Sartres Theaterstücke
Sartre’s Theatre: Acts for Life
Modern French Identities, hrsg. v. P. Collier, Vol. 34
Peter Lang, Bern 2005. 301 Seiten.
ISBN 3-03910-280-X
Rechtzeitig zur Neuausgabe der Theaterstücke Sartres in der Pléiade bei Gallimard hat Benedict O’Donohoe, der Präsident der britischen Society for Sartrean Studies und Herausgeber der Zeitschrift Sartre Studies international eine Studie vorgelegt, in der alle Stücke von Bariona (1940
In jeder dieser Analysen wird jeweils die Entstehung des Stücks im Zusammenhang mit Sartres Biographie und seinen Werken sowie hinsichtlich ihrer damaligen Rezeption dargestellt. O’Donohoe wehrt sich gegen oft vorherrschende Urteile, die vor allem einen Pessimismus und Nihilismus in den Sartreschen Stücken erkennen wollen. Sartre geht es nicht einfach um Gewalt oder Chaos, sondern er will Protagonisten auf die Bühne bringen, die den Wert des Lebens bestätigen, indem sie das eigene Leben in Gefahr bringen oder es sogar verlieren. Dieser Ansatz korrespondiert mit Sartres eigener Aussage: “Man stürze Menschen in solche allgemeinen extremen Situationen, die ihnen nur zwei Auswege offen lassen, man sorge dafür, daß sie mit ihrer Wahl des Ausweges sich selber wählen, dann hat man gewonnen, das Stück ist gut.” (Sartre, Für ein Situationstheater [November 1947], in: ders., Mythos und Realität des Theaters, übers. v. K. Völker, Reinbek 1979, S. 46) Die beiden vom Autor hinsichtlich des Todesgedanken angeführten Parallelen zu Baudelaire und Jean Genet sollen einen Zusammenhang zwischen seinen Künstlerstudien und seinem Theater herstellen: In dem einen Fall ist es die Umgehung des Selbstmordes, um im Fall Baudelaires den Dichter als Überlebenden darzustellen, und in dem anderen Fall ist es Genets Reaktion auf die Bestimmung als Dieb, also vor allem für andere etwas anderes werden, als das was man ist. Diese Überlegungen führen den Autor zu dem hier bereits zitierten Text Sartres über das Situationstheater, der tatsächlich seine Theaterästhetik in vorzüglicher Weise auf den Punkt bringt: In Grenzsituationen “…offenbart sich die Freiheit auf ihrer höchsten Stufe, da sie ja bereit ist, sich zugrunde zu richten, um sich behaupten zu können.” (Sartre, ib.) Die folgenden Analysen der Theaterstücke teilt der Autor in Kapitel ein, die Sartres Theaterwerk eine Struktur geben: “Das Schaffen der Mythen” (Bariona, ou le Fils du tonnerre, Les mouches, Huis clos), “Zuviel Realität” (Morts sans sépulture, La putain respectueuse, Les mains sales), “Vom spanisch-deutschen Melodrama” (Le diable et le bon dieu, Kean, Nekrassov) und “Wahnsinn und Armageddon” (Les séquestrés d’Altona, Les troyennes).
In Bariona, das Stück, das erst 1970 in M. Contat, M. Rybalka, Les écrits de Sartre, veröffentlicht wurde, befaßt sich Sartre mit der Mythenbildung, besonders dem Tod, dem Exil und der Liebe. Der Autor weist auch auf das unterschiedliche Verständnis hin, mit denen die Zuhörer damals, je nachdem ob sie zu den Gefangenen oder zu den Bewachern gehörten, das Stück aufgenommen haben, und das Sartre selber kommentiert und erklärt hat. Durch die zahlreichen Parallelen gerade bezüglich des Kolonialismus z. B. zur Critique de la raison dialectique aber auch zu Sartres Vorwort zu Frantz Fanons Damnés de la terre gelingt es dem Autor die Bedeutung von Bariona für das spätere Schaffen Sartres aufzuzeigen, wodurch zu Recht auf Kontinuitäten in seinem Denken hingewiesen wird. Huis clos steht bei Benedict O’Donohoe ganz unter dem Eindruck der Kommentare von Sartre selbst. Aber der Autor zeigt hier auch, wie Sartre Konzepte aus L’être et le néant, wie “la mauvaise foi”, die Unaufrichtigkeit, mit diesem Stück auf der Bühne interpretiert. In Les mouches sind es vor allem die politischen Bezüge, die die Analyse bestimmen. Das Stück wurde 1948 uraufgeführt und je nach Standort der Kritiker ganz unterschiedlich aufgenommen. Viele verstanden es als ein antikommunistisches Stück, sein Autor selbst wollte es als das Stück eines ‘Wegbegleiters’ [der PCF] verstanden wissen.
Die Entscheidung, die Rezeptionsgeschichte den inhaltlichen Angaben voranzustellen, erlaubt eine Straffung auf die wesentlichen Aussagen. O’Donohoe Analyse wirkt besonders dann überzeugend, wenn er die Bezüge zu den Konzepten der theoretischen Arbeiten Sartres herstellt. Biographische Angaben oder Zitate aus den Interviews, soweit diese sich nicht ausdrücklich auf Fragen des Theaters selbst beziehen, wirken teilweise weniger überzeugend. Im letzten Kapitel stellt O’Donohoe die Bezüge der Theaterstücke untereinander her und berührt folgerichtig methodische Fragen, die auch Sartres Literaturästhetik prägen, wie die zu Beginn der Flaubert Studie geäußerte Frage, “Was kann man von einem Menschen heute wissen?” Die Studie von O’Donohoe ist lesenswert, da es ihr gelingt, den Theaterstücken den ihnen zukommenden Platz im Werk Sartres zu geben.
Heiner Wittmann