Jean-Paul Sartre, eine Einführung

Martin Suhr,
Jean-Paul Sartre zur Einführung,

2. vollständig überarbeitete Auflage,
Hamburg:
Junius,2004.
ISBN 3-88506-394-8

Die Feststellung in der Einleitung, Sartres Einfluss, der sich u.a. “auf seine Auseinandersetzungen zwischen Bürgertum und Kommunismus” bezieht , sei nach dem Zusammenbruch des Ostblock “zu einer lediglich historisch interessierenden Epoche geworden” (S. 12) – auch wenn Suhr, dies hier nur als mögliches on-dit anführt – enthält eine Bewertung, die ihm die Unabhängigkeit, die Sartre für sich in Anspruch nehmen wollte, nicht zugesteht. – Seine Wegbegleitung der PCF in den fünfziger Jahre, er spricht im Interview mit M. Contat von einer “voisinage”, (Sartre, Autoportrait à 70 ans, in : Situations, X, S. 181) war kein bloßes Mitlaufen, sondern auch von dem Versuch geprägt, auf die Partei einzuwirken. Das Scheitern dieses Versuchs ist ein anderes Thema. Es ist genauso erstaunlich, daß Sartre als Zielscheibe heftigster Kritik der PCF um 1947 beinahe nie genannt wird. – Seine Dramen werden, so Suhr, wenig gespielt, seine Romane werden wenig gelesen (cf. I. Grell, Les chemins de la liberté), aber er vermutet, daß seine Biographien und seine philosophischen Schriften seinen Nachruhm begründen. Das Thema seines Gesamtwerkes resümiert Suhr mit einem Zitat aus Saint Genet. Comédien et martyr (1951): “Es geht um die Leidenschaft, die Menschen zu verstehen.” (Saint Genet, S. 219). Wie aber kommt es dazu, daß Sartre versucht, “den Existentialismus dem Marxismus einzuordnen”, fragt Suhr, mit der er seine Position grundsätzlich verändert. Die Antwort auf diese Fragen will Suhr in den philosophischen Schriften Sartres finden. Es ist richtig, daß Suhr ausdrücklich auf die Bedeutung seiner literarischen Schriften für jede Einführung in sein Werk hinweist.

Es folgen sechs Kapitel, in denen Suhr Les Mots (1960), das Dasein als ästhetisches Phänomen (La nausée, 1938, L’existentialisme est un humanisme, 1947), den Geist der Ernsthaftigkeit (L’enfance d’un chef, Réflexions de la question juive), den Menschen als ein nutzlose Passion (L’être et le néant) und die Questions de méthode vorstellt.

Suhr unterstreicht die Ironie und den Witz in Les mots, wo eine Resignation des Autors erkennbar wird, und folgt der Kapiteleinteilung “Lesen”, Schreiben”. Beinahe beiläufig aber dennoch eindeutig erklärt Suhr die Einführung grundlegender Konzepte wie das Nichts, die Unaufrichtigkeit, die Wahl und die Existenz, mit denen Sartre seine Autobiographie strukturiert, die auch als Porträt eines sich entwickelnden jungen Schriftstellers, der von seiner Mission überzeugt ist, gelesen werden könnte. In Les mots werden diese Konzepte so genutzt, als ob der kleine Poulou damals mit ihnen zielstrebig seine Karriere vorbereitet habe. Die Ironie in bezug auf die eigenen Arbeiten kann eigentlich nur erkannt werden, wenn seine philosophischen Grundgedanken dem Leser vertraut sind.

Das Porträt des Roqentin in La nausée (1938) könnte, würde man der Anordnung in Suhrs Einführung folgen, eine Fortsetzung von Les mots sein. Sartre erklärt am Ende von Les mots, er sei Roquentin, an dem er “das Muster seines Lebens” zeige. Wieder geht es um die Konzepte wie Kontingenz, Wahl, die Angst, und es folgt die Einsicht Roquentins, daß sein Denken die Existenz rechtfertigt, woraus seine Verantwortung entsteht. Der Autodidakt hilft ihm bei seinem Erkenntnisprozeß. Roquentin erkennt schließlich die Bedeutung der Kunst: “Die Welt der Kunst ist eine andere Welt, in ihr gib es ein Sein, das nicht Existieren ist; ein Sein der Ordnung und Vollkommenheit.” (Suhr, S. 64.) Diese Einführung in La nausée ist sehr lesenswert, da es Suhr gelingt, den Zusammenhang der Konzepte untereinander zu verdeutlichen, wodurch der Leser geradezu aufgefordert wird, in L’être et le néant (1943) weiterzulesen.

Im genannten Interview mit M. Contat wird Sartre 1975 danach gefragt, was er vom Begriff des Existentialismus halte, und antwortet, der Begriff sei “idiotisch”. (Sartre, Autoportrait à 70 ans, in : Situations, X, S. 192.) Er gibt dann aber doch zu, daß er ihm der Bezeichnung “Existentialist” in Bezug auf seine eigene Philosophie vorziehe. Er selber war mit dem Druck seines so erfolgreichen Vortrags L’existialisme est un humanisme (1947) eher unzufrieden, wohl weil er die darin enthaltenen Ausführungen als eine Verkürzung seiner Philosophie betrachtete. Suhr stellt diesen Vortrag vor der Analyse von L’être et le néant (1943) vor und ergänzt auf diese Weise die bereits in seinen literarischen Werken dargestellten Konzepte seiner Philosophie. Mit längeren Zitaten erläutert Suhr die Struktur dieses Vortrags, der, so Suhr, die existentialistische Philosophie als optimistisch kennzeichnet und sie als eine “Lehre der Tat” (S. 74) beschreibt. In diesem Sinn sei der Mensch “ständig außerhalb seiner selbst”. Damit will Suhr die Perspektive auf L’être et le néant öffnen.

Die Kindheit eines Chefs (1938) und die Réflexions sur la question juive (geschrieben 1944, veröffentlicht 1947) gehören nach Suhr eng zusammen. Die Réflexions sind die theoretische Version der Erzählung von 1938. Andere Autoren (H. Ahrendt, M. Loewenstein, S. 85) haben diese Fragen auch behandelt, aber Sartre war der erste in Frankreich, der diese Überlegungnen in dieser Systematik vorgetragen hat. Für Sartre gilt “Mit einem Wort, der Antisemitismus, ist die Furcht vor dem Menschen.” (in: Sartre, Überlegungen zur Judenfrage, übers. v. V. v. Wroblewsky, Reinbek b. Hamburg, 1994, S. 36), und damit wird die Frage nach der “Urangst vor dem Ich” (S. 85) gestellt, die Suhr anhand der Lektüre von L’être et le néant untersuchen will.

