Rezension: Karin Westerwelle, Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie

In einigen Tagen jährt sich zum zweihundertsten Mal der Geburtstag von Charles Baudelaire (9. April 1821 – 31. August 1867). Eine gute Gelegenheit, mit der Rezension des Bandes von Karin Westerwelle, > Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie an das Werk des Dichters der Fleurs du mal (1857) zu erinnern.

Die Darstellung von Karin Westerwelle ist mit 567 Seiten wirklich sehr umfangreich, in diesem Fall gibt es allerdings einige Gründe dafür. Vielleicht hätte das Buch auch einen anderen Titel verdient, denn es enthält eine Kultur-, Wirtschafts- und Soziologiegeschichte der Zeit Baudelaires, von der Restauration über die Julimonarchie bis zum Zweiten Kaiserreich und nicht nur nebenbei werden die Werke Baudelaires ausführlich analysiert.

Die Kapitel Stadt als soziologisches Gefüge, die Hauptstadt Paris, das Geld, die Moderne, die Malerei (Kapitel über Baudelaire und Manet), die Tableaux parisiens, Rêve parisien, machen aus diesem Buch einen schwergewichtigen Beitrag zur Kulturwissenschaft. Wenn auch die Analysen der Werke Baudelaires gerade auch im Zusammenhang mit den hier bereits genannten Kapitelüberschriften überzeugen, so wird es im Vorfeld der Publikation sicher auch die Überlegung gegeben haben, zwei Bände aus diesem Manuskript zu machen: Die Stadt der Moderne im 19. Jahrhundert. Kunst, Soziologie und Wirtschaft (AT) und Charles Baudelaire mit dem aktuellen Untertitel. Die Autorin legt das Manuskript in einem Band vor und die Lektüre dieses Bandes erläutert alle Argumente, die dafür sprechen.

Charles Baudelaire ist der Dichter der Moderne, die ästhetische Konzeption seiner Dichtung ensteht in Paris und in der steten Auseinandersetzung mit allen Aspekten der Großstadt, die sich gerade zur Zeit Baudelaires in einem so immensen Umfang gewandelt hat. Baudelaire war Zeitzeuge, als die Moderne in die Stadt einzieht, sie prägt, aber auch wie die Möglichkeiten der Hauptstadt Paris, der Begriff der Moderne in jeder seiner Facetten so reichhaltig geprägt hat. Baudelaires Werke gehen weit über eine dichterische Empfindsamkeit hinaus, er protokolliert diesen Einzug der Modern in die Stadt in seinen Gedichten, in seinen Prosawerken und in seinen Rezensionen über Kunstwerke wie in seinen anderen Untersuchungen zur Kunst. Diese enge Verbindung zu seiner Stadt rechtfertigt die nur augenscheinlich parallele Analyse der Stadt und Baudelaires Werk, beide verweisen untrennbar aufeinander: „Mit Hilfe der Phantasmagorie entwirft Baudelaire in seiner Dichtung eine neue Deutung des städtischen Raums und begründet ein neues Verhältnis des Menschen zum Unsichtbaren.“ (S. 19)

Die Stadt als Erfahrungswelt hat sich Baudelaire wie kaum ein anderer Dichter seiner Zeit als Dandy und Flaneur ohne festen Wohnsitz (vgl. S. 56 ff.) angeeignet. Seine Kritiken zu allen Äußerungen der Pariser Kunstszene waren nicht nur Berichte, sondern drücken auch seine ganze Leidenschaft aus, die Kunst von offizieller Beeinflussung zu lösen: vgl. S. 60 f. Seine eigene Verteidigung der Fleurs du mal gegenüber der Justiz, dass nur die Einheit aller Gedichte der ganzen Sammlung den ihr zugeschriebenen Sinn, nämlich der Warnung vor Morallosigkeit, bewahren kann, war ein Ansinnen, dass die Justiz nicht verstehen konnte und wollte. Seine Ausführungen im Salon 1859 über die Fotografie sind ebenfalls keine bloßen Kritiken, sondern sie sind stilprägend, wie seine Bemerkungen zu seinem Porträtphoto aus der Linse Etienne Carjats 1863: S. 62 f. und vgl dazu: S. 71 ff.

