Crise écologique et crise sociale

Hervé Kempf,
Pour sauver la planète, sortez du capitalisme,
Paris, Editions du Seuil 2009.

Zwei Jahre nach seinem Band > Comment les riches détruisent la planète, hat Hervé Kempf, Journalist bei LE MONDE, den Titel seines neuen Buches auf den Punkt gebracht. Wollen Sie den Planeten retten, dann geben Sie den Kapitalismus auf, fordert er.

Eine Verschärfung der Umweltprobleme werde unsere Zivilisation zu einer schweren Existenzkrise führen. Er ist überzeugt, dass unsere natürlichen Lebenssystems sich bald schon nicht mehr selbst regenerieren können. Kempf will mit seinem Buch erklären, dass nur eine Reduzierung der sozialen Ungleichheit die Zivilisation vor Schlimmeren bewahren kann. Für ihn sind Umweltschutz und soziale Fragen eng miteinander verbunden.

Korruption, Spekulation wie ungebremstes Wachstum und der Triumph der Ungleichheit sind für ihn die Kennzeichen des Kapitalismus. Aber er erkennt eine Nervosität der Märkte, die u. a. auch durch die Ungleichheit ausgelöst wird. Kempfs Überlegungen erinnern an Richards Sennets Buch: Der Verfall des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt/Main, S. Fischer Verlag 1998, das einen so viel schöneren englischen Titel The Fall of Public Man hat. Die Mitreisenden, die im Zug telefonieren: “Ja Schatz, ich sitze im Zug…” und ihre Sorgen alle mitteilen, nehmen an dieser Gesellschaft nicht mehr teil. Die Solidarität in der Gesellschaft ist in Gefahr oder bereits verschwunden, und Kempf nennt einige Beispiele von der Werbung bis zur Sexualität, die er in seinem Kapitel Indoktrinierung notiert. Und wieder warnt er vor der RFID-Technik, die zur totalen Überwachung eingesetzt werden kann. Einen Austausch ohne Worte nennt er das. – So wie unsere Kuhlschränke sich eines Tages selber prüfen und die Bestellung zu ihrer Auffüllung verschicken können. –

Le Mirage de la croissance verte: Grünes Wachstum? Tschnernobyl hat keine Euphorie zugunsten der Abschaffung der Atommeiler ausgelöst, und die Atomenergie hält keine Lösung für den Klimawandel bereit. Die Windkraft wird nach ihrer Besichtigung von Kampf ebenfalls abgeschrieben. Das Abholzen der Wälder, wie die Versenkung von CO2 bei der Gasförderung, wie Erdölgewinnung in Canada aus ölhaltigen Sand sind für Kempf bemerkenswerte Misserfolge.

Kempf weiß, dass er auch Konferenzen nicht immer die besten Karten hat, und er berichtet davon, wie seine Ideen von den Skeptikern aufgenommen werden, S. 109 ff.: Sollen wir zum Kerzenlicht zurückkehren und unser Handy abgeben?

Im letzten Kapitel berichtet Kempf von alternativen Wirtschaftsformen und dem langem Atem, den diese Veränderungen erfordern. Er erwähnt die Siedlungs- und Wohnungsfragen unserer Zeit, die es mit sich bringen, dass Arbeitnehmer lange Anfahrtszeiten haben – die Eigenheimzulage und KM-Pauschale haben bei uns die Zersiedelung der Landschaft und den Bau von Rennpisten nachhaltig erfolgreich gefördert -. Kempf fordert eine neue Verdichtung in unseren Städten, wodurch ein neues Verhältnis zum Auto entstehen könnte. Richtig, wir brauchen keine > Hauptstätter Straße mit 14 Spuren. – Stattdessen lieber Versuche, den Feinstaub mit diversen Mitteln zu binden… -.

Das Buch sticht aus der Fülle an Diskussionsbeiträgen zum Klimawandel heraus. Der unbedingte Zusammenhang zwischen sozialen Fragen und Umweltfragen wird in dieser Schärfe und mit diesem Konsequenz nicht von allen geteilt. Mit seiner wohlbelegten Analyse (Nachweise, S. 135-152) hat Kempf einen interessanten Beitrag zur Klimadebatte vorgelegt.

Heiner Wittmann

> Hervé Kempf et Stefan Rösler: La crise du climat et la crise du capitalisme. La fin du progrès sans bornes
Veranstaltung im Institut français de Stuttgart am 17. November 2009