”, ein Gedanke, mit dem Camus seinen Essay L’homme révolté (Der Mensch in der Revolte,Le mythe de Sisyphe,Sisyphos, Hamburg 1953, S. 13, L’homme révolté, in: Essais, Paris 1965, S. 420) die Einleitung nennt. Camus erklärt diesen Ausdruck, so Sändig, mit dem “schrankenlosen Autonomieanspruch des Subjekts”, woraus auch für Verbrechen ein Legitmationsanspruch entstände, der im 20. Jahrhundert einen Höhepunkt erreicht. Als Resultat ihrer Untersuchung verweist die Autorin auf C.G. Jung und nennt die Notwendigkeit, heute psychische Realitäten, womit auch das Unbewußte gemeint ist, anzuerkennen. Sändig unterstreicht ihr Ergebnis mit dem Hinweis auf Camus’ Lektüre der Werke C.G. Jungs und A. Adlers. (S. 201). Der Verlauf der Argumentation in ihrem Beitrag visiert das hier dargestellte Ergebnis an. Es ist aus dem Zusammenhang des Textes nicht klar erkennbar, ob Camus an dieser Stelle mit seinem Begriff vom Hochmut Europas wirklich den von der Autorin evozierten Autonomieanspruch zum Ausdruck bringen will. Dieser Begriff steht am Ende des vorletzten Absatzes der Einleitung, die im letzten Absatz, die Revolte als das Thema seines Essays in den Vordergrund rückt, die er mit der Frage nach einer Regel verbindet, die das Absurde nicht vorgeben kann. Er erwähnt auch die Hoffnung nach der Schöpfung, und erinnert daran, daß der Mensch das einzige Wesen sei, das sich weigern kann, das zu sein, was er ist. Insoweit wird hier eine gewisse Autonomie angedeutet, die aber nicht ausreicht, den hier beschriebenen Ansatz der Autorin zu stützen. Läßt man sich aber dennoch auf den von der Autorin gewählten Ansatz ein, findet man hier eine sehr komprimierte, aber interessante Fassung der Grundprobleme von L’homme révolté, die allerdings vom dritten Teil des Essays mit den Überlegungen zur Kunst nicht getrennt werden sollten. Vielleicht war das auch ein Grund für die Schärfe der Auseinandersetzung mit Sartre, bei der lediglich die Ideologiekritik Camus’, der Verriß von Francis Jeanson und die Antwort von Camus (Monsieur le Directeur…) eine Rolle spielten.

Zusammen mit den im letzten Teil folgenden Aufsätzen, die die Werke Camus’ mit denen anderer Autoren vergleichen, dokumentiert dieser Band langjährige, beharrliche Forschungen. Manchmal wird der Blick der Autorin durch die Konzentration auf Details etwas eingeengt. Der Blick auf sein Gesamtwerk mit all seinen Facetten und die behutsame Reduktion biographischer Elemente, die dessen Wirkungsgeschichte eher behindern, ist im Zusammenhang aller Aufsätze angelegt, da sie dem Leser eine eindrucksvolle Perspektive auf die Bedeutung des Werks Camus’ öffnen.

Heiner Wittmann

Albert Camus – Websites

Albert Camus. Kunst und Moral


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Rezensionen Rezension
Albert Camus. Réflexions sur le terrorisme.  Textes choisis et introduits par Jacqueline Levi-Valensi,  commentés par Antoine Garapon et Denis Salas, Paris 2002.      Rezensionen

Anläßlich der Tagung Albert Camus und die Kunst (14. bis 16. November 2003) im Schwäbischen Tagungs- und Bildungszentrum Kloster Irsee hat
Rupert Neudeck einen Vortrag mit dem Titel Camus der Journalist gehalten. Gesellschaften und Vereinigungen  La Société des Études Camusiennes auf der Website von G. Bénicourt
Camus Studies Association Die Website der Société des Etudes Camusiennes in den USA.

Websites zu Albert Camus und seinen Werken

L’Algérie redécouvre son “immense écrivain”, Le Monde, 4.5.2006
Le journalisme, “au service de la vérité”, Le Monde, 4.5.2006
Albert Camus, toujours moderne, Le Monde, 4.5.2006
Une conscience en action, Le Monde, 4.5.2006

Le Web Camus Website von Georges Bénicourt: Links ***
Camus als Journalist
Albert Camus – Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker, Journalist – Website von Rodion Ebbighausen

Péter Nádas: “Der Fremde” von Albert Camus Mein Jahrhundertbuch (9)
L’actualité universitaire sur Camus
Resources for Albert Camus Linkliste
LTHS & RBHS Engaged Learning Projects, Illinois. USA
Albert Camus Critical Interpretation Homepage, Paul M. Willenberg
The Notebook on Albert Camus
Department of Philosophy, Baylor University, Waco: Linkliste
Nobelpreis 1957
La vie d’Albert Camus Maël Monnier

1957 erhielt Albert Camus den Nobelpreis für Literatur.