Paris prägt seine Bewohner und sie prägen die Stadt: aus diesem Wechselverhältnis entstehen Monde und demi-monde mit allen ihren Bewegungsformen jeder Art. Als Beispiel sei hier genannt, wie Karin Westerwelle Baudelaires Gedicht Confession auf die Darstellung der Pariser Nachtlandschaft hin untersucht: S. 96-98 und dabei zeigt,  wie beeindruckend es Baudelaire mit wenigen Worten gelingt, das nächtliche Paris vorzuführen. Ebenso gehört das Paris der Geschwindigkeit zu der neuen Moderne, die Baudelaire in Le Peintre de la vie moderne festgehalten hat. Mit Feingefühl untersucht Westerwelle alle Aspekte der Moderne bei Baudelaire und arbeitet ebenfalls heraus, dass dieser kein Vertreter des Fortschrittsgedankens war; für Baudelaire galt nur, was dem Individuum hinsichtlich seiner Entwicklung zugute kam: vgl. S. 113. Daraus folgen Überlegungen zum Dichter und seinem Publikum, vgl. S. 146 ff, mit einer Interpretation des ersten Gedichts der Fleurs du mal „Au lecteur“: vgl. S. 148-158, mit der Westerwelle die Zielgruppe Baudelaires definiert.

Das 3. Kapitel gehört wie eingangs angedeutet in den rein kulturwissenschaftlichen Teil der vorliegenden Darstellung mit der historischen Entwicklung von Paris vom 16. Jahrhundert bis Haussmann und den Weltausstellungen: S. 184-283. Aber auch dieses Kapitel enthält bemerkenswerte Gedichtinterpretationen wir „La Cygne“: „Comme je traversais le nouveau Carrousel“, S. 218-237, womit hier der Erkenntnisgewinn aus der Verbindung zwischen Gedichtanlyse und kulturhistorischer Darstellung gelungen demonstriert wird.

„Die Regeln des Geldes“ werden in einem 4. Kapitel erläutert, ist doch „Die Frage, wie sich das Verhältnis von Literatur und ökonomischen Wert, in der bürgerlichen Epoche bestimmt (…) für Baudelaire zentral:“(S. 293) Comment payer ses dettes quand on a du génie, eine Gebrauchsanweisung, in der er an die Geschäftsgebaren Balzacs „Literat und Ökonom“ (S. 297) erinnert. Geldsorgen waren ein ständiger Begleiter Baudelaires – ein Leben in strengem Kontrast zu der frugalen (offiziellen) Kunstförderung im Zweiten Kaiserreich stand, von der zunächst nicht profitieren wollte, 1857 machte er aber doch eine Eingabe und erhielt eine Unterstützung für seine Poe-Übersetzungen.

Le peintre de la vie moderne ist eine ganz zentrale Schrift im Werk von Baudelaire. Anhand der Werke von Constantin Guys erläutert Baudelaire die ästhetische Darstellung der Moderne. Eine Gelegenheit für Karin Westerwelle den Zusammenhang von Zeichnung und Kommentar wie auch die Künstlerfiguren im städtischen Raum näher zu untersuchen (S. 363 ff.), zu denen auch der Dandy, S. 368 ff. gehört.

Die Begegnung zwischen Baudelaire und Éduard Manet führt zum Erscheinen des Dichters auf dem Bild La Musique au jardin des Tuileries (1862): S. 410-418: hier gelingt es der Autroin  die Beziehung zwischen der Literatur und der Kulturwissenschaft um die Dimension der Kunstbetrachtung zu ergänzen, war es der ziemlich unbekannte Dichter, der mit dazu beitrug, dass die Kritik dieses Bild nur sehr reserviert aufnahm?

Die Tableaux parisiens benötigen ohne Zweifel zu ihrem Verständnis und Einordnung einen kulturhistorischen Hintergrund, den die Autorin in den vorhergehenden Kapiteln bereitgestellt hat: Das 7. Kapitel untersucht den „Reflexionsgehalt“ und die Gattung der Tableaux parisiens. Westerwelle vergleicht die Tableaux mit anderen Gesamtdarstellungen der Stadt Paris und gewinnt so Klarheit über die Eigenheiten der Tableaux, die man heute als Alleinstellungsmerkmale bezeichnet. Gerade in diesen Passagen der Darstellung von Westerwelle wird deutlich, wie gut es ihr gelingt, den Leser zu erneuten Lektüre von Baudelaire anzuregen.