Eine “Grundlegung der existentialistischen Hermeneutik” wird mit L’être et le néant angeboten. Mit den Mitteln, mit denen der Mensch sich selbst begreifen kann, so Suhr, kann der Mensch auch andere begreifen. (S. 86). Auf den folgenden 80 Seiten, also der Hälfte seiner Untersuchung erklärt Suhr die Struktur von L’être et le néant und Sartres Argumentation. “An-sich-Sein” und “Für-sich-Sein”, das zentrale Begriffspaar wird zuerst erläutert, dann folgen Erklärungen zur Ontologie und zur Phänomenologie, lautet der Untertitel doch Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Den zentralen Begriffen ‘Angst” und “Freiheit’, dem hegelschen Begriff des Selbstbewußtseins, dem Begriff “Für andere’ und schließlich der Freiheit werden eigene Kapitel gewidmet. Suhrs Darstellung profitiert von dem Aufbau seiner Einführung, in der er zuerst die Anwendung der Konzepte vorstellt, deren theoretische Zusammenhänge er im Kapitel über L’être et le néant eingehend erläutert. Mit mehreren graphischen Darstellungen (S. 93, 102. 130 f.) erläutert er den Gang der Argumentation Sartres. Die Wahl, die wir sind, ist ein Ausdruck der Freiheit des Menschen. Die Methode, mit der versucht werden kann, diese Wahl zu begreifen, nennt Sartre die existentielle Psychoanalyse. (S. 159) Suhrs Einführung in L’être et le néant erleichtert den Zugang zu diesem Werk. Mit Recht weist er darauf hin, daß in diesem Werk die Antworten auf die Fragen gegeben werden, die in den Werken vor und nach L’être et le néant von Sartre gestellt werden. In diesem Sinne enthält dieser Band eine Begründung der menschlichen Freiheit, deren Aktualität ungebrochen ist.

Questions de méthode veröffentlichte er 1956 zuerst in einer polnischen Zeitschrift und dann stellte diesen Artikel 1960 vor die Einleitung in der Critique de la raison dialectique. Suhr betont, daß dieser Artikel zeigt, wie, Sartre Grundsätze des “historischen Materialismus” (S. 164) aufgreife, um mit ihnen seine existentielle Psychoanalyse zu ergänzen, da er die Mängel dieser Methode bei der Abfassung der Porträts über Baudelaire (1947) und Jean Genet (Saint Genet. Comédien et martyr, 1951) erkannt habe. Die Kritik, die Sartre aber in den Questions an der Entwicklung des Marxismus vorträgt, zeigt mit welcher Eindringlichkeit er die Verbindung von Marxismus und Existentialismus geprüft hat, ohne seine Grundsätze der Freiheit des Menschen auch nur im geringsten in Frage zu stellen. Sartre entwickelt hier die regressiv-progressive Methode, die bis zum Idiot de la famille seine Künstlerporträts bestimmen wird. Es geht um eine Darstellung der Kindheit. Dann werden die Mittel der jeweiligen Epoche mittels der regressiven Methode erkundet, mit denen die historische Einzigartigkeit der Objekte begreifbar gemacht werden soll, ohne daß die Biographie eine alleinige Rolle bekommt. “Werk, Mensch und Epoche” bilden eine Einheit, die es in einem “ständigen Hin und Her” (S. 170) zu erhellen gilt. Auf diese Weise wird eine progressive Methode der Integration dieser Elemente eingeführt. Mit diesen Erkenntnissen soll dann der Entwurf und sein Ziel formuliert werden. Von der Einführung des Marxismus in seine existentielle Psychoanalyse bleibt im wesentlichen seine Kritik am Marxismus. “…il [i.e.] a entièrement perdu le sens de ce que c’est un homme.” Questions de méthode, in: Critique de la raison dialectique, Paris 1960, S. 58) und “…le marxisme concret doit approfondir les hommes réels et non les dissoudre dans un bain d’acide sulfurique.” (ib. S. 37).

In der Préface (1960), die vor den Questions de méthode steht, erscheint der oft zitierte Satz “…je considère le marxisme comme l’indépassable philosophie de notre temps.” (S. 9), der immer wieder Interpreten dazu dient, aus Sartre einen Marxisten zu machen. Man würde seinem Werk und seinen Auffassungen, besonders der harschen Kritik an der Entwicklung des Marxismus, so wie er sie in den Questions de méthode vorträgt, besser gerecht werden, wenn man aus ihr nicht eine Wende in seinem Denken ableitet. Eine Entwicklung seines Denkens gab es ohne jeden Zweifel (cf. Sartre, Autoportrait à 70 ans, in: Situations, X, S. 180) aber ihre Folgen müssen differenzierter gesehen und bewertet werden. Tat-sächlich analysiert Suhr diese Wende nur auf einigen wenigen Seiten, ohne ihrer Analyse den wirklich notwendigen Raum zu geben. Es ist bedauerlich, daß Suhr nur in einigen kurzen Sätzen auf Sartres Porträt Flauberts in L’Idiot de la famille hinweist, aber dennoch hat er das eigentliche Ziel seiner Einführung erreicht. Der Leser erkennt die Zusammenhänge zwischen seinen literarischen und seinen philosophischen Werken. Zugleich öffnet Suhr die Perspektive auf die Künstlerporträts, vor allem auf die Studie über Flaubert. Und er erinnert daran, dass Sartre 1972 und 1974 in den Streitgesprächen mit Philippe Gavi und Pierre Victor trotz deren Drängen von seinem Flaubert-Buch keinerlei Abstand neh-men will, sondern ihnen die Notwendigkeit, diese Untersuchung weiterzuführen, verdeutlicht.

Kurze Einführungen in ein so komplexes Werk wie das von Jean-Paul Sartre sind nicht einfach auszuführen, aber Suhr ist es durch die geschickte Anordnung seiner Kapitel gelungen, eine Kontinuität im Werk von Sartre aufzuzeigen, die im wesentlichen von “der Leidenschaft, den Menschen zu verstehen” bestimmt wird. Damit beantwortet er auch die eingangs gestellte Frage nach dem, was von Sartre bleibt. Es ist die ungebrochene Aktualität seines Werks, das die Freiheit des Menschen immer wieder hervorhebt.

Heiner Wittmann

Frankreich und Europa

Frankreichs EuropapolitikGisela Müller-Brandeck-Bocquet, Frankreichs Europapolitik, Frankreich-Studien, Band 9, hrsg. v. H. M. Bock, A. Kimmel, H. Uterwedde, GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004.

Wenn man bedenkt, wie lautlos die deutsch-französischen Beziehungen heute auf der Arbeitsebene zwischen den Ministerien in Berlin und Paris funktionieren, ist es erstaunlich, dass Paris und Bonn in der erweiterten EU anscheinend an Einfluss verloren haben, was möglicherweise auf zuviel Reibungsverluste zwischen Paris und Bonn zurückzuführen ist, oder auch schlicht mit einer ungenügenden Kenntnis voneinander auf vielen Ebenen zu begründen ist. Ein zusätzliches Symptom, wie der stete Rückgang der Schülerzahlen, die in den beiden Ländern die Sprache des Nachbarn lernen, nimmt immer erschreckendere Ausmaße an und trotz mancher erfolgreichen Initiativen, wie beim France-Mobil, ist kein Durchbruch in Sicht. Die Zeit nach den Bundestagswahlen wird einer Berliner Regierung wieder Raum zu neuen Initiativen bieten, mit denen sie an frühere im wahrsten Sinne des Wortes grundlegende europäische Erfolge der deutsch-französischen Europapolitik anknüpfen könnte.

