Der Streit zwischen Sartre und Camus
Sartre and Camus. A Historic Confrontation.
Ed. and translated by David A. Sprintzen and Adrian van den Hoven, Humanity Books, an imprint of Prometheus Books, New York 2003. ISBN 1-59102-157-X
In diesem Band wird der Streit, der 1952 zwischen Camus und Sartre durch die in den Temps modernes erschienene Rezension von Camus’ L’homme révolté (1951) durch Francis Jeanson ausgelöst wurde, dokumentiert und untersucht. Die Rezension beantwortete Camus mit einem Brief an Sartre “Monsieur le Directeur…”, der im Folgeheft der Temps modernes veröffentlicht wurde, und den Sartre seinerseits mit einem Brief an Camus “Mon cher Camus…” beantwortete. Jeanson schrieb einen weiteren Artikel “Pour tout vous dire” und Camus verfaßte eine Verteidigung seines Buches L’homme révolté, die erst 1965 veröffentlicht wurde. Diese Texte sind hier übersetzt worden. Sie werden von Aufsätzen der Autoren dieses Bandes begleitet, in denen die Konfrontation zwischen Sartre und Camus, die zum Bruch ihrer Freundschaft führte, dargestellt wird: “From Friendship to Rivals.” W. L. McBride und J. C. Isaac untersuchen dann den Streit aus der heutigen Perspektive.
Sprintzens Zusammenfassung der Grundgedanken von L’homme révolté trifft die Intentionen Camus’, in dem er die Revolte auch mit dem Bestehen auf der Menschenwürde in eine Beziehung bringt. Ob damit allerdings ohne weiteres ein moralischer Rahmen verbunden werden darf, müßte genauer hinterfragt werden. Es ist richtig, daß der Rebell im Sinne Camus’ nicht nur Werte behauptet, sondern auch selber Werte schafft, und Sprintzen erinnert an den Unterschied, den Camus zwischen Revolte und Revolution macht, indem er an die von Camus beabsichtigte Interpretation der Revolte als ein Korrektiv hinweist.
Der historische Kontext, in dem L’homme révolté 1951 erscheint, bezeichnet auch das Jahr, in dem Sartre sich als “compagnon de route” der P.C.F annähert. Die biographischen Anmerkungen zu Sartre, der sich stets gegen die bourgeoise Welt seiner Herkunft wandte und die Vermischung mit dem von ihm in L’être et le néant darstellten Individuum, das sich gegen die “mauvaise foi” stellt, enthalten Verkürzungen, die geeignet sind, ein bestimmtes Bild von Sartre zu vermitteln, das erlaubt, die Konfrontation mit Camus und Sartres politisches Engagement zu deuten. In ihrer “Historical and Critical Introduction” beschreiben Sprintzen et al. Sartres Annäherung an den Marxismus: “Sartre did not waver in his support for the organized Communist movement,” (S. 57); sie weisen aber auch daraufhin, daß Sartre nie das Parteibuch der P.C.F besessen hat. Und sie betonen, daß Ende der vierziger Jahre “Sartre was increasingly coming to view Marxism as the only historically adequate philosophy for the current period.” (S. 52) Die Formulierung erinnert an Sartres eigene Worte in der Einleitung der Critique de la raison dialectique, wo er den Marxismus als eine “unüberschreitbare Philosophie seiner Zeit” genannt hat, und ist geeignet, in Sartres Denken ein Überrunden des Existentialismus durch den Marxismus zu suggerieren, das durch seine eigenen Aussagen nicht zu belegen ist. Einschlägige Belege scheinen diese Aussage zu stützen, und man darf sein letztendlich mißlungenes Engagement an der Seite der Kommunisten auf das Konto seiner politischen Aktivitäten buchen, die die Gestaltung seiner Philosophie in einigen Aspekten vielleicht nur sehr mittelbar beeinflußt, ihre Grundlagen aber nicht bestimmt haben. Nicht die Politik beeinflußt sein Werk, sondern die Philosophie, die Literatur, die Kunst und auch die Unabhängigkeit des Intellektuellen bestimmten sein Verhältnis zur Politik. In diesem Sinne wird die Tragweite seiner 1960 veröffentlichten Critique de la raison dialectique deutlich, mit der er, wie Améry dies knapp und präzise formuliert hat, “das Subjekt in den Marxismus wiedereingeführt oder besser: eingeführt schlechthin,” hat. Die kritischen Äußerungen, die Sartre in Que’est-ce que la littérature?, in den Questions de méthode, die er schon 1956 in einer polnischen Zeitschrift veröffentlicht und der Critique wieder vorangestellt hatte, enthalten deutliche Absagen an die Adresse der P.C.F.