Seiten über Camus’ Werke

Rezension
Albert Camus. Réflexions sur le terrorisme
Textes choisis et introduits par Jacqueline Levi-Valensi,
commentés par Antoine Garapon et Denis Salas, Paris 2002.
Albert Camus : L’Étranger Maël Monnier
Die Philosophie-Seiten: A. Camus Dieter Köhler
Camus.online.fr: über Le Mythe de Sisyphe, L’homme révolté, La peste und
Le premier homme
Le premier homme: Catherine Camus, in: http://www.spikemagazine.com
Albert Camus, Der Fremde, Aus dem Französischen von Uli Aumüller / Reinbek,
Rowohlt, 1994. Rzension von R. Markner. in: Der Rabe (Zürich) Nr. 45, 1996, S. 218. Internet-Seiten über Albert Camus und seine Werke Le Web Camus Website von Georges Bénicourt: Links ***
Camus als Journalist
Albert Camus – Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker, Journalist – Website von Rodion Ebbighausen

L’actualité universitaire sur Camus
Resources for Albert Camus Linkliste
LTHS & RBHS Engaged Learning Projects, Illinois. USA
Albert Camus Critical Interpretation Homepage, Paul M. Willenberg
The Notebook on Albert Camus
Department of Philosophy, Baylor University, Waco: Linkliste
Nobelpreis 1957
La vie d’Albert Camus Maël Monnier
Seiten über Camus’ Werke

Rezension
Albert Camus. Réflexions sur le terrorisme
Textes choisis et introduits par Jacqueline Levi-Valensi,
commentés par Antoine Garapon et Denis Salas, Paris 2002.

Forum Albert Camus Philippe Beauchemin
L’Etranger d’Albert Camus
Auf der Website http://www.francealacarte.org.uk/, le réseau culturel français au
Royaume-Uni.
Die Philosophie-Seiten: A. Camus Dieter Köhler
Camus.online.fr: über Le Mythe de Sisyphe, L’homme révolté, La peste und
Le premier homme
Le premier homme: Catherine Camus, in: http://www.spikemagazine.com
Albert Camus, Der Fremde, Aus dem Französischen von Uli Aumüller / Reinbek,
Rowohlt, 1994. Rezension von R. Markner. in: Der Rabe (Zürich) Nr. 45, 1996, S. 218
Camus im Schulunterricht

www.klett-franzoesisch.de/camus.html
Dossier pédagogique von Dr. Ernst Kemmner
Albert Camus – L’étranger auf der Website des Oberschulamtes Stuttgart

Bienvenue sur Albert Camus Collège Albert Camus, Maux
Camus.net Lycée Albert Camus, Fréjus
A. Camus, La Peste Unterrichtsreihe von B. Miklitz-Kraft

Sartres Theaterstücke

Benedict O’Donohoe
Sartre’s Theatre: Acts for Life
Modern French Identities, hrsg. v. P. Collier, Vol. 34
Peter Lang, Bern 2005. 301 Seiten.
ISBN 3-03910-280-X

Rechtzeitig zur Neuausgabe der Theaterstücke Sartres in der Pléiade bei Gallimard hat Benedict O’Donohoe, der Präsident der britischen Society for Sartrean Studies und Herausgeber der Zeitschrift Sartre Studies international eine Studie vorgelegt, in der alle Stücke von Bariona (1940

 

In jeder dieser Analysen wird jeweils die Entstehung des Stücks im Zusammenhang mit Sartres Biographie und seinen Werken sowie hinsichtlich ihrer damaligen Rezeption dargestellt. O’Donohoe wehrt sich gegen oft vorherrschende Urteile, die vor allem einen Pessimismus und Nihilismus in den Sartreschen Stücken erkennen wollen. Sartre geht es nicht einfach um Gewalt oder Chaos, sondern er will Protagonisten auf die Bühne bringen, die den Wert des Lebens bestätigen, indem sie das eigene Leben in Gefahr bringen oder es sogar verlieren. Dieser Ansatz korrespondiert mit Sartres eigener Aussage: “Man stürze Menschen in solche allgemeinen extremen Situationen, die ihnen nur zwei Auswege offen lassen, man sorge dafür, daß sie mit ihrer Wahl des Ausweges sich selber wählen, dann hat man gewonnen, das Stück ist gut.” (Sartre, Für ein Situationstheater [November 1947], in: ders., Mythos und Realität des Theaters, übers. v. K. Völker, Reinbek 1979, S. 46) Die beiden vom Autor hinsichtlich des Todesgedanken angeführten Parallelen zu Baudelaire und Jean Genet sollen einen Zusammenhang zwischen seinen Künstlerstudien und seinem Theater herstellen: In dem einen Fall ist es die Umgehung des Selbstmordes, um im Fall Baudelaires den Dichter als Überlebenden darzustellen, und in dem anderen Fall ist es Genets Reaktion auf die Bestimmung als Dieb, also vor allem für andere etwas anderes werden, als das was man ist. Diese Überlegungen führen den Autor zu dem hier bereits zitierten Text Sartres über das Situationstheater, der tatsächlich seine Theaterästhetik in vorzüglicher Weise auf den Punkt bringt: In Grenzsituationen “…offenbart sich die Freiheit auf ihrer höchsten Stufe, da sie ja bereit ist, sich zugrunde zu richten, um sich behaupten zu können.” (Sartre, ib.) Die folgenden Analysen der Theaterstücke teilt der Autor in Kapitel ein, die Sartres Theaterwerk eine Struktur geben: “Das Schaffen der Mythen” (Bariona, ou le Fils du tonnerre, Les mouches, Huis clos), “Zuviel Realität” (Morts sans sépulture, La putain respectueuse, Les mains sales), “Vom spanisch-deutschen Melodrama” (Le diable et le bon dieu, Kean, Nekrassov) und “Wahnsinn und Armageddon” (Les séquestrés d’Altona, Les troyennes).