In diesem Rahmen kommt der Band von Gisela Müller-Brandeck-Bocquet über die französische Europapolitik zum richtigen Zeitpunkt. Im Kern zeigt auch die französische Politik wie manche anderen Staaten ein Zaudern zwischen der Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte und dem europäischen Einigungsprozeß, wie dies erst jüngst die Ablehnung der europäischen Verfassung durch die Franzosen unterstrichen worden ist. Aber der Wahlkampf für das Referendum wurde von innerpolitischen Themen überlagert, die Regierung verstand es nicht, weder daraus ein europäisches Thema zu machen, noch es irgendeiner Form in besonderer Weise mit den deutsch-französischen Beziehungen zu verknüpfen. Der Vertrag wurde als Benachteiligung der nationalen Wirtschaft empfunden und daher abgelehnt.

Dieses Buch zeigt nach einem kurzen Überblick über die IV. Republik die Entscheidungssysteme der V. Republik. Dazu zählt vor allem die starke Stellung des Präsidenten, die de Gaulle mit der Verfassung der V. Republik begründete. Seine Außenpolitik verfolgte mit den Fouchet-Plänen und schließlich auch mit dem Elysée-Vertrag von 1963 eine europäische Einigung unter französischer Führung. Die Fouchet-Pläne scheiterten, und der Elysée-Vertrag erhielt von deutscher Seite eine Präambel, die die französischen Pläne durchkreuzte, aber dennoch eine solide deutsch-französische Zusammenarbeit mit Ihren Hoch und Tiefs begründete. Unter Georges Pompidou änderte sich die französische Europapolitik mit der Hinwendung zu Großbritannien. das mit Irland im Januar 1973 in die EU aufgenommen wurde. Giscard d’Estaing baute die Außenpolitik des Präsidenten als “domaine réservé” weiter aus. Seine Zusammenarbeit mit Helmut Schmidt führte zur Schaffung des Europäischen Währungssystems (EWS) und zur Einführung der Direktwahl zum Europäischen Parlament. Es ist interessant, wie Müller-Brandeck-Bocquet de Unterschiede hinsichtlich der europäischen Initiativen der französischen Staatspräsidenten schildert und dabei zu verstehen gibt, wie außenpolitische Faktoren und innerpolitische Umstände und Mehrheitsverhältnisse und natürlich die Person des Präsidenten die europapolitischen Entscheidungen in Frankreich prägen.
Sie zeigt auch in ihrem Band, wie Frankreich sich anfangs schon immer zögerlich zu Beginn neuer Initiativen der europäischen Einigung verhielt, dann aber immer wieder und zunehmend immer mehr mit Deutschland zusammen die Initiativen zum Wohl der Gemeinschaft vorantrieb. “Vom Saulus zum Paulus…” nennt die Autorin das Kapitel, in dem sie die Mitterrands Hinwendung zu Europa analysiert. Er, der noch 1956 die römischen Verträge abgelehnt hatte, konvertiert erst zwei Jahre nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten zur Europapolitik. Die Autorin nennt für diese anfängliche Zurückhaltung drei Punkte: Zum einen waren dies innenpolitische Gründen, die mit der Rücksicht auf den linken Rand der PS und die Kommunisten erklärt werden, zum anderen schien sich damit auch eine Distanz zur Politik seines Vorgängers anzudeuten und schließlich konzentrierte sich die neue Regierung zuerst auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Diese Prioritäten erklären auch, wieso das erste Memorandum zu Europa am 13. Oktober 1981 zunächst folgenlos blieb. Der März 1983 brachte die Wende und der Titel dieses Kapitel geht auf eine Überschrift in der FAZ aus jenen Tagen zurück: Nach dem Abschied von einem Sozialismus “à la française”, eine Art Notbremsung, hielt Mitterrand am 24. Mai 1984 vor dem Europäischen Parlament eine Rede und regte die Schaffung eines neuen Vertrags an. Gleichzeitig rückte Mitterrand die deutsch-französischen Beziehungen wieder in Mittelpunkt. Er und Helmut Kohl wurden zum deutsch-französischen Tandem, von dem das Foto in Verdun am 22.9.1984 als beide Hand in Hand der Toten gedachten in aller Erinnerung geblieben ist.

François Mitterrand wurde 1986 mit der Kohabitation konfrontiert und beharrte ausdrücklich auf den Vollmachten seines Amtes, die nach seinen Worten von einer Wahl, die ihn nicht beträfe, in keiner Weise eingeschränkt würden. Nach seiner Wiederwahl im Mai 1988 kam es 1993 zur zweiten Kohabitation mit dem bürgerlichen Lager. Die Zeitenwende von 1989/90 war tatsächlich eine Zäsur, die François Mitterrand ebenfalls nach anfänglichem Zögern entschlossen zu nutzen verstand, indem er seinen Teil zum Gelingen des Maastricht-Vertrages beitrug. Dennoch versteht die Autorin die französische Maastricht-Debatte als das “Ende des goldenen Zeitalters für Europa”. Wiederum waren es vor allem innenpolitische Streitigkeiten zwischen den Anhängern der europäischen Integration und den Skeptikern, die nationale Souveränitätsrechte in Gefahr sahen. Müller-Brandeck-Bocquets Analyse dieser Jahre zeigt in überzeugender Weise die Auswirkungen der parteipolitischen Diskussionen auf die Europapolitik der Regierung und die des Staatspräsidenten. Es lohnt sich, diese Analyse zur Kenntnis zu nehmen, da einige der damaligen Vorbehalte, wenn auch unter leicht veränderten Vorzeichen, kürzlich das Referendum zum EU-Vertrag scheitern ließen.