Die Interpretation von Rêve parisien (1860) im letzten Kapitel rechtfertigt den Untertitel dieser Untersuchung Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie. Realität, Traum und Fiktion gehen ineinander über und beweisen wie meisterhaft Baudelaire die Form des Gedichts beherrscht.

Erschöpfend behandelt auch dieses Buch trotz seines Umfangs das Werk Baudelaires keinesfalls. Die besondere Vielfalt seines Werkes erlaubt immer neue Perspektiven, je nachdem welchen Aspekt man betonen möchte. Die Bezüge zur Kunst, die besondere Stellung der Form in seinem Gesamtwerk, die Bezüge seiner Werke untereinander, die Beziehungen Baudelaires zu der Kunstwelt seiner Epoche, seine prekäre wirtschaftliche Lage zugleich aber auch seine Unabhängigkeit, als Voraussetzung für den Erfolg seines künstlerischen Schaffens: Westerwelle weist hier der künftigen Forschung interessante Wege. Sie selber hat zum 200. Geburtstag von Charles Baudelaire vor allem seinen stilbildenden Einfluss auf die ästhetische Interpretation der aufziehenden Moderne und die Folgen für den Kunstbetrieb in der Hauptstadt mit großem Einfühlungsvermögen gewürdigt.

Karin Westerwelle, > Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie, Paderborn, Brill/Wilhelm Fink 2020.

ISBN: 978-3-8467-5977-6

Neu: Sartre, Camus und die Kunst. Die Herausforderung der Freiheit

Sartre, Camus und die Kunst. Die Herausforderung der FreiheitHeiner Wittmann, Sartre, Camus und die Kunst. Die Herausforderung der Freiheit.(1) Reihe Dialoghi/Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs. Hrsg. v. Dirk Hoeges, Band 18, > Verlag Peter Lang, Berlin, Bern u.a., 2020. Hardcover. ISBN 978-3-631-83386-5.

Sartre, Camus und die Kunst. Die Herausforderung der Freiheit  untersucht die Überlegungen und Analysen der beiden Autoren zur Ästhetik. Der Streit zwischen ihnen nach der Veröffentlichung von Camusʼ Der Mensch in der Revolte und Sartres Kritik an diesem Buch führte 1952 zum Bruch ihrer Freundschaft. Wenn man aber die Funktion und die Bedeutung von Freiheit und Kunst in ihren Werken analysiert, werden fundamentale Übereinstimmungen erkennbar, die in dieser Studie dargestellt werden.

Wittamnn, Sartre, Camus und die Kunst. Die Herausforderung dere FreiheitZum Herunterladen >>>

Inhalt:
1. Wols und das blaue Phantom
2. Von den Porträtstudien zur Theorie
3. Die Methode der Porträttechnik
4. Skulpturen und Mobiles. Von Giacometti zu Calder
5. Die Poetik von Stéphane Mallarmé
6. Saint Genet oder wie macht ein Individuum aus sich einen Künstler?
7. Tintoretto und die „Schule des Sehens“
8. Der Künstler ist ein Verdächtiger
9. Albert Camus: Auf der Suche nach einer Moral
10. Camus und die Kunst als eine Antwort auf das Absurde
11. Moral und Revolte
11.1. Die Geschichte der Revolte
11. 2. Eine Ästhetik der Revolte
12. Die Kunst als moralische Verpflichtung
13. Albert Camus und Jean-Paul Sartre

Rezensionen:

Jorge Muñoz Navarro, Heiner Wittmann. Sartre, Camus und die Kunst. Die Herausforderung der Freiheit. Reihe Dialoghi/Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs. Hrsg. v. Dirk Hoeges, Band 18, Verlag Peter Lang, Berlin, Bern, 2020m in:;
Interpretatio. Revista de hermenéutica,
Núm. 1 (2022), 149-152: >  Download.
2009 erschien der Band > Aesthetics in Sartre and Camus. The Challenge of Freedom. Translated by Catherine Atkinson, Reihe Dialoghi/dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs.Edited by Dirk Hoeges, vol. 13, Verlag Peter Lang, Frankfurt, Berlin, Bern u.a., 2009. Hardcover. ISBN 978-3-631-58693-8.

2019 schlug mir > Professor Dirk Hoeges (1943-2020) vor, die deutsche Fassung des Bandes, der beide Studien über Sartre und Camus in gekürzter Form auf Englisch vereint, nun auch auf Deutsch in seiner Reihe „Dialoghi/Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs“ in einer überarbeiteten und ergänzten Form zu veröffentlichen.

