Camus und die Künstler
H. R. Schlette, Der Künstler und seine Zeit, in: Orientierung, Nr. 21, Zürich, November 2003 (227-231).
In dieser Zeitschrift, die vierzehntäglich in Zürich erscheint, berichtet Heinz Robert Schlette unter dem Titel Der Künstler und seine Zeit über Camus’ Vorträge in Schweden, die dieser anläßlich der Verleihung des Nobelpreises 1957 gehalten hat. In seinem Aufsatz möchte Schlette die von Camus in seinen Vorträgen erwähnte Verbundenheit des Künstlers mit seiner Zeit untersuchen.
Mit “L’artiste et son temps” hatte Camus seine Nobelpreisrede überschrieben. Eine “theoretische Reflexion über die Kunst im allgemeinen, und keine “philosophisch abgerundete Ästhetik” ist der Gegenstand dieser Rede. Die vier Tage zuvor in Upsala gehaltene Rede dient Schlette mit Recht als Hintergrund und als Hilfe zum verständnis der Festrede. So wird die in Upsala erwähnte “Galeere seiner Zeit” deutlich, wenn, man den längeren Auszug nachliest, den Schlette aus der Festrede zitiert. Es geht um Camus’ Altersgnossen, die erst zwanzig waren, als das Hitler-Regime entstand, die die Greueltaten des Zweiten Weltkriegs miterlebten, sich den Konzentrationslager und schließlich der Zerstörung und den Bedrohungen durch die Atomwaffen gegenübersahen. Diese Erlebnisse waren für Camus eine Verpflichtung das Schreiben dem Nihilismus entgegenzusetzen. Mit diesen Ausführungen hatte Camus das Verhältnis der Künstler zur Geschichte auf den Punkt gebracht und ein Engagement formuliert, denen sie und die Intellektuellen nicht entkommen konnten.
Camus definiert nicht die Kunst an sich; er nennt sie und bringt sie in eine Verbindung mit der “création”, die die Art und Weise, um welche Art von Kunst es sich handelt, eher im unklaren beläßt. Schlette hat durchaus Recht, wenn er dies erwähnt. Seine folgende Beobachtung, die sich auf den Satz “Embarqué me paraît ici plus juste qu’engagé,” bezieht, muß sicherlich zur Präzisierung der Auffassung Camus’ , die er in eine Parallele mit einem “service militaire obligatoire” setzt, also einer Aufgabe, der der Küsntler nicht entkommen kann,so genannt werden. Aber bedenklich ist es, den Sartreschen Begriff des Engagements, so wie dieser ihn in Qu’est-ce que la littérature? (1947) entwickelt hat, in einen Gegensatz zu Camus’ embarqué zu stellen. Der Schriftsteller ist engagiert, wenn er zu schreiben beginnt, er hat dafür seine Verantwortung zu tragen. Es geht eben nicht um ein linkes Engagement, das Sartre in seinem Manifest zur Literatur und auch später in dem Rede vor der UNESCO La responsabilité de l’écrivain wiederaufgreift.
Schlettes Hinweis auf Pascal und dem im Fragement 233 (éd. L. Brunschwicg) genannten embarqué ist durchaus einleuchtend, zumal der Künstler der von ihm gewählten Situation nicht entrinnen kann, sondern sie gehört zur Identität des Künstlers, wie Schlette schreibt, der hier auch das Engagement im Sartreschen Sinne nennt, und damit dieses als ein linkes Engagement relativiert.
Camus lehnt Kunst als Leichtfertigkeit und als Propaganda ab. Für Camus soll die Kunst in erster Linie verstehen und nicht Künftiges beschreiben. Geschickt zeigt Schlette die Verbindungslinien zu L’homme révolté (1951), in dem Camus bereits seine Ideologiekritik mit den Aufgaben des Künstlers begründet hatte. In diesem Sinne kommt vor allem der Freiheit und der Ungebundenheit des Künstlers eine entscheidende Bedeutung zu. Camus erwähnt auch die Schönheit, die nicht in den Dienst einer Sache gestellt wreden darf.
Schlette kommt zu dem Urteil, daß beide Reden auch heute noch ihre Aktualität besitzen, da Camus Überlegungen zur Kunst auf das “embarqué”-Sein des Künstlers” hinweist, dasr auch heute der Annomyität der Menschen, ihrer Einbindung in Systeme und Gesetzmäßigkeiten entgegengesetzt werden kann.
Heiner Wittmann