Mitterands Nachfolger Jacques Chirac, der am 17. Mai 1995 gewählt wird, wurde nach seinem mißglückten Kalkül im April 1997 hinsichtlich der Auflösung des Nationalversammlung mit einer Kohabitation konfrontiert. Die Autorin untersucht eingehend die Gründe, die zu diesem Fehler geführt haben und kommt zu dem Schluß, daß möglicherweise außer innenpolitischen Erwägungen auch Widerstände aus den eigenen Reihen, z.B. die Charles Pasquas gegen die Europapolitik, eine Rolle gespielt haben könnten, und den Präsidenten zu dem Versuch veranlasst haben, die eigene Position mittels Neuwahlen zu stärken. Die Kohabitation mit dem Premierminister Lionel Jospin führte kaum zu institutionellen Veränderungen der Gewichte zwischen dem Staatspräsidenten und der Regierung, die die Autorin eingehend analysiert. Details wurden der Regierung überlassen, aber Chirac steuerte einen “harten Europakurs”, wohl auch um Kritikern aus den eigenen Reihen zuvorzukommen. Auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik kommt in der Darstellung der Autorin nicht zu kurz. Sie macht auch deutlich, daß dieses Thema in Frankreich einen offenkundig besonderen Stellenwert besitzt. Das Versagen Europas in Ex-Jugoslawen überzeugte die anderen Staats- und Regierungschefs sich wieder den französischen Vorstellungen eines “Europe Puissance” anzunähern.
Die Irritationen nach dem Amtsantritt der rot-grünen Koalition in Berlin, für die der Autorin zufolge beide Seiten verantwortlich waren, führten 1999 dann doch wieder zu der Einsicht, daß die deutsch-französischen Beziehungen reaktiviert werden sollten, wie dies der damalige Außenminister Hubert Védrine wünschte. Auf dem Gipfel von Nizza wurde hart um die Ausgestaltung der künftigen Entscheidungsgrundlagen hinsichtlich von qualifizierten Mehrheits- oder Einstimmungskeitsverfahren gerungen. Das Scheitern des Gipfels wurde zum Fiasko für Chirac, der im Endeffekt seine Vorstellungen nicht durchsetzen konnte. Künftig mußte Frankreich damit rechnen, daß Deutschland mit zwei anderen Mitgliedsstaaten Entscheidungen mittels 38 % der EU-Bevölkerung erreichen kann. (S. 213) Dadurch wurde die Parität zwischen Deutschland und den drei Großen außer Kraft gesetzt, erklärt die Autorin. Die Kompliziertheit dieser Vorgänge enthält sicher auch schon den Keim zum Scheitern, des EU-Vertrags, da diese Feinheiten der Stimmverteilungen kaum zu vermitteln sind. Es ist dennoch interessant, der Analyse der Autorin zu folgen, da es ihr gelingt die Ausgangssituation für das europäische Vertragswerk dazulegen.

Nach seiner Wiederwahl 2002 wurde nach dem im Oktober 2002 erreichten Kompromiß in Sachen Agrarreform der 40. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrags von Paris und Berlin zum Anlaß für eine Reihe neuer Initiativen genutzt, die mit der gemeinsamen Erklärung zu diesem Jahrestag unterstrichen wurden, und die weitgehend in den Verfassungsentwurf übernommen wurden. Der Irak-Krieg hatte die EU auf eine Bewährungsprobe gestellt und das Versagen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gezeigt. Die EU war unfähig gewesen, eine gemeinsame Position zu vertreten. Schröder und Chiracs Widerstand gegen den Irak-Krieg mit der Aussicht auf ein französisches Veto wurde von einigen Staaten als der Versuch, Europa zu spalten, verstanden. Die Frage, ob die deutsch-französischen Beziehungen für Europa ein “Spaltpliz” oder ein “Katalysator” seien, beantwortet die Autorin mit dem Hinweis auf dem in der Irak-Krise erneut erfolgten Schulterschluss zwischen Paris und Berlin, den beide Länder nutzen, um “ihre angestammte Motorenrolle” wieder aufzunehmen. Der Erfolg der Zusammenarbeit zeigt sich darin, daß beinahe alle deutsch-französischen Vorschläge im Konvent übernommen wurden.

Frankreich, so lautet das Fazit der Autorin, ist in den Jahrzehnten seit der Gründung der EWG zu Integrationsschritten mit dem Verzicht auf Souveränitätsrechten nur bereit, wenn zentrale nationale Interessen auf dem Spiel stehen. Der Band wurde vor dem Referendum zum Europavertrag veröffentlicht und schließt mit der Hoffnung, das Projekt “Europe Puissance” werde gelingen, wenn Frankreich wieder die Initiative und die Förderung des europäischen Einigungsprozesses übernehmen würde.
Der Verlauf der Jahrzehnte seit Beginn des Europäischen Einigungsprozesses zeigt, wie sehr nationale Europapolitik, also die Einstellung zu Europa von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen in Frankreich geprägt worden ist und welch großen Einfluß Regierungswechsel auf die Gestaltung der Europapolitik haben .

Der Band von Gisela Müller-Brandeck-Bocquet legt eine gelungene Analyse vor, die das Verständnis der Bedingungen für französische Europa-Politik fördern kann. Gleichzeitig ist der Band auch eine Mahnung an die Adresse der künftigen Bundesregierung, die Chancen, die sich den deutsch-französischen Beziehungen ergeben, künftig besser im Interesse der europäischen Einigung zu nutzen und die gemeinsame Europapolitik mit Frankreich zusammen wieder den Bürgern verständlich macht.

Heiner Wittmann

Romanistik und Neue Medien

Romanistiky 2.0. – Das Mitmach-Internet und die Wissenschaft
Facebook, Twitter und Blogs Mit Web 2.0 ein Geschäftsmodell bauen

Romanistik im Internet – Die Website gab es bis 2012.

1996 entstand die Website Romanistik im Internet als Begleitung für meine Übung “Romanistik im Internet” am Institut für Linguistik/Romanistik der Universität Stuttgart. 2003 zog die Website um zum Romanischen Seminar der TU Dresden. Eine Sitemap gab einen Überblick über das Anbot dieser Website mit etwa 2000 Links, die vor allem Studenten die Vielfalt der Internet-Angebote zeigen sollte. Mit der Emeritierung von Prof. Dr. Ingo Kolboom, dessen Lehrstuhl diese Website zugeordnet war, und der bedauerlichen Umwidmung seines Lehrstuhls ist das Projekt im Frühjahr 2012 vom Seminar eingestellt worden.

  Deutsch-französische Beziehungen

www.gallica.de
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La photographie de l’ailleurs : Une esthétique de la vue

” La vraie Venise, où que vous soyez, vous la trouvez toujours ailleurs. ” Sartre, (1)

 

Heiner Wittmann   
La photographie de l’ailleurs : Une esthétique de la vue

dans:  Recherches en esthétique N° 10: L’ailleurs , n° 10, oct. 2004. p. 11-20.

“Ailleurs on mange toujours mieux, ailleurs on se sent, bien sûr toujours mieux mais le souvenir des ailleurs appuyé par les photos suggère parfois que le chez-soi est préférable à tout ailleurs. Ce qui ressemble à un énoncé évident aide pourtant à mieux saisir cet ailleurs qui est le leitmotiv des réflexions sur la photo qui sont le sujet de cet essai. La forme d’un essai semble convenir le mieux pour cerner un sujet aussi vaste que celui qui
suit.

Par son essence même, la photographie est destinée à révéler l’ailleurs à ceux qui regardent un cliché. Réveiller le désir d’être ailleurs, c’est la tâche évidente que l’on assigne à toute photo dans la vitrine d’une agence de voyage ou dans chacun de ses catalogues. Dans ces cas les photos font partie d’un concept de publicité qui joue sur l’aspiration des clients de connaître d’autres pays et de se laisser aider à se dépayser rapidement.