Weiterlesen

Utopie

Recherches en esthétiqueLinks zum Artikel:
Heiner Wittmann, “L’utopie, critique et progrès sociaux”,
in: Recherches en esthétique: L’Utopie,n° 11 – 2005, S. 35-49:

Recherches en esthétique La photographie de l’ailleurs Une esthétique de la vue in: Recherches en esthétique N° 10 /2004

Utopie – Les sources de l’Utopie
Bibliothèque Nationale de France      > Charles Fourier

Utopie – Gallica : ” Dans le langage courant actuel, “utopique” veut dire impossible ; une utopie est une chimère, une construction purement imaginaire dont la réalisation est, a priori, hors de notre portée…” Mit einer Online-Bibliothek!

L’Encyclopédie de L’Agora: Utopie


Jules Verne

Dirk Hoeges, Grün ist der Franzose und eisern der Deutsche – Jules Vernes „Les cinq cents Millions de la Bégum“ und die Technisierung nationaler Stereotypen, in: G. Großklaus u. E. Lämmert (Hg.): Literatur in einer industriellen Kultur, Stuttgart 1989 (185-203)


Karl Mannheim

Dirk Hoeges,  Kontroverse am Abgrund: Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim. Intellektuelle und „freischwebende Intelligenz“ in der Weimarer Republik, Frankfurt/M. 1994.
—, Karl Mannheim. Ideologie und Utopie, in: Hgg. H. Schauer/M.Lepper, Titelpaare. Ein philosophisches und literarisches Wörterbuch, Stuttgart/Weimar 2018, S. 99-103.


Charles Fourier

Charles Fourier BN
Charles Fourier – Wikipedia
Le nouveau monde industriel, 1829 von Charles Fourier, (1772-1837),

Naufrage des Isles flottantes (1753) de Morelly – Gallica

L’Architecture considérée sous le rapport de l’art, des moeurs et de la législation, 1804
Claude Nicolas Ledoux – Gallica


Condorcet:

Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain

Jean-Antoine-Nicolas de CARITAT, marquis de CONDORCET (1743-1794)

Heiner Wittmann, Condorcet und die Französische Revolution  in: Christina Rohwetter, Marita Slavuljica, Heiner Wittmann (Hrsg.), Literarische Autonomie und intellektuelles Engagement. Der Beitrag der französischen und  italienischen Literatur zur europäischen Geschichte (15.-20. Jh.). Festschrift für Dirk Hoeges zum   60. Geburtstag. Peter Lang, Frankfurt/ M. 2004.


Jules Verne:
Analyses littéraires des romans de Jules Verne
Jules Verne – ABU
Jules Verne, site du Centenaire

Aldous Huxley – Wikipedia

Karl Mannheim, Idéologie et utopie *.pdf


Jean-Paul Sartre:

Martin Suhr, Jean-Paul Sartre zur Einführung, Junius, 2. überarb. Auflage, Hamburg 2004.
ISBN 3-88506-394-8
Braun, Eberhard, Anthropologische oder epochale Dialektik? Differenzen zwischen Sartre und Marx, in: Heinz Eidam und Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (hrsg.), Natur – Ökonomie – Dialektik. Weitere Studien zum Verhältnis von Natur und Gesellschaft, Kasseler philosophische Schriften Bd. 26, Kassel 1989,
S. 61 – 74.

