Vom Übersetzen zum Simultandolmetschen

Roger Willemsen (1955-2016) beginnt das Vorwort mit dem Satz “Dolmetscher sind Höhlenmenschen,” und meint damit, man sehe sie selten, weil sie im Hintergrund oder im Verborgenen arbeiten. In Wirklichkeit sind sie aber “Zöllner und Mittler”, die uns beim Grenzübertritt helfen. Und er weiß, dass Übersetzer und Dolmetscher unseren “kostbarsten Rohstoff” behandeln” “Kommunikation und Vielsprachigkeit”.

Jetzt hat Jürgen Stähle, seit 1982 Inhaber von Stähle
Internationale Kommunikation in Stuttgart, bekannt durch seine Dolmetschertätigkeit mit Schwerpunkt Fernsehen, ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis für “herausragende Simultanübersetzungen im Fernsehen”, eine ausführliche Beschreibung seines Berufsbildes vorgelegt. Von wegen Höhlenmensch!

Zuerst geht es um die historische Einordnung seines Berufs, die feinen Unterschiede zwischen Übersetzen und Dolmetschen und schließlich das Entstehen des Beurfs des Simultandolmetschers mit den Abgrenzungen zum Konferenzdolmetscher. Übersetzen ist Entscheiden heisst es im ersten Leitsatz. Aber Simultandolmetschen steigert die Ansprüche und verlangt schnellere, blitzschnelle Entscheidungen, sagt der 2. Leitsatz. Schließlich ist Übersetzen aber auch Interpretieren, wie der 3. Leitsatz betont. Es geht nie um ein bloßes Umkodieren. Der Simultandolmetscher kann sich nicht einfach hinsetzen, und das Gehörte in einer anderen Sprache ausdrücken. Ein Teil der Übersetzungsarbeit findet vorher statt, wie es der 4. Leitsatz andeutet: Kein Übersetzen ohne Wissen und Verstehen und verweist auf die zwingend notwendige Vorbereitung für einen “Einsatz”.


Der 2. Teil enthält Stähles Anmerkungen zur Sprache mit ihren Bezügen zur Linguistik und Semantik. Stolpersteine, falsche Freunde, Blüten und Dornen, deren Bewältigung dieses Beruf zu einer Passion machen.

Im 3. Teil wird die Technik des Simultandolmetschens eingehend mit Beispielen erläutert. Handwerk oder Kunst? Stähle entscheidet sich eher für “Handwerk” (S. 313) Die Feinfühligkeit, die Bereitschaft, Zwischentöne und Bedeutungen richtig und sofort aufzufassen sind aber doch schon eine Kunst, die Sprachbegabung, Einfühlungsvermögen und ein gerüttelt Maß an Bildung voraussetzt. Rhetorische Begabung und auch Talent gehören dazu. Der Simultandolmetscher macht zwar nicht wie ein Künstler etwas Neues, aus dem was er hört, um dies in einer anderen Sprache wiederzugeben, aber braucht dazu eben wesentlich mehr als nur die Vokabelkenntnisse, sein Handwerkszeug. Also doch auch ein wenig ein Künstler.

Ein Übersetzer arbeitet eher im Verborgenen, in seiner Höhle. Aber er sollte Übung im Simultandolmetschen und umgekehrt haben. Der Simultandolmetscher ist viel mehr der unmittelbaren Kritik ausgesetzt, – noch mehr der Konsekutivdolmetscher – man merkt seine Präsenz erst dann, wenn die Kommunikation nicht funktioniert oder sich Fehler eingeschlichen haben. Wie schwierig diese Art des Übersetzen ist, merkt man oft im Fernsehen, wenn Sprecher eben mal schnell den O-Ton einer fremden Sprache ins Deutsche übertragen. Unwillkürlich will man dann immer einer Fehler gehört haben. Beherrscht man beide Sprachen, zwischen denen der Konsekutivdolmetscher vermittelt, merkt man schnell, dass man sich manchmal nicht mehr so sehr auf den Inhalt konzentriert, weil man mehr oder weniger unbewusst gleich den Dolmetscher prüft, bringt der die Bedeutune richtig rüber? Was hat er vergessen? Welches Wort fällt ihm nicht ein. Und so kann man ein bisschen an seinem Lampenfieber teilhaben. Die Qualitätsmerkmal für Simultandolmetscher enthalten ein kurzgefasste Liste der Ziele: “Er schafft die Gratwanderung zwischen zwei Horizonten,” und er “palpiert” wenn mal nicht klar wird, was der Redner ausdrücken will, dann überträgt er auch das, was er nicht hört.

Stähles Buch macht Lust auf diesen Beruf, bei dem es keineswegs nur darum geht, Gehörtes in einer anderen Sprache nachzuerzählen. Der virtuose Umgang mit Sprache wie auch die Kenntnis der Inhalte, um die es geht, stellen besonders hohe Anforderungen an diesen Beruf, dessen Herausforderungen Stähle hier systematisch beschrieben hat, wobei er nicht nur nebenbei die Passion vermittelt, mit der er seinen Beruf ausübt.

Heiner Wittmann
Jürgen Stähle, Roger Willemsen (Vorwort)
Neuerscheinung
Vom Übersetzen zum Simultandolmetschen
Handwerk und Kunst des zweitältesten Gewerbes der Welt

Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2009.
413 S., 14 s/w Abb. Gebunden

ISBN 978-3-515-09360-6