Mais la photographie qui présente l’ailleurs est loin de montrer seulement des villes ou des paysages d’autres continents. La photographie est aussi, dès son invention, rapidement devenue en tant que média le support des nouvelles illustrant le récit des événements qui se sont déroulés ailleurs. De cette façon, une photo se veut au moins objective car elle rend l’aspect des choses telles qu’elles se sont présentées à l’œil de l’appareil photo. Inutile d’ajouter que toute vue est soumise à la subjectivité du photographe. L’angle de vue, le détail plus ou moins grand, la couleur ou le noir et blanc, les contrastes, tout est destiné à modifier l’impression rendue par la photo. (…)”

 Recherches en esthétique N° 10: L’ailleurs – Revue du C.E.R.E.A.P
Centre d’Etudes et de Recherches en Esthétique et Arts Plastiques – IUFM de la Martinique, B.P. 678 . 97262 Fort-de-France CEDEX
ISSN: 1257-9291      Editorial par Dominique Berthet

Directeur de publication et de la rédaction: Dominique Berthet

En vente / Verkauf: Bon de commande
Librairie du Centre G. Pompidou, du Musée d’art Moderne, du Musée du jeu de Paume, La Hune –

 “L’utopie, critique et progrès sociaux”, in: Recherches en esthétique, 2005.

Die Deutsch-französischen Beziehungen aus Verlagssicht

Ne croyons pas que nous défendrons le français dans le monde si nous ne sommes pas capables de défendre l’allemand.” Jean Pierre Raffarin, 22. 1. 2004

Die Deutsch-französischen Beziehungen aus Verlagssicht,
in: “Zwei europäische Völker und ihre Identitäten im Wandel. 50 Jahre deutsch-französische Beziehungen im Prisma des Carolus-Magnus-Kreises“, hrsg. von H.-G, Egelhoff und L. Rüstow unter Mitarbeit von R. Pfromm und C. Theiß. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum des Carolus-Magnus-Kreises, 2004. ISBN 3-00-014330-0

Hier als Download.

www.fplusd.de Das deutsch-französische Sprachenportal

Gemeinsame Erklärung von Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Chirac
zum Deutsch-Französischen Tag am 22. Januar 2004

Bilinguale Züge Frankreich / Deutschland

 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik
über die deutsch-französische Zusammenarbeit.

Programm Voltaire

 France Mobil Website der französischen Botschaft in Berlin

 Frankreich: Sprache und Kultur – Klett Gruppe

 Sprachförderung für Deutsch und Französisch an der Schule
Website der DFJW

 Statistische Veröffentlichungen Nr. 162 – August 2002 *.pdf
Stastik: Dokumentation Nr. 171 – Dezember 2003
Schüler, Klassen, Lehrer und Absolventen der Schulen 1993 bis 2002
Einstellung von Lehrkräften 2002. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 13.12.2002
Dokumentation Nr. 166 – Februar 2003
        Sekretariat der Kultusministerkonferenz

Statistik Allgemeinbildende Schulen, Schüler/innen mit fremdsprachlichem Unterricht

Ingo Kolboom, Was wird aus der Sonderbeziehung? (*.pdf) Plädoyer für eine neue deutsch-französische Nähe: Wider die “Normalisierung” als Diskurs der Entfremdung, in: in: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, Heft 3, Juni 2000, S. 207-214.

Links zu den deutsch-französischen Beziehungen
Romanistik im Internet

Festschrift für Professor Dirk Hoeges: Literarische Autonomie und intellektuelles Engagement

Dirk Hoeges - FestschriftChristina Rohwetter, Marita Slavuljica, Heiner Wittmann, (Hrsg.)
Literarische Autonomie und intellektuelles Engagement
Der Beitrag der französischen und italienischen Literatur zur europäischen Geschichte
(15.-20. Jh.)
Festschrift für Dirk Hoeges zum 60. Geburtstag
Peter Lang, Frankfurt/ M. 2004.
ISBN 3-631-52297-5
Bestellung beim Verlag Peter Lang

Wie kann Literatur einen Beitrag zur Geschichte leisten, ohne ihre ästhetische Autonomie preiszugeben? Diese Frage bildet den verbindenden Leitgedanken der Aufsätze in dieser Festschrift für Dirk Hoeges. Sie versammelt Beiträge, in denen das Verhältnis des Dichters, des Intellektuellen, des homme de lettres zur Politik, zum Zeitgeschehen und zur Geschichte reflektiert wird. Diese literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive profiliert auch die romanistischen Arbeiten von Dirk Hoeges. Die Festschrift zielt auf Darstellung und Analyse der komplexen Verbindungen von Kunst und Gesellschaft, Literatur und Politik, Ästhetik und Geschichte. Am Beispiel herausragender Repräsentanten entscheidender Epochen französischer und italienischer Literaturgeschichte wird gezeigt, dass diese Reziprozität ein kultur- und gesellschaftsbildendes Element der europäischen Geschichte ist. Von Bernardo Machiavelli, Vater des berühmten Niccolò, über Luigi Alamanni, La Rochefaucauld und La Bruyère, Condorcet, Chateaubriand, Brunetière, Casanova, Charles de Villers, Balzac, Achille Murat, Vincenzo Gioberti, Tomasi di Lampedusa, Jacques Maritain bis zu Sartre und Camus wird in diesem Band ein vielfältiges und intellektuelles Panorama vom Renaissance Humanismus bis zur Intellektuellen-Debatte des 20. Jahrhunderts eröffnet.
Bestellung beim Verlag Peter Lang

Inhaltsverzeichnis

Catherine Atkinson      Debts, Dowries, Donkeys
“Giorno per giorno”oder: Wie man in aller Ruhe “Buch führt” über die Wechselfälle des Lebens. Das Tagebuch des Bernardo Machiavelli im Quattrocento-Florenz

Elisabeth Frege
Luigi Alamanni im Kampf mit Fortuna

Eva Regtmeier
Das zweite Gesicht. Zur Funktionalisierung der “dissimulation” in der höfischen Gesellschaft des Ancien Régime

Heiner Wittmann
Condorcet und die Französische Revolution

Johannes Regenbrecht
Die Französische Revolution als Sternstunde des Historikers: Revolutionskritik und Geschichtsschreibung bei François-René de Chateaubriand

Andreas Gipper
Ferdinand Brunetière: Die Literaturkritik des Fin de siècle und die Autonomie des literarischen Feldes

Marita Slavuljica
Eine Frage des Stils: Casanova und die Französische Revolution

Ingrid Rademacher
Magnetismus und Imagination. Charles de Villers philosophischer Roman Le Magnétiseur amoureux

Christina Rohwetter
“Der Geschichte ins lebendige Fleisch dringen”: Literatur, Magie und Geschichte in Balzacs Trilogie Sur Catherine de Médicis
Zur Typologie des Herrschers im französischen Humanismus

Paul Reiter
Achille Murat: Funktionalisierte Massenbildung und das solitäre literarische Subjekt unter dem Damoklesschwertder ‚opinion publique’in einer ökonomisch-utilitaristisch orientierten Arbeitsgesellschaft

Christiane Liermann
Die Begründung der Nation: Italien

Regina Krieger
Die Mafia in Donnafugata: Literatur und Politik in Lampedusas Gattopardo

Andreas Verhülsdonk
Jacques Maritain – oder was ist ein katholischer Intellektueller?