Literatur und Engagement – Décade de Cerisy

Jean-Paul Sartre, eine Einführung

Martin Suhr,
Jean-Paul Sartre zur Einführung,

2. vollständig überarbeitete Auflage,
Hamburg:
Junius,2004.
ISBN 3-88506-394-8

Die Feststellung in der Einleitung, Sartres Einfluss, der sich u.a. “auf seine Auseinandersetzungen zwischen Bürgertum und Kommunismus” bezieht , sei nach dem Zusammenbruch des Ostblock “zu einer lediglich historisch interessierenden Epoche geworden” (S. 12) – auch wenn Suhr, dies hier nur als mögliches on-dit anführt – enthält eine Bewertung, die ihm die Unabhängigkeit, die Sartre für sich in Anspruch nehmen wollte, nicht zugesteht. – Seine Wegbegleitung der PCF in den fünfziger Jahre, er spricht im Interview mit M. Contat von einer “voisinage”, (Sartre, Autoportrait à 70 ans, in : Situations, X, S. 181) war kein bloßes Mitlaufen, sondern auch von dem Versuch geprägt, auf die Partei einzuwirken. Das Scheitern dieses Versuchs ist ein anderes Thema. Es ist genauso erstaunlich, daß Sartre als Zielscheibe heftigster Kritik der PCF um 1947 beinahe nie genannt wird. – Seine Dramen werden, so Suhr, wenig gespielt, seine Romane werden wenig gelesen (cf. I. Grell, Les chemins de la liberté), aber er vermutet, daß seine Biographien und seine philosophischen Schriften seinen Nachruhm begründen. Das Thema seines Gesamtwerkes resümiert Suhr mit einem Zitat aus Saint Genet. Comédien et martyr (1951): “Es geht um die Leidenschaft, die Menschen zu verstehen.” (Saint Genet, S. 219). Wie aber kommt es dazu, daß Sartre versucht, “den Existentialismus dem Marxismus einzuordnen”, fragt Suhr, mit der er seine Position grundsätzlich verändert. Die Antwort auf diese Fragen will Suhr in den philosophischen Schriften Sartres finden. Es ist richtig, daß Suhr ausdrücklich auf die Bedeutung seiner literarischen Schriften für jede Einführung in sein Werk hinweist.

Es folgen sechs Kapitel, in denen Suhr Les Mots (1960), das Dasein als ästhetisches Phänomen (La nausée, 1938, L’existentialisme est un humanisme, 1947), den Geist der Ernsthaftigkeit (L’enfance d’un chef, Réflexions de la question juive), den Menschen als ein nutzlose Passion (L’être et le néant) und die Questions de méthode vorstellt.

Suhr unterstreicht die Ironie und den Witz in Les mots, wo eine Resignation des Autors erkennbar wird, und folgt der Kapiteleinteilung “Lesen”, Schreiben”. Beinahe beiläufig aber dennoch eindeutig erklärt Suhr die Einführung grundlegender Konzepte wie das Nichts, die Unaufrichtigkeit, die Wahl und die Existenz, mit denen Sartre seine Autobiographie strukturiert, die auch als Porträt eines sich entwickelnden jungen Schriftstellers, der von seiner Mission überzeugt ist, gelesen werden könnte. In Les mots werden diese Konzepte so genutzt, als ob der kleine Poulou damals mit ihnen zielstrebig seine Karriere vorbereitet habe. Die Ironie in bezug auf die eigenen Arbeiten kann eigentlich nur erkannt werden, wenn seine philosophischen Grundgedanken dem Leser vertraut sind.

Das Porträt des Roqentin in La nausée (1938) könnte, würde man der Anordnung in Suhrs Einführung folgen, eine Fortsetzung von Les mots sein. Sartre erklärt am Ende von Les mots, er sei Roquentin, an dem er “das Muster seines Lebens” zeige. Wieder geht es um die Konzepte wie Kontingenz, Wahl, die Angst, und es folgt die Einsicht Roquentins, daß sein Denken die Existenz rechtfertigt, woraus seine Verantwortung entsteht. Der Autodidakt hilft ihm bei seinem Erkenntnisprozeß. Roquentin erkennt schließlich die Bedeutung der Kunst: “Die Welt der Kunst ist eine andere Welt, in ihr gib es ein Sein, das nicht Existieren ist; ein Sein der Ordnung und Vollkommenheit.” (Suhr, S. 64.) Diese Einführung in La nausée ist sehr lesenswert, da es Suhr gelingt, den Zusammenhang der Konzepte untereinander zu verdeutlichen, wodurch der Leser geradezu aufgefordert wird, in L’être et le néant (1943) weiterzulesen.