Der Band, der im September 2020 – auch als  E-Book –  erschienen ist, enthält jetzt zusätzlich die Vorträge über die Studien, die Sartre über Stéphane Mallarmé und Jean Genet angefertigt hat.

Editionsplan: Als Dissertation erschien H. Wittmann, Von Wols zu Tintoretto. Sartre zwischen Kunst und Philosophie, Frankfurt/M. u.a, 1987. 1996 folgte eine zweite erweiterte Auflage: Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert, Gunter Narr Verlag, Tübingen 1996. Dann folgte Albert Camus. Kunst und Moral, Reihe Dialoghi/dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs. Hrsg. Dirk Hoeges, Verlag Peter Lang, Frankfurt/M u.a. 2002. Danach erschienen beide Studien leicht gekürzt in einem Band auf Englisch: Aesthetics in Sartre and Camus. The Challenge of Freedom, translated by Catherine Atkinson, Reihe Dialoghi/dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs, ed. by Dirk Hoeges, vol. 13, Verlag Peter Lang, Frankfurt, Berlin, Bern u.a., 2009. Diese Studie wurde um zwei Vorträge, die bei den Kolloquien der Groupe d’Études sartriennes über Stéphane Mallarmé und Jean Genet gehalten wurde, zu beiden hatte Sartre umfangreich Porträtstudien angefertigt, und wurde auf Deutsch veröffentlicht: Heiner Wittmann, Sartre, Camus und die Kunst. Die Herausforderung der Freiheit. Reihe Dialoghi/Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs. Hrsg. v. Dirk Hoeges, Band 18, Verlag Peter Lang, Berlin, Bern u.a., 2020.

Soirée littéraire III de www.france-blog.info: dimanche, 7 mars 2021, 19 h « Temps interférentiel dans la photographie » Nos invités : Michel Sicard et Mojgan Moslehi 25. Februar 2021 von H. Wittmann

Michel Sicard & Mojgan Moslehi, Temps interférentiel dans la photographie/Interferential time in photographySoirée littéraire (III) du dimanche, 7 mars à 19 h
Nos invités : Michel Sicard et Mojgan Moslehi

Inscription: > Soirée littéraire III: dimanche, 7 mars 2021, 19 h « Temps interférentiel dans la photographie » Nos invités : Michel Sicard et Mojgan Moslehi

> www.michel-sicard.fr

> www.sicard-moslehi.com/fr/

Mojgan Moslehi et Michel Sicard ont récemment publié un livre intitulé « Temps interférentiel dans la photographie »dans la collection “Rétina.Création” aux éditions L’Harmattan à Paris, que notre rédaction a annoncé sur www.romanistik.info: > Un manuel de photographie: Michel Sicard & Mojgan Moslehi, Temps interférentiel dans la photographie.

Leur livre contient des photos que ce couple d’artistes a parfois modifíées, coupées et recomposées en les combinant avec des poèmes de Michel Sicard. Les photos ne sont pas une simple illustration des poèmes comme eux, les poèmes sont censés de faire partie, je dirai, d’un ensemble qui est ici une œuvre d’art. Michel Sicard précisera pur nous le rapport entre poème et photographie.

 

Texte de couverture: „Dans les flèches du temps, nous nous retrouvons, comme Dante, devant une forêt obscure. Et si les images photographiques, loin d’être un temps linéaire, n’étaient que du temps morcelé ? Chaque parcelle de vue est l’entrée d’un labyrinthe qui nous épuise dans un autre temps, celui d’êtres radicalement différents et pourtant imbriqués à nous, où nous nous colorons au passage, nous imprégnant de leur temporalité intime. Il ne suffit pas d’être, comme une sphère renfermant une essence, fût-elle multiple, il faut encore avoir parcouru jusqu’au vertige tous ces avoir-été.“

Date de publication : 23 novembre 2020
Broché – format : 13,5 x 21,5 cm • 104 pages
ISBN : 978-2-343-19967-2
EAN13 : 9782343199672

1ère Soirée littéraire de France-blog.info via ZOOM : Albert Camus, La peste

Dimanche, 24 janvier 2021, 19 h : Nachgefragt: Professeur Lahkim Azelarabe Bennani parle sur Albert Camus, La Peste