Maike Buß
Intellektuelle und Politik. Deutsch-französische Lernprozesse im 20. Jahrhundert

Sartre. Ohne Literatur und ohne Kunst.

Dorothea Wildenburg,
Jean-Paul Sartre,
Campus Einführungen, .
Frankfurt/M.: Campus Verlag 2004.
ISBN 3-593-37394-7

Die Darstellung, die Dorothea Wildenburg in der Reihe Einführungen bei Campus über Jean-Paul Sartre vorgelegt hat, bietet auf 150 Seiten eine knappe Einführung in sein Werk. Die Konzentration auf seine Hauptwerke, eine für die solche Einführungen verständliche und oft übliche Entscheidung, wirkt sich aber auf das Ergebnis dieses Buches eher nachteilig aus. L’imagination (1936) und L’imaginaire (1938) werden nicht genannt; folglich fehlt auch jeder Hinweis auf die Kunst, mit deren Darstellung Sartre in L’imaginaire seinen Freiheitsbegriff L’être et le néant (Gallimard, idées Nr. 101, S. 343-373) vorbereitet. Überhaupt kommt gemäß dieser Einführung die Kunst im Werk Sartres nicht vor. Spätestens aber mit der Lektüre der Flaubert-Studie wird jedem Leser der Stellenwert der Ästhetik im Werk Sartres auffallen, wenn er in L’idiot de la famille die zahlreichen präzise durchgeführten Analysen der Werke Flauberts entdecken wird. Wildenburg weist mit Recht daraufhin, daß Sartre den Menschen verstehen will, auch wenn sie den von Sartre intendierten totalen, also umfassenden Ansatz nur streift, aber das Verhältnis des Porträtierten zu seinem Werk und damit zur Literatur und zur Kunst als Thema von Sartres Werken nicht nennt. Die Art und Weise, wie sie die Bedeutung der Literatur in der Flaubert-Studie übergeht, ist bedauerlich, aber erklärlich, allein schon weil in dieser Einführung Qu’est-ce que la littérature? (1947) und außer zwei Interviews die Situations-Bände gar nicht genannt werden.

Ein Kapitel berichtet über die existentielle Psychonalyse, über Sartres Freud-Kritik, über seine Suche nach dem konkreten Urentwuf und auf einer Seite über die Flaubert-Studie. Sein Verhältnis zum Marxismus und zu den Maoisten wird im Kapitel “Sartres ‘neue Passion'” abgehandelt, in dem allerdings jeder Hinweis auf die zahlreichen kritischen Äußerungen Sartres zum Marxismus und der PCF fehlen. Der im wesentlichen philosophisch geprägte Ansatz dieser Einführung muß die Verbindung von Philosophie und Literatur, die Sartre durch seine Beschäftigung mit der Kunst geprägt hat, übersehen. Einführungen dieser Art übergehen viele wesentliche Aspekte seines Werkes, sie nehmen wie hier nur einige Werke in den Blick, zeichnen seine vermeintlichen ideologischen Änderungen nach, stellen sein “Sündenregister” (S. 147 ff.) auf und übersehen dabei die erstaunliche Kontinuität, mit der Sartre sein Werk seit der Beschäftigung mit Jaspers (1927) bis zur Flaubert-Studie geprägt hat.

Dennoch hat Wildenburg aber auf ihre Art eine solide Einführung in seine Philosophie vorgelegt. Ihre wichtigsten Begriffe von L’être et le néant, über die demnächst auf deutsch vorliegenden Cahiers pour une morale bis zur Critique de la raison dialectique werden hier in kurzer und prägnanter Form dargelegt und helfen auch beim Verständnis seiner philosophischen Hauptwerke.

Heiner Wittmann

Albert Camus, Bibliographie (Auswahl)

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50 Jahre Nobelpreis für Albert Camus

Albert Camus, Werke (Auswahl) – Carnets I, mai 1935 – février 1942, Paris 1962.
– Carnets II, janvier 1942 – mars 1951, Paris 1964.
– Carnets III, mars 1951 – décembre 1959, Paris 1989.
– Dramen, (übersetzt v. G. G. Meister), Hamburg 1984
– Albert Camus éditorialiste à L’Express. Mai 1955 – février 1956,
hg. von P.-F. Smets [Cahiers Albert Camus 6], Paris 1987.
– Essais, hg. von R. Quilliot, L. Faucon, Paris 1965.
– Journaux de voyages, hg. von R. Quilliot, Paris 1978.
– La mort heureuse, hg. von J. Sarocchi [Cahiers Albert Camus 1],
Paris 1971.
– Le premier homme [Cahiers Albert Camus 7], Paris 1994.
– Lettre au directeur des Temps Modernes [30 juin 1952], in: Les Temps
modernes, Août 1952, S. 317-334.
– Théâtre, romans, nouvelles hg. von R. Quilliot, Paris 1962.

Rezension
Albert Camus. Réflexions sur le terrorisme
Textes choisis et introduits par Jacqueline Levi-Valensi,
commentés par Antoine Garapon et Denis Salas, Paris 2002.
Colloque internationale de Poitiers sur Camus, les 29, 30 et 31 mai 2003.
Rupert Neudeck Gesellschaften und Vereinigungen  La Société des Études Camusiennes auf der Website von G. Bénicourt
Camus Studies Association
Die Website der Société des Etudes Camusiennes in den USA.Websites zu Albert Camus und seinen Werken Le Web Camus Website von Georges Bénicourt: Links ***
Camus als Journalist
Albert Camus – Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker, Journalist – Website von Rodion Ebbighausen

Péter Nádas: “Der Fremde” von Albert Camus Mein Jahrhundertbuch (9)
L’actualité universitaire sur Camus
Resources for Albert Camus Linkliste
LTHS & RBHS Engaged Learning Projects, Illinois. USA
Albert Camus Critical Interpretation Homepage, Paul M. Willenberg
The Notebook on Albert Camus
Department of Philosophy, Baylor University, Waco: Linkliste
Nobelpreis 1957
La vie d’Albert Camus Maël Monnier