Im genannten Interview mit M. Contat wird Sartre 1975 danach gefragt, was er vom Begriff des Existentialismus halte, und antwortet, der Begriff sei “idiotisch”. (Sartre, Autoportrait à 70 ans, in : Situations, X, S. 192.) Er gibt dann aber doch zu, daß er ihm der Bezeichnung “Existentialist” in Bezug auf seine eigene Philosophie vorziehe. Er selber war mit dem Druck seines so erfolgreichen Vortrags L’existialisme est un humanisme (1947) eher unzufrieden, wohl weil er die darin enthaltenen Ausführungen als eine Verkürzung seiner Philosophie betrachtete. Suhr stellt diesen Vortrag vor der Analyse von L’être et le néant (1943) vor und ergänzt auf diese Weise die bereits in seinen literarischen Werken dargestellten Konzepte seiner Philosophie. Mit längeren Zitaten erläutert Suhr die Struktur dieses Vortrags, der, so Suhr, die existentialistische Philosophie als optimistisch kennzeichnet und sie als eine “Lehre der Tat” (S. 74) beschreibt. In diesem Sinn sei der Mensch “ständig außerhalb seiner selbst”. Damit will Suhr die Perspektive auf L’être et le néant öffnen.

Die Kindheit eines Chefs (1938) und die Réflexions sur la question juive (geschrieben 1944, veröffentlicht 1947) gehören nach Suhr eng zusammen. Die Réflexions sind die theoretische Version der Erzählung von 1938. Andere Autoren (H. Ahrendt, M. Loewenstein, S. 85) haben diese Fragen auch behandelt, aber Sartre war der erste in Frankreich, der diese Überlegungnen in dieser Systematik vorgetragen hat. Für Sartre gilt “Mit einem Wort, der Antisemitismus, ist die Furcht vor dem Menschen.” (in: Sartre, Überlegungen zur Judenfrage, übers. v. V. v. Wroblewsky, Reinbek b. Hamburg, 1994, S. 36), und damit wird die Frage nach der “Urangst vor dem Ich” (S. 85) gestellt, die Suhr anhand der Lektüre von L’être et le néant untersuchen will.

Eine “Grundlegung der existentialistischen Hermeneutik” wird mit L’être et le néant angeboten. Mit den Mitteln, mit denen der Mensch sich selbst begreifen kann, so Suhr, kann der Mensch auch andere begreifen. (S. 86). Auf den folgenden 80 Seiten, also der Hälfte seiner Untersuchung erklärt Suhr die Struktur von L’être et le néant und Sartres Argumentation. “An-sich-Sein” und “Für-sich-Sein”, das zentrale Begriffspaar wird zuerst erläutert, dann folgen Erklärungen zur Ontologie und zur Phänomenologie, lautet der Untertitel doch Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Den zentralen Begriffen ‘Angst” und “Freiheit’, dem hegelschen Begriff des Selbstbewußtseins, dem Begriff “Für andere’ und schließlich der Freiheit werden eigene Kapitel gewidmet. Suhrs Darstellung profitiert von dem Aufbau seiner Einführung, in der er zuerst die Anwendung der Konzepte vorstellt, deren theoretische Zusammenhänge er im Kapitel über L’être et le néant eingehend erläutert. Mit mehreren graphischen Darstellungen (S. 93, 102. 130 f.) erläutert er den Gang der Argumentation Sartres. Die Wahl, die wir sind, ist ein Ausdruck der Freiheit des Menschen. Die Methode, mit der versucht werden kann, diese Wahl zu begreifen, nennt Sartre die existentielle Psychoanalyse. (S. 159) Suhrs Einführung in L’être et le néant erleichtert den Zugang zu diesem Werk. Mit Recht weist er darauf hin, daß in diesem Werk die Antworten auf die Fragen gegeben werden, die in den Werken vor und nach L’être et le néant von Sartre gestellt werden. In diesem Sinne enthält dieser Band eine Begründung der menschlichen Freiheit, deren Aktualität ungebrochen ist.

Questions de méthode veröffentlichte er 1956 zuerst in einer polnischen Zeitschrift und dann stellte diesen Artikel 1960 vor die Einleitung in der Critique de la raison dialectique. Suhr betont, daß dieser Artikel zeigt, wie, Sartre Grundsätze des “historischen Materialismus” (S. 164) aufgreife, um mit ihnen seine existentielle Psychoanalyse zu ergänzen, da er die Mängel dieser Methode bei der Abfassung der Porträts über Baudelaire (1947) und Jean Genet (Saint Genet. Comédien et martyr, 1951) erkannt habe. Die Kritik, die Sartre aber in den Questions an der Entwicklung des Marxismus vorträgt, zeigt mit welcher Eindringlichkeit er die Verbindung von Marxismus und Existentialismus geprüft hat, ohne seine Grundsätze der Freiheit des Menschen auch nur im geringsten in Frage zu stellen. Sartre entwickelt hier die regressiv-progressive Methode, die bis zum Idiot de la famille seine Künstlerporträts bestimmen wird. Es geht um eine Darstellung der Kindheit. Dann werden die Mittel der jeweiligen Epoche mittels der regressiven Methode erkundet, mit denen die historische Einzigartigkeit der Objekte begreifbar gemacht werden soll, ohne daß die Biographie eine alleinige Rolle bekommt. “Werk, Mensch und Epoche” bilden eine Einheit, die es in einem “ständigen Hin und Her” (S. 170) zu erhellen gilt. Auf diese Weise wird eine progressive Methode der Integration dieser Elemente eingeführt. Mit diesen Erkenntnissen soll dann der Entwurf und sein Ziel formuliert werden. Von der Einführung des Marxismus in seine existentielle Psychoanalyse bleibt im wesentlichen seine Kritik am Marxismus. “…il [i.e.] a entièrement perdu le sens de ce que c’est un homme.” Questions de méthode, in: Critique de la raison dialectique, Paris 1960, S. 58) und “…le marxisme concret doit approfondir les hommes réels et non les dissoudre dans un bain d’acide sulfurique.” (ib. S. 37).