> Soirée littéraire de france-blog.info (I)

A cause de l’actualité, notre rédaction a récemment republié notre compte-rendu de La Peste d’Albert Camus, paru en 1947, Wiedergelesen: Albert Camus, Die Pest – 13 octobre 2020. Comme c’est une bonne habitude sur notre blog de faire suivre des comptes-rendus par une interview ou un autre entretien télévisé dans notre série “Nachgefragt…”, nous avons demandé au Professeur Lahkim Azelarabe Bennani (Université de Fès), s’il était prêt à participer à la première édition de notre soirée littéraire. Nous nous réjouissons, qu’il a accepté notre invitation :

Souhaitez-vous participer à la discussion avec Professeur Lahkim Azelarabe Bennani dimanche, 24 janvier 2021, 19 h via Zoom?

> Inscription à la Soirée littéraire du 24 janvier 2021

Nachgefragt: Patrice Gueniffey, Bonaparte

french german 

Patrice Gueniffey
Bonaparte – 1769-1802
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer, Tobias Scheffel und Claudia Steinitz
Berlin, Suhrkamp 2017
Gebunden, 1296 Seiten
ISBN: 978-3-518-42597-8

Die ganze Sendung:

> Le Point des idées du vendredi 8 janvier 2021 – LCI

Rezension: Patrice Gueniffey, Bonaparte – 1769-1802

french german 

Patrice Gueniffey
> Bonaparte – 1769-1802
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer, Tobias Scheffel und Claudia Steinitz
Berlin, Suhrkamp 2017
Gebunden, 1296 Seiten
ISBN: 978-3-518-42597-8

Die ganze Sendung:

> Le Point des idées du vendredi 8 janvier 2021 – LCI

„…die Ausübung und das Erleiden des Terrors verweigern“ (Camus)

Gerade erschienen: H. Wittmann, „…die Ausübung und das Erleiden des Terrors verweigern“ (Camus). Die Intellektuellen und der Widerstand im Algerienkrieg, in: Heidi Beutin, Wolfgang Beutin, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Michael Walter, Claudia Wörmann-Adam (Hg.), > „Widerstand ist nichts als Hoffnung“. Widerständigkeit für Freiheit, Menschenrechte, Humanität und Frieden, talheimer sammlung kritisches wissen Band 90 herausgegeben von Welf Schröter und Irene Scherer, Mössingen-Talheim 2021, Seite 275-296.

Dank an Azelarabe Lahkim Bennani (Professor für Philosophie an der Universität Fès, Marokko) für > seinen Kommentar auf Facebook zu diesem Aufsatz.

Der Klappentext > „Widerstand ist nichts als Hoffnung“ . Widerständigkeit für Freiheit, Menschenrechte, Humanität und Frieden: „Autorinnen und Autoren aus dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) sowie Schreibende aus der Bildungs- und Gewerkschaftsarbeit in Europa haben sich in Sprache und Schrift dem Thema „Widerstand“ genähert. Wie wurde Widerstand in der Literatur dargestellt? Wann ist Widerstand notwendig und legitim? Wie zeigte sich Widerstand gegen den Nationalsozialismus? Was bedeutet Widerstand heute? Der Jurist Fritz Bauer (1903–1968) fasste Widerstand auf seine Weise:

„Widerstand ist Kritik und Opposition in Rede und Schrift, Widerstand war und ist der Streik. Die Plebejer streikten, Ghandi schuf eine Bewegung des bürgerlichen Ungehorsams, und die Schwarzen der Südstaaten der USA folgen Ghandi und seinem Nachfolger Martin Luther King. Emigration aus dem Land einer Tyrannei ist Widerstand. […] Sie war immer aufopferungsvoller Ungehorsam. Widerstand ist die Weigerung, einem ungerechten Befehl oder Gesetz zu folgen, ist die Hilfe, die den Opfern eines bösen Staats geleistet wird.““

Un manuel de photographie: Michel Sicard & Mojgan Moslehi, Temps interférentiel dans la photographie

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Charles Baudelaire (1821-1867)