Seiten über Camus’ Werke

Rezension
Albert Camus. Réflexions sur le terrorisme
Textes choisis et introduits par Jacqueline Levi-Valensi,
commentés par Antoine Garapon et Denis Salas, Paris 2002.
Albert Camus : L’Étranger Maël Monnier
Die Philosophie-Seiten: A. Camus Dieter Köhler
Camus.online.fr: über Le Mythe de Sisyphe, L’homme révolté, La peste und
Le premier homme
Le premier homme: Catherine Camus, in: http://www.spikemagazine.com
Albert Camus, Der Fremde, Aus dem Französischen von Uli Aumüller / Reinbek,
Rowohlt, 1994. Rzension von R. Markner. in: Der Rabe (Zürich) Nr. 45, 1996, S. 218
Internet-Seiten über Albert Camus und seine Werke Le Web Camus Website von Georges Bénicourt: Links ***
Camus als Journalist
Albert Camus – Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker, Journalist – Website von Rodion Ebbighausen

L’actualité universitaire sur Camus
Resources for Albert Camus Linkliste
LTHS & RBHS Engaged Learning Projects, Illinois. USA
Albert Camus Critical Interpretation Homepage, Paul M. Willenberg
The Notebook on Albert Camus
Department of Philosophy, Baylor University, Waco: Linkliste
Nobelpreis 1957
La vie d’Albert Camus Maël Monnier
Seiten über Camus’ Werke

Rezension
Albert Camus. Réflexions sur le terrorisme
Textes choisis et introduits par Jacqueline Levi-Valensi,
commentés par Antoine Garapon et Denis Salas, Paris 2002.

Forum Albert Camus Philippe Beauchemin
L’Etranger d’Albert Camus
Auf der Website http://www.francealacarte.org.uk/, le réseau culturel français au
Royaume-Uni.
Die Philosophie-Seiten: A. Camus Dieter Köhler
Camus.online.fr: über Le Mythe de Sisyphe, L’homme révolté, La peste und
Le premier homme
Le premier homme: Catherine Camus, in: http://www.spikemagazine.com
Albert Camus, Der Fremde, Aus dem Französischen von Uli Aumüller / Reinbek,
Rowohlt, 1994. Rezension von R. Markner. in: Der Rabe (Zürich) Nr. 45, 1996, S. 218

Véronique Taquin, Vous pouvez mentir

Véronique Taquin, Vous pouvez mentir
Editions du Rouergue, Paris 1998, ISBN: 2-84156-128-3

Eines Tages erhält Niels einen anonymen Brief, in dem ihm “A” die Geschichte einer Beziehung mit “B”, die ihn wohl offenkundig verlassen hat, anbietet. Allerdings solle Niels nur Materialien erhalten und die Geschichte selber schreiben. Niels zögert, willigt dann aber während seiner Sendung “Pseudo” mit dem einzigen, kurzen Satz “Ich bin ein öffentlicher Schriftsteller” ein.
Am nächsten Tag erhält er einen weiteren Brief von A und beginnt mit der Niederschrift der Geschichte, die er als Feuilleton in seiner Sendung vorliest. Die einzelnen Episoden, die er aufgrund der Angaben in den folgenden Briefen erfindet, beginnen Niels eigenes Leben zu verändern. Je mehr Hinweise, er in den Briefen von A erhält, umso mehr beginnen Realität und Traum ineinander überzugehen. Ein Roman, in dem der oft bemühte Begriff der Identifikation ein neues Gewicht bekommt. Es geht in der Geschichte oder in den aufeinander folgenden Szenen des Romans um Erwartungen, Lügen aber auch um den Satz, den A in seinem Brief schrieb, “Auf diese Weise ist jeder perfekt frei,” und der eine Grundlage für sein Geschäftsverhältnis mit Niels sein sollte. Ist aber wirklich jeder frei oder nicht doch in ein Geflecht von Verhältnissen eingebunden, aus denen er sich auch durch Lügen nicht befreien kann? In diesem Sinne erforscht die Autorin die Bedeutung der Identifikation und der Leser kann selbst prüfen, ob ihm Niels eher sympathisch ist und ob der Verlauf der Geschichte dieses Urteil beeinflusst. Eine Biographie, die nicht wahr ist, kann schnell zu einem Kriminalroman werden. Und in welchen Momenten droht eine Biographie zu kippen?
Der Autorin ist es gelungen, ein spannendes Buch zu schreiben, in dem die Erzählung und die direkte Rede immer wieder wirkungsvoll ineinander übergehen und die Hauptperson Niels sich zunächst vom Lauf der Ereignisse fortreißen läßt, dann aber doch versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Langsam dämmert es ihm, daß die Fiktion wieder in die Realität übergeht, als er sich für den Lebenslauf seiner Freundin Anna eingehender interessiert und ihn genauer erkunden läßt.

H.W.

“Quand Google défie l’Europe”

Plaidoyer pour un sursaut” lautet der Untertitel des Buches “Quand Google défie l’Europe“, mit dem der Direktor der Bibliothèque Nationale, Jean-Noël Jeanneney, in Paris vor den Folgen von Google Print für die europäische Kultur warnt. Am 14. Dezember 2004 wurde bekannt, daß Google Auszüge aus mehreren amerikanischen Bibliotheken rund 15 Millionen Bücher zum Durchsuchen online zur Verfügung stellen will.

Auf unserere Website: Urheberrecht

Links, die J.-N. Jeanneney in seinem Buch nennt.

Jean Noël Jeanneney, Quand Google défie l’Europe. Plaidoyer pour un sursaut, Editions Mille et une nuits, Paris 2005. Dt. Fassung: Jean-Noël Jeanneney, Googles Herausforderung. Für eine europäische Bibliothek, Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger und Sonja Fink. Wagenbach Verlag, Berlin 2006. ISBN 3-8031-2534-0

Wir rezensieren die frz. Ausgabe:

Am 14. Dezember 2004 kündigten die Betreiber der Suchmaschine Google aus Mountain View in Kalifornien ihre Absicht an, innerhalb von zehn Jahren rund 15 Millionen Bücher zu digitalisieren und mittels ihrer Suchmaschine zum Durchsuchen zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile ist Google Print print.google.com weltweit erreichbar. Das Projekt stößt auf das Wohlgefallen der Surfer, die das kostenlose Prinzip im Internet gestärkt sehen. Der Direktor der französischen Nationalbibliothek, Jean Noël Jeanneney, ist keineswegs amüsiert, sondern alarmiert. In LE MONDE nannte er am 22. Januar 2005 das Vorhaben von Google eine Herausforderung für Europa.

Mittlerweile ist Jeanneney vom Staatspräsidenten, Jacques Chirac, empfangen wurde, der ihn mit der Erarbeitung einer Strategie beauftragte. Die Streitschrift, die Jeanneney vorgelegt enthält eine deutliche Warnung vor der digitalen Macht von Google, mit der sich die europäischen Staaten beschäftigen müssen. Jeanneney gibt zwar eine gewisse Bewunderung gegenüber den Begründern von Google zu, will aber der Passivität, mit der vor allem in Europa ihrer Herausforderung begegnet wird, nicht hinnehmen. Die Aufgaben der Bibliothekare und Buchhändler werden mit der zunehmenden Digitalisierung in dem Maße nur noch größer, wie die technische Entwicklung den Unterschied von bloßer Information und überprüften Wissen ständig weiter vergrößert. Jeanneney stellt prinzipielle Fragen. Kann dieses System des Suchens, so wie Google Print es präsentiert, den Ansprüchen, die die Kultur fordert, überhaupt gerecht werden?