Man macht es sich zu einfach, wenn man Sartres Unterstützung der P.C.F. als bedingungslos zu verstehen gibt. Ohne Zweifel hat Sartre auf der Suche, ein früher verpaßtes politisches Engagement wieder wettzumachen, möglicherweise einigen Versuchungen nachgegeben. Sein Bekanntheitsgrad nach 1945 und die Bedingungen des Kalten Krieges führten ihn zu einer Wahl des Lagers, das ihm unterstützenswert schien. Er hatte sich den Kommunisten angenähert, die übrigens diese Versuche nicht honorierten, so daß Sartres Wegbegleitung beinahe schon ein Nachlaufen wurde. Die Partei war auf seine Ratschläge nicht angewiesen. Er scheiterte mit seinen Versuchen, die Partei zu beeinflussen. Es ist auch keineswegs erwiesen, daß Sartre mit seinem Versuch, als “compagnon de route” die P.C.F. ein Stück weit auf ihrem Weg zu begleiten, frühere Aussagen revidieren wollte. Aber genausogut, hatte er auch keine Möglichkeiten, Camus’ Kritik in L’homme révolté an den Kommunisten anzuerkennen, ohne seine damaligen Aktivitäten grundsätzlich in Frage zu stellen. Zum politischen Dissens mit Camus kam der öffentlich geführte Briefwechsel in den Temps modernes, der beiden eine Bereinigung der Situation nicht mehr erlaubte.
Vielleicht hätten Sprintzen et. al. noch ein wenig deutlicher das Umfeld zeich-nen sollten, in das die Kontrahenten eingebunden waren, und das besonders im Falle Sartres eine auch nur geringfügige Modifikation seiner Auffassung ausschloß. Vielleicht ist der Umstand, daß Francis Jeanson die Rezension geschrie-ben hat, ein Indiz dafür, daß Sartre zumindest eine Zeitlang mit einer Antwort auf das Buch seines Freundes gezögert hat. Vielleicht hat Jeanson Sartre mit der Heftigkeit seiner Attacke überrascht, dieser sah sich genötigt zu antworten, als sein Freund ihn mit “Monsieur le Directeur…” ansprach. “Unsere Freundschaft war nicht einfach,” erklärte ihm Sartre und gab damit zu verstehen, daß der Keim des Zwistes schon früher oder gar immer vorhanden gewesen war, und außerdem erinnert Sartre seinen Freund an dessen niedrige Herkunft.
Betrachtet man die Bedeutung, die Sartre und Camus in ihren Werken z. B. der Unabhängigkeit des Künstlers einräumen, findet man Themen, die den tagespolitischen Kontroversen weit überlegen sind und von diesen nicht tangiert werden. Zugegeben, derlei Differenzierungen sind nicht einfach und erfordern ein erhebliches Lesepensum, da es nicht genügt, die Werke Sartres und Camus’ lediglich aus dem Winkel ihrer politischen Äußerungen zu betrachten. Natürlich darf man heute erstaunt sein, daß Sartre bereit war, auch aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades sich zu zweifelhaften politischen Äußerungen hinreißen zu lassen. Auch wenn J. C. Issac eigentlich keinen von beiden als Sieger ihres Streits nennen will, so neigt er doch dazu, Camus Eintreten für Werte der Freiheit und des Pluralismus besonders hervorzuheben, wodurch er ihn dann doch aus heutiger Perspektive als Überlegenen in diesem Streit nennt, auch wenn er Streit in diesem Band stellenweise als anachronistisch bezeichnet.
Dieser Band läßt den Leser im unklaren, was die Haltung Sartres betrifft. Seine Wegbegleitung der P.C.F. wird für die Leser dieses Bandes ein Kennzeichen seiner ideologischen Position. Beide, Camus und Sartre, haben sich für die Freiheit in ganz besonderer Weise eingesetzt, indem sie unablässig auf die Unabhängigkeit der Künstler und der Intellektuellen hingewiesen haben. Camus hat die Autonomie der Kunst allen Ideologien entgegengesetzt, und Sartre hat durch die Vielfalt seiner philosophischen Werke und vor allem zu seinen Schriften zur Ästhetik bewiesen, daß sein Werk keiner bestimmten politischen Ideologie eindeutig zuzuweisen ist.
Heiner Wittmann
Zu dem Streit zwischen Sartre und Camus: Cf. H. Wittmann, Albert Camus. Kunst und Moral, Reihe
Dialoghi / Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs, hrsg. v. D. Hoeges, Band 6, Verlag Peter Lang, Frankfurt/M. 2002, Kapitel V: Albert Camus und Jean- Paul Sartre, S. 94-98