Prof. Dr. Karin Westerwelle (Münster) und Priv.-Doz. Dr. Karl Philipp Ellerbrock (Jena) haben unter dem Titel > Die Verwandlung von Paris.Repräsentation, Inszenierung Ironie, Charles Baudelaire zum 200. Geburtstag eine Internationale Tagung an der Universität Münster vom 16.-19.6.2021, angekündigt: „Zum zweihundertjährigen Geburtstag Baudelaires, der am 9. April 1821 in Paris nahe dem Boulevard St. Michel geboren wurde, will das in Münster für den 16. bis 19. Juni 2021 geplante Kolloquium den großen Dichter und Kunstkritiker Charles Baudelaire würdigen. Sein Werk soll unter heutiger Perspektive der Tradition der Literatur und Künste, aber vor allem auch unter dem Blickwinkel unserer Erfahrung von Welt und Sprache neu erfasst werden.“

> Programm

Auf unserem Blog:

> Napoleon III. Macht und Kunst

> Rezension: Walburga Hülk, Der Rausch der Jahre. Als Paris die Moderne erfand

> Une introduction à l’étude des Fleurs du Mal

Bibliographie:

Karin Westerwelle, Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie, Paderborn, Verlag Wilhelm Fink 2020.

Wird ergänzt.

Rezension: Walburga Hülk, Der Rausch der Jahre. Als Paris die Moderne erfand

In > Der Rausch der Jahre erzählt die Siegener Professorin für Romanistik Walburga Hülk, wie das Zweite Kaiserreich mit dem lange unterschätzten Kaiser Napoleon III., dem Neffen Napoleons I., und der Hilfe vieler Getreuer Paris in die Moderne führte. Allein der Umbau von Paris, den er Georges-Eugène Baron Haussmann (1809-1891) anvertraute, rechtfertigt den Untertitel des vorliegenden Bandes: > Als Paris die Moderne erfand.

Sicher, das Zweite Kaiserreich von 1852-1870 hatte seinen Ursprung in einem vornehmlich von den Künstlern und Schriftstellern wie Victor Hugo so beklagten 3. Staatsstreich des 1. Präsidenten der französischen II. Republik. Edmond und Jules de Goncourt beginnen ihr Tagebuch im Dezember 1851 und zeigen sich sogleich verschnupft, weil es vom Staatsstreich so wenig zu sehen gab. Rein in die Hosen, runter auf die Straße und die Gaffer haben nichts mehr zu gucken, das ärgert sie maßlos. Ihre Kollegen Gustave Flaubert, Charles Baudelaire als Kunstkritiker (S. 106-117 ***, S. 151-156) wie auch George Sand haben größte Mühe, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren. Jeder von ihnen, jeder Künstler entwickelt seine eigene Strategie um zu überleben. Flaubert schreibt den modernen Roman (Sartre): Madame Bovary. Mœurs de Province (1857) (Cf. S. 141 ff). Die Maler wie Gustave Courbet, Manet und Monet wie auch Winterhalter (cf. S. 101-104) kreieren neue Kunststile oder arbeiten direkt für das Regme und bereiten so dem Kaiserreich eine große Bühne. Alle voran setzt Jacques Offenbach (cf. S. 118-120, S. 192-196) das Fest des Zweiten Kaiserreichs in Noten und feiert, neben Niederlagen, immer neue Triumphe und wird sein musikalischer Botschafter in Europa und sogar in Übersee. In allen Kapiteln erinnert Walburga Hülk zu Recht an den Widerstand der Künstler, aber sie zeigt auch, wie das Regime die ungeheuer vielfältige Kunstproduktion zu seinem eigenen Vorteil und Ruhm zu nutzen verstand. Es wird deutlich, dass die Geschichte des Zweiten Kaiserreichs ohne die Kunst und die Literatur nicht erzählt werden kann.

Die Wut von Victor Hugo auf den Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 und damit auf  „Napoléon le Petit“ war grenzenlos. Er reiste ins Exil ab, dann auf eine Kanalinsel und sollte erst nach dem Sturz Napoleons III. wieder nach Paris kommen. „Napoléon le Petit“ ist mit seiner anschwellenden Empörungsrhetorik der erste Aufschrei der modernen Mediengesellschaft.“ (S. 41)

Hülk zeigt wie 1853: „Projektemacherei und Fortschritt first“, die Moderne planvoll und zielgerichtet in Szene gesetzt wird. Vielleicht waren die Künstler mit ihrer Kritik und ihrer Schmollerei doch nicht so auf der Höhe der Zeit, da das Regime ihnen zunächst davon zu eilen schien. Aber schnell wird deutlich, dass die Medienlandschaft sich schnell auf die neue Zeit einstellen kann, neue Presseformen kreiert, das Feuilleton erlebt einen ungeheuren Aufstieg. Hülk resümiert das Aufbruchsambiente so wunderbar mit der Überschrift: „Sex in the City. Bohème zwischen Hedonismus und Start-up.“ Der Umbau von Paris wird begonnen, einige außenpolitische Abenteuer wie Algerien und der Krimkrieg kommen hinzu: Frankreich steht mitten auf der Weltbühne. 1855 ist Weltausstellung in Paris und alle Welt reist dort hin.