Das Übergewicht der USA und der anglophonen Welt werden die französische und auch die europäische Geschichte und Literatur zurückdrängen. Jeanneney nimmt zwar zur Kenntnis, daß Google-Print auch nicht anglophone Werke aufnehmen will, aber die Suche nach dem Stichwort French Revolution führt natürlich schon, ohne daß man einseitige Interessen unterstellen muß, per se nur zu anglophonen Werken. Jeanneney ist fest überzeugt, daß angesichts der sich abzeichnenden technischen Herausforderungen der Staat gefordert sein wird, seine Verantwortung zu übernehmen.

Jeanneney widmet der Verifikation der Inhalte, die bei Google naturgemäß keine Rolle spielen kann, seine besondere Aufmerksamkeit. Bibliographien sind ein Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit, und hier zielt Jeanneney auf die Methode, wie Google-Print seine Ergebnislisten präsentiert. Über kurz oder lang könnte Google-Print die Inhalte und damit die Qualität vieler Bibliographien mitbestimmen, da deren Umfang den Suchenden zumindest im anglophonen Bereich eine Vollständigkeit suggeriert, die man augenscheinlich nur mit Mühe vervollständigen kann. Noch bedenklicher wird es, wenn (nicht nur) Studenten sich in ihren Arbeiten auf das Durchsuchen von Google-Print mittels einschlägiger Stichworte beschränken, um eben noch ihre Seminararbeit mit einigen mehr oder weniger treffenden Zitate abzurunden.

Man muß jetzt und nicht morgen in die Digitalisierung der Kultur investieren, so lautet Jeanneneys Forderung. Und er beschreibt zwei Schwachpunkte von Google. Zum einen ist es die Ausschließlichkeit, mit der Google, ein Produkt, nämlich Suchergebnisse vermarktet, das dem Unternehmen als Einseitigkeit und möglicherweise auch eine Schwäche ausgelegt werden kann, und zum anderen ist die Gesetzgebung gegen die Monopole in den USA, aus der Google Probleme entstehen könnten.

Jeanneneys Aufruf zeigte schnell Wirkung. In einer Botschaft haben sich Frankreich, Polen, Italien, Spanien, Ungarn und Deutschland am 28. April 2005 an den Präsidenten den europäischen Rates Jean-Claude Juncker und an den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Durao Barroso, gewandt. 19 National- und Universitäts-Bibliotheken in Europa haben den Appell der französischen Nationalbibliothek unterzeichnet, um eine drohende geistige und kulturelle Vorherrschaft der USA zu verhindern.

In seiner Antwortenliste auf häufig gestellte Fragen wendet sich Google auch an Verlage und schlägt ihnen die Teilnahme am Google-Print Programm vor. Verlage können ihre Bücher einsenden. Die Bücher werden dann kostenlos eingescannt und in die Suchmaschine eingegliedert. Die damit verbundenen Urheberrechtsprobleme scheinen von Jeanneney nicht oder kaum bedacht worden zu sein. Der von ihm mit angestoßenen Aktivitäten der Regierungen und Bibliotheken kann eigentlich nicht im Interesse der Verlage sein, von denen nicht jeder ohne weiteres bereit sein dürfte, die Inhalte seiner Bücher auch nur auszugsweise in der von Google konzipierten Weise offenzulegen.

In einer Stellungnahme der Bundesregierung vom 3. Mai 2005 heißt es: “Ein digitalisiertes Kulturerbe in europäischen und internationalen Zusammenhängen wird dazu beitragen, die kulturelle Vielfalt, Forschung und Wissenschaft Europas auch bei Internetsuchen sichtbar zu machen” und verweist auf die europäischen Initiative “The European Library”, die dazubeitragen soll, den Zugang zu den digitalisierten Werke der Mitgliedsländer zu verbessern. Tatsächlich existiert dieses Projekt ( TEL – The European Library) schon, und es kommt jetzt auf den Kooperationswillen der beteiligten Staaten an, dieses Projekt weiterauszubauen.

Europa wird nicht allein durch elektronischen Datenbanken gegenüber den USA konkurrenzfähig. Die europäischen Staaten müßten den Kulturaustausch und die Stärkung er europäischen Forschung mit dem gleichen Elan wie bei der Erstellung von computergestützen Rechercheinstrumenten zur Chefsache machen, denn dieser europäischen Vielfalt kann Google nichts entgegensetzen, wird sie aber zur Kenntnis nehmen müssen.

Ein Beispiel: Sucht man in Google-Print nach Kohl und Mitterand” wird an erster Stelle der Band Unequal Partners: French-German Relations, 1989-2000 von Julius Weis Friend (Westport 2001) angezeigt und die Hinweise (“More results from this book”) auf 33 Belege in diesem Buch, die beide Namen enthalten. (Suchergebnis vom 25. Juni 2005)

Die Suche nach Deutschland” wird mit dem Hinweis auf den von Michael G Huelshoff, Simon Reich, Andrei S Markovits herausgegebenen Band From Bundesrepublik to Deutschland: German Politics After Unification (University of Michigan Press 1993) beantwortet, und an dritter Stelle steht das Buch von Norbert Bachleitner Der englische und französische Sozialroman des 19: Jahrhunderts und seine Rezeption in Deutschland (Amsterdam 1993). (Suchergebnis vom 25. Juni 2005)

Heiner Wittmann


Ein Aufsatz zu diesem Thema wird in DOKUMENTE, Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog im August 2005 erscheinen.

Links, die J.-N. Jeanneney in seinem Buch nennt, und zu diesem Thema mit einigen Ergänzungen


Rezensionen zum Buch von J.-N. Jeanneney
Bloogle
Die Google-Bedrohung  Rundfunk Berlin-Brandenburg
Demokratisierung des Weltwissens oder Diktatur eines angloamerikanischen Kanons?
Vortrag von Jean-Noël Jeanneney am 7. März 2006 in der Französischen Botschaft in Berlin


Beiträge zum Thema Urheberrecht auf dem Blog von Klett-Cotta:
Der Google-Welt-Buchladen und das Urheberrecht – 31. Juli 2009
Leser, Autoren, Verleger und Herausgeber – 22. Juli 2009
Das Urheberrecht ist im öffentlichen Raum – 22. Juli 2009
Johann Friedrich Cotta und die Rechte der Autoren – 3. Mai 2009
Digital und kostenlos? Open Access – 2. Mai 2009
26. April 2009: Tag des geistigen Eigentums – 27. April 2009
Urheberrecht: Digital heißt nicht rechtlos – 26. April 2009

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