In der Préface (1960), die vor den Questions de méthode steht, erscheint der oft zitierte Satz “…je considère le marxisme comme l’indépassable philosophie de notre temps.” (S. 9), der immer wieder Interpreten dazu dient, aus Sartre einen Marxisten zu machen. Man würde seinem Werk und seinen Auffassungen, besonders der harschen Kritik an der Entwicklung des Marxismus, so wie er sie in den Questions de méthode vorträgt, besser gerecht werden, wenn man aus ihr nicht eine Wende in seinem Denken ableitet. Eine Entwicklung seines Denkens gab es ohne jeden Zweifel (cf. Sartre, Autoportrait à 70 ans, in: Situations, X, S. 180) aber ihre Folgen müssen differenzierter gesehen und bewertet werden. Tat-sächlich analysiert Suhr diese Wende nur auf einigen wenigen Seiten, ohne ihrer Analyse den wirklich notwendigen Raum zu geben. Es ist bedauerlich, daß Suhr nur in einigen kurzen Sätzen auf Sartres Porträt Flauberts in L’Idiot de la famille hinweist, aber dennoch hat er das eigentliche Ziel seiner Einführung erreicht. Der Leser erkennt die Zusammenhänge zwischen seinen literarischen und seinen philosophischen Werken. Zugleich öffnet Suhr die Perspektive auf die Künstlerporträts, vor allem auf die Studie über Flaubert. Und er erinnert daran, dass Sartre 1972 und 1974 in den Streitgesprächen mit Philippe Gavi und Pierre Victor trotz deren Drängen von seinem Flaubert-Buch keinerlei Abstand neh-men will, sondern ihnen die Notwendigkeit, diese Untersuchung weiterzuführen, verdeutlicht.

Kurze Einführungen in ein so komplexes Werk wie das von Jean-Paul Sartre sind nicht einfach auszuführen, aber Suhr ist es durch die geschickte Anordnung seiner Kapitel gelungen, eine Kontinuität im Werk von Sartre aufzuzeigen, die im wesentlichen von “der Leidenschaft, den Menschen zu verstehen” bestimmt wird. Damit beantwortet er auch die eingangs gestellte Frage nach dem, was von Sartre bleibt. Es ist die ungebrochene Aktualität seines Werks, das die Freiheit des Menschen immer wieder hervorhebt.

Heiner Wittmann

Romanistik und Neue Medien

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Romanistik im Internet – Die Website gab es bis 2012.

1996 entstand die Website Romanistik im Internet als Begleitung für meine Übung “Romanistik im Internet” am Institut für Linguistik/Romanistik der Universität Stuttgart. 2003 zog die Website um zum Romanischen Seminar der TU Dresden. Eine Sitemap gab einen Überblick über das Anbot dieser Website mit etwa 2000 Links, die vor allem Studenten die Vielfalt der Internet-Angebote zeigen sollte. Mit der Emeritierung von Prof. Dr. Ingo Kolboom, dessen Lehrstuhl diese Website zugeordnet war, und der bedauerlichen Umwidmung seines Lehrstuhls ist das Projekt im Frühjahr 2012 vom Seminar eingestellt worden.

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Festschrift für Professor Dirk Hoeges: Literarische Autonomie und intellektuelles Engagement

Dirk Hoeges - FestschriftChristina Rohwetter, Marita Slavuljica, Heiner Wittmann, (Hrsg.)
Literarische Autonomie und intellektuelles Engagement
Der Beitrag der französischen und italienischen Literatur zur europäischen Geschichte
(15.-20. Jh.)
Festschrift für Dirk Hoeges zum 60. Geburtstag
Peter Lang, Frankfurt/ M. 2004.
ISBN 3-631-52297-5
Bestellung beim Verlag Peter Lang

> Professor Dr. Dirk Hoeges (1943-2020)

