Es reicht mit der Oligarchie. Es lebe die Demokratie
Hervé Kempf,
L’oligarchie ça suffit, vive la démocratie
Paris : Seuil 2011.
Hervé Kempf, Journalist bei LE MONDE hat in zwei Büchern > Comment les riches détruisent la planète und > Pour sauver la planète, sortez du capitalisme seine Kritik an einem ungebremsten Kapitalismus vorgetragen, in seinem neuen Buch geht es um die Angriffe auf die Demokratie. Die kleinen Kreise und Gruppen, die sich die Entscheidungen in der Demokratie anmaßen, werden immer einflussreicher. Wir können den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aber erst dann begegnen, wenn wir den oligarchischen Anspruch kleiner Gruppen erkannt haben. Solange wir das unterlassen, werden diese Gruppen weiterhin Privilegien zum Nachteil der dringendsten sozialen und ökologischen Fragen anhäufen. Nur wenn der Westen sich wieder an die lebendige Demokratie erinnert und bereit ist, die Welt mit den anderen Einwohners des Planets zu teilen, werden wir ein ökologisches Gleichgewicht erreichen. Diese enge Verknüpfung von Demokratie und Umweltschutz ist der rote Faden seines Buches. Wird diese Verbindung missachtet, so lautet seine These und Warnung, werden die Oligarchien uns in Gewalt und Autoritarismus führen. Das sind die Thesen, die auf dem Klappentext stehen.
Kempf sieht einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen den Umweltproblemen und den immer kleinen oligarchischen Gruppen, die zum Schaden der Demokratie Entscheidungen und Lösungen allen anderen aufzwingen wollen. Erst die Analyse. Kempf untersucht die Versuchungen der Oligarchie, die Politik des Kapitals und der Lobbyisten, die Kunst der Propaganda und fragt, wie wird uns das alles verkauft? Aber es gibt noch Herausforderungen für die Demokratie, die wir aufgreifen sollten, um die Tugenden der Demokratie wiederzubeleben.
Der Klimagipfel von Kopenhagen 2009 endete nicht mit einer machtvollen Erklärung, sondern mit einer Farce, weil die dänische Umweltministerin es vorzug, mit einem USA-freundlichen Text das ONU-Dokument zu entschärfen. (Cf. S. 12 f.) Es war die Umgehung der ONU-Regeln – so Kempf -, die zum Misserfolg des Ergebnisses beitrug. Befürchtungen machten sich bei den Kritikern breit, ob diese Umgehung der Demokratie sie noch mehr beschädigt, und manche von ihnen zweifeln an der Demokratie und lasten ihr das Versagen des Umweltschutzes an..
In den Konferenzpausen in Kopenhagen liest Kempf Kapucinskis Mes voyages avec Hérodote und stärkt sich an Herodots unbedingtem Freiheitswillen und zitiert eine Szene in Persien, bei der sieben Sieger über die Staatsform beraten. Darius lobt die Diktatur des Einzelnen, aber auch de Demokratie aller, die es verbietet, dass der Staat in Unordnung gerät. Und er besteht auf den Gesetzen und der Freiheit der Demokratie.
Heute sind wir in einem Teufelskreis. Die Wähler akzeptieren keine notwendigen Änderungen, die der Klimaschutz erfordert, folglich wollen auch ihre Politiker, die sie wählen, über diese Maßnahmen nicht entscheiden. Das Wort Oligarchie zieht immer weitere Kreise, aber man akzeptiert noch nicht die Wirklichkeit, denkt aber schon nach, ob wir in einer Mediendemokratie oder Meinungsdemokratie leben? Schaut man genauer hin, kann man den Eindruck gewinnen, dass eine Oligarchen-Klasse schon die Souveränität übernommen hat. Robert Michels hat 1911 ein Buch über die Partis politiques. Les tendances oligarchiques des régimes démocratiques verfasst. Danach kam lange Zeit nichts mehr. Mittlerweile zeigt sie sich wieder offen und unverhohlen.
Das Kapitel 3 ist der Politik des Kapitals gewidmet: Filz, Vermischung öffentlicher und privater Interessen, Bereicherung,… das Sündenregister wird lang und länger. Soweit die Erklärungen, warum die Politik sich manchen Veränderungen nur ungerne öffnen möchte. Al Gore glaubt, dass wir alle Mittel haben, die Klimakatastrophe abzuwenden, aber der politische Wille fehlt, das zu tun. Der Schuldige ist für ihn das Fersehen, das den für die Demokratie notwendigen Meinungsaustausch in manipulativer Weise so drastisch reduziert.
Die Zwischenüberschrift “Le peuple est souverain, sauf quand l’oligarchie en décide autrement” gibt den Ton des Kapitels “Pourquoi de se rebelle-t-on pas ?” an. Und ich denke an die Ausschüsse und die leeren Sitzplätze im Bundestag. Statt die Regierung zu kontrollieren spielen die Abgeordneten in den Ausschüssen selber ein bisschen Regierung und lassen sich bei aller Öffentlichkeit doch nicht so recht in die Karten gucken. Oligarchie? “Im Westen weiß man noch nicht, wie sehr die Welt sich geändert hat,” stellt Kempf fest. (S. 117) Der Herausforderungen des Klimaschutzes, die Krise des Wachstums sind globale Herausforderungen, die auch das Ende der westlichen Ausnahmesituation charakterisieren.
Welche Handlungsoptionen bleiben? Und was machen die westlichen Demokratien? Gesetze zur Beschneidung der öffentlichen Freiheiten. (S. 142 ff.) Mut und Einigkeit sollten wir solchen Bestrebungen entgegensetzen. Kritisch unsere politischen System unter die Lupe nehmen, ist der andere Rat. Oligarchische Strukturen erschweren schwierige Entscheidungen und beschädigen die Demokratie, lautet Kempfs Schlußfolgerung. (S. 155 f).
Bedenkt man, dass die Energiewende in Deutschland einer plötzlich sich verstärkenden Überzeugung, dass die Atomkraftwerke doch nicht so sicher seien, wie uns das bisher immer gesagt worden ist, zu verdanken ist, statt auf einen demokratisch ablaufenden Meinungsbildungsprozess, sich also eher auf die Furcht gründet, dass Wahlen ohne das neue Antiatomcredo in Deutschland nicht mehr gewinnen sind, und dass die Laufzeitverlängerung eher zwischen Parteien und der Atomlobby ausgehandelt wurde, dann kommt das Buch von Hervé Kempf mit seinen Thesen gerade richtig.
Heiner Wittmann
“L’oligarchie ça suffit, vive la démocratie” > www.reporterre.net/spip.php?article125
Hervé Kempf, Comment les riches détruisent la planète Paris, Editions du Seuil (Poche, Essais 611), 2007. |
Hervé Kempf, Pour sauver la planète, sortez du capitalisme, Paris, Edtions du Seuil 2009. |