„Mit dem Fortschritt veränderte sich auch die Arbeitswelt,“ (S. 95) Hülk hat auch die sozialen Fragen im Blick, die Probleme derjenigen, denen der so rasante Umbau von Paris, Staat und Gesellschaft nicht so gut bekam. Flaubert ärgert sich über stumpfsinnige Arbeiten, die die Menschheit verblöden und ist mit seiner Einschätzung ganz in der Nähe von Friedrich Engels (cf. S. 95 f).

Lolou der Stammhalter des Kaisers wurde am 12. Juni 1856 geboren. Zwei Tage später wird er in Notre-Dame getauft: (Cf. 129-132). Was für ein Fest! Hülka erzählt hier die strahlenden Sonnenseiten des Regimes, denen sogleich mit den Prozessen gegen Schriftsteller einige Schattenseiten folgen. Großer Schaden entsteht für sie nicht, die Steigerung ihrer Bekanntschaft wird dem Absatz ihrer Bücher nur nützen.

„Immer schneller, immer größer, immer mehr“ (S. 156). Die Moderne steigert die Intensität des Lebensgefühls, Beschleunigung allerorten. Und der Kaiser hat seine Schriften wie „Les idées napoléoniennes“ nicht vergessen und leitet 1859 eine vorsichtige Liberalisierung des Regimes ein (S. 233 f).

„Gala und Bohème“ (S. 235-267) wird von den Erfolgen der Schriftsteller und Künstler begleitet, kommentiert, gefördert und inszeniert. Der Salon der Maler ist immer ein Großereignis, das das Verhältnis von Kunst und Politik vorführt. Die Kommission lehnt nicht nur wegen der Menge viele Bilder ab, die Künstler sind erbost und erhalten auf einmal Protektion vom Kaiser, der befiehlt die ausgesonderten Werke extra zu zeigen: Le Salon des Réfusés.

1867 ist wieder Weltausstellung in Paris: Kein Besucher kann sich vorstellen, dass nur vier Jahre später das Fest plötzlich vorbei sein wird. Das Regime geht im Deutsch-Französischen Krieg unter, aber Arthur Rimbaud (1854-1891) büchst noch während des Krieges mit der Eisenbahn nach Paris aus. 1872 lernt er Stéphane Mallarmé (1842-1898) kennen, beide stehen für einen erneuten bemerkenswerten Modernisierungsschub der Literatur, der so ohne das Zweite Kaiserreich vielleicht gar nicht denkbar war.

Walburga Hülk hat mit ihrer Geschichte von Paris im Zweiten Kaiserreich auch eine Literatur- und Kunstgeschichte der besonderen Art vorgelegt. Ihr Buch ist eine Anleitung dafür, die Tagebücher der Brüder Goncourt, die Romane von Flaubert und George Sand und Victor Hugo wiederzulesen und dabei ihre so bemerkenswerte Modernität wiederzuentdecken. Es ist diese Modernität, deren Ursprünge im Verhältnis, ja im Wettbewerb zwischen Kunst und Politik zu suchen sind. Trotz der Zensur entwickelten sich so viele Kunstformen gleichzeitig, gelangten trotz der gerade wegen ihrer Kritik am Regime zu so großer Blüte. Und das Regime? Woher kam sein Erfolg? Welche Rolle spielte dabei der Kaiser selbst? Nach der Lektüre dieses Buches entsteht doch der Eindruck, dass das Regime nicht nur von den Künsten profitierte sondern auch in gewisser Weise den Weg zu weisen wusste.

Walburga Hülk
> Der Rausch der Jahre. Als Paris die Moderne erfand
ISBN: 978-3-455-00637-7
416 Seiten
Hamburg Hoffmann und Campe 2019

Das Taschenbuch erscheint am 05.05.2021,
ISBN 978-3-455-01071-8

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