Wie kann Literatur einen Beitrag zur Geschichte leisten, ohne ihre ästhetische Autonomie preiszugeben? Diese Frage bildet den verbindenden Leitgedanken der Aufsätze in dieser Festschrift für Dirk Hoeges. Sie versammelt Beiträge, in denen das Verhältnis des Dichters, des Intellektuellen, des homme de lettres zur Politik, zum Zeitgeschehen und zur Geschichte reflektiert wird. Diese literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive profiliert auch die romanistischen Arbeiten von Dirk Hoeges. Die Festschrift zielt auf Darstellung und Analyse der komplexen Verbindungen von Kunst und Gesellschaft, Literatur und Politik, Ästhetik und Geschichte. Am Beispiel herausragender Repräsentanten entscheidender Epochen französischer und italienischer Literaturgeschichte wird gezeigt, dass diese Reziprozität ein kultur- und gesellschaftsbildendes Element der europäischen Geschichte ist. Von Bernardo Machiavelli, Vater des berühmten Niccolò, über Luigi Alamanni, La Rochefaucauld und La Bruyère, Condorcet, Chateaubriand, Brunetière, Casanova, Charles de Villers, Balzac, Achille Murat, Vincenzo Gioberti, Tomasi di Lampedusa, Jacques Maritain bis zu Sartre und Camus wird in diesem Band ein vielfältiges und intellektuelles Panorama vom Renaissance Humanismus bis zur Intellektuellen-Debatte des 20. Jahrhunderts eröffnet.
Bestellung beim Verlag Peter Lang

Inhaltsverzeichnis

Catherine Atkinson      Debts, Dowries, Donkeys
“Giorno per giorno”oder: Wie man in aller Ruhe “Buch führt” über die Wechselfälle des Lebens. Das Tagebuch des Bernardo Machiavelli im Quattrocento-Florenz

Elisabeth Frege
Luigi Alamanni im Kampf mit Fortuna

Eva Regtmeier
Das zweite Gesicht. Zur Funktionalisierung der “dissimulation” in der höfischen Gesellschaft des Ancien Régime

Heiner Wittmann
Condorcet und die Französische Revolution

Johannes Regenbrecht
Die Französische Revolution als Sternstunde des Historikers: Revolutionskritik und Geschichtsschreibung bei François-René de Chateaubriand

Andreas Gipper
Ferdinand Brunetière: Die Literaturkritik des Fin de siècle und die Autonomie des literarischen Feldes

Marita Slavuljica
Eine Frage des Stils: Casanova und die Französische Revolution

Ingrid Rademacher
Magnetismus und Imagination. Charles de Villers philosophischer Roman Le Magnétiseur amoureux

Christina Rohwetter
“Der Geschichte ins lebendige Fleisch dringen”: Literatur, Magie und Geschichte in Balzacs Trilogie Sur Catherine de Médicis
Zur Typologie des Herrschers im französischen Humanismus

Paul Reiter
Achille Murat: Funktionalisierte Massenbildung und das solitäre literarische Subjekt unter dem Damoklesschwertder ‚opinion publique’in einer ökonomisch-utilitaristisch orientierten Arbeitsgesellschaft

Christiane Liermann
Die Begründung der Nation: Italien

Regina Krieger
Die Mafia in Donnafugata: Literatur und Politik in Lampedusas Gattopardo

Andreas Verhülsdonk
Jacques Maritain – oder was ist ein katholischer Intellektueller?

Maike Buß
Intellektuelle und Politik. Deutsch-französische Lernprozesse im 20. Jahrhundert

Sartre. Ohne Literatur und ohne Kunst.

Dorothea Wildenburg,
Jean-Paul Sartre,
Campus Einführungen, .
Frankfurt/M.: Campus Verlag 2004.
ISBN 3-593-37394-7

Die Darstellung, die Dorothea Wildenburg in der Reihe Einführungen bei Campus über Jean-Paul Sartre vorgelegt hat, bietet auf 150 Seiten eine knappe Einführung in sein Werk. Die Konzentration auf seine Hauptwerke, eine für die solche Einführungen verständliche und oft übliche Entscheidung, wirkt sich aber auf das Ergebnis dieses Buches eher nachteilig aus. L’imagination (1936) und L’imaginaire (1938) werden nicht genannt; folglich fehlt auch jeder Hinweis auf die Kunst, mit deren Darstellung Sartre in L’imaginaire seinen Freiheitsbegriff L’être et le néant (Gallimard, idées Nr. 101, S. 343-373) vorbereitet. Überhaupt kommt gemäß dieser Einführung die Kunst im Werk Sartres nicht vor. Spätestens aber mit der Lektüre der Flaubert-Studie wird jedem Leser der Stellenwert der Ästhetik im Werk Sartres auffallen, wenn er in L’idiot de la famille die zahlreichen präzise durchgeführten Analysen der Werke Flauberts entdecken wird. Wildenburg weist mit Recht daraufhin, daß Sartre den Menschen verstehen will, auch wenn sie den von Sartre intendierten totalen, also umfassenden Ansatz nur streift, aber das Verhältnis des Porträtierten zu seinem Werk und damit zur Literatur und zur Kunst als Thema von Sartres Werken nicht nennt. Die Art und Weise, wie sie die Bedeutung der Literatur in der Flaubert-Studie übergeht, ist bedauerlich, aber erklärlich, allein schon weil in dieser Einführung Qu’est-ce que la littérature? (1947) und außer zwei Interviews die Situations-Bände gar nicht genannt werden.

Ein Kapitel berichtet über die existentielle Psychonalyse, über Sartres Freud-Kritik, über seine Suche nach dem konkreten Urentwuf und auf einer Seite über die Flaubert-Studie. Sein Verhältnis zum Marxismus und zu den Maoisten wird im Kapitel “Sartres ‘neue Passion'” abgehandelt, in dem allerdings jeder Hinweis auf die zahlreichen kritischen Äußerungen Sartres zum Marxismus und der PCF fehlen. Der im wesentlichen philosophisch geprägte Ansatz dieser Einführung muß die Verbindung von Philosophie und Literatur, die Sartre durch seine Beschäftigung mit der Kunst geprägt hat, übersehen. Einführungen dieser Art übergehen viele wesentliche Aspekte seines Werkes, sie nehmen wie hier nur einige Werke in den Blick, zeichnen seine vermeintlichen ideologischen Änderungen nach, stellen sein “Sündenregister” (S. 147 ff.) auf und übersehen dabei die erstaunliche Kontinuität, mit der Sartre sein Werk seit der Beschäftigung mit Jaspers (1927) bis zur Flaubert-Studie geprägt hat.

Dennoch hat Wildenburg aber auf ihre Art eine solide Einführung in seine Philosophie vorgelegt. Ihre wichtigsten Begriffe von L’être et le néant, über die demnächst auf deutsch vorliegenden Cahiers pour une morale bis zur Critique de la raison dialectique werden hier in kurzer und prägnanter Form dargelegt und helfen auch beim Verständnis seiner philosophischen Hauptwerke.

Heiner Wittmann

Véronique Taquin, Vous pouvez mentir

Véronique Taquin, Vous pouvez mentir
Editions du Rouergue, Paris 1998, ISBN: 2-84156-128-3

Eines Tages erhält Niels einen anonymen Brief, in dem ihm “A” die Geschichte einer Beziehung mit “B”, die ihn wohl offenkundig verlassen hat, anbietet. Allerdings solle Niels nur Materialien erhalten und die Geschichte selber schreiben. Niels zögert, willigt dann aber während seiner Sendung “Pseudo” mit dem einzigen, kurzen Satz “Ich bin ein öffentlicher Schriftsteller” ein.
Am nächsten Tag erhält er einen weiteren Brief von A und beginnt mit der Niederschrift der Geschichte, die er als Feuilleton in seiner Sendung vorliest. Die einzelnen Episoden, die er aufgrund der Angaben in den folgenden Briefen erfindet, beginnen Niels eigenes Leben zu verändern. Je mehr Hinweise, er in den Briefen von A erhält, umso mehr beginnen Realität und Traum ineinander überzugehen. Ein Roman, in dem der oft bemühte Begriff der Identifikation ein neues Gewicht bekommt. Es geht in der Geschichte oder in den aufeinander folgenden Szenen des Romans um Erwartungen, Lügen aber auch um den Satz, den A in seinem Brief schrieb, “Auf diese Weise ist jeder perfekt frei,” und der eine Grundlage für sein Geschäftsverhältnis mit Niels sein sollte. Ist aber wirklich jeder frei oder nicht doch in ein Geflecht von Verhältnissen eingebunden, aus denen er sich auch durch Lügen nicht befreien kann? In diesem Sinne erforscht die Autorin die Bedeutung der Identifikation und der Leser kann selbst prüfen, ob ihm Niels eher sympathisch ist und ob der Verlauf der Geschichte dieses Urteil beeinflusst. Eine Biographie, die nicht wahr ist, kann schnell zu einem Kriminalroman werden. Und in welchen Momenten droht eine Biographie zu kippen?
Der Autorin ist es gelungen, ein spannendes Buch zu schreiben, in dem die Erzählung und die direkte Rede immer wieder wirkungsvoll ineinander übergehen und die Hauptperson Niels sich zunächst vom Lauf der Ereignisse fortreißen läßt, dann aber doch versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Langsam dämmert es ihm, daß die Fiktion wieder in die Realität übergeht, als er sich für den Lebenslauf seiner Freundin Anna eingehender interessiert und ihn genauer erkunden läßt.

H.W.

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