Die deutsch-französischen Beziehungen: Eine Bestandsaufnahme

Astrid Kufer, Isabell Guinaudeau, Christophe Premat (Hrsg),
Handwörterbuch der deutsch-französischen Beziehungen,
Nomos, Baden-Baden 2009, 245 S., Broschiert, 24,- €
ISBN 978-3-8329-4807-8

Dieses Handbuch ist kein Nachschlagewerk im eigentlichen Sinne. Rund 40 Wissenschaftler aus Frankreich und Deutschland, viele unter ihnen auf dem Weg zur Promotion, haben die wichtigsten Begriffe zusammengestellt, die von allen bemerkenswerten Facetten des deutsch-französischen Verhältnisses in historischer Perspektive und aus der Sicht von heute geprägt werden. Die vielen Querverweise und Ergänzungen innerhalb der einzelnen Beiträge lassen kaum Lücken erkennen. Von ARTE über den Deutsch-französischen Motor, Erbfeind, Existentialismus, Intellektuelle Kulturbeziehungen, Städtepartnerschaften und Weimarer Dreieck, um nur ein kleine Auswahl zu nennen, werden historische, kulturelle und politische Aspekte gründlich behandelt. Der interessierte Leser wird sich in kurzer Zeit mit Hilfe der Beiträge dieses Bandes einen Überblick über Grundbedingungen des deutsch-französischen Verhältnisses aneignen können.

In ihrem Vorwort unterstreichen die Herausgeber die verschiedenen Ausdrücke, mit denen auf beiden Seiten des Rheins die Zusammenarbeit, der Bilaterialismus oder die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich beschrieben werden, die jenseits des Rheins amitié, couple oder gar mit jumelages bezeichnet wird. Die Herausgeber wollen herausfinden, ob die deutsch-französischen Beziehungen definierbar sind. Und sie haben den Nachweis erbracht, dass ein Band von rund 230 Seiten sich dieser Herausforderung stellen kann. Ihr eigentliches Kunststück ist es, in nahezu allen Beiträgen einen Blick von der Warte der Beziehungen aus auf das beiderseitige Verhältnis und damit auch auf die Wirkung gemeinsamen Engagements zugunsten Europas zu werfen. Die Autoren formulieren nicht nur eine kritische Bestandsaufnahme, sie zeigen auch immer wieder die Perspektiven auf, die sich aus einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich für Europa ergeben.

Benoît Roussel gibt mit seinem Beitrag Deutsch-französischer Motor/Moteur franco-allemand den entscheidenden Ton für diesen Band an. Die Arä dieses Motors gehört für ihn insoweit der Vergangenheit an, wie das Tandem „allein durch bilaterale Zusammenarbeit das Schicksal der europäischen Integration lenkt“. Er wird weiterhin laufen, so Roussel, „in dem Sinne, dass eine etablierte und enge bilaterale Kooperation immer einen besonderen Platz innerhalb der EU einnehmen wird.“ (S. 53) Seine Schlußfolgerung erklären das Stottern und Aussetzen dieses Motors in den letzten Jahren: „Beide Länder wirken wie gelähmt angesichts der Schwere ihrer Aufgabe, ihre bilaterale Beziehungen im gewandelten europäischen Kontext neu zu definieren und Missverständnisse wie Streitigkeiten häufen sich.“ Diese Aufgabe sieht Roussel zu Recht als unvermeidlich an und fügt richtig hinzu, Fortschritte in Europa werden nicht mehr nur durch ein deutsch-französisches Einverständnis bewirkt, aber es bleibt dafür eine notwendige Voraussetzung. Damit ist die Aufgabe der neuen Bundesregierung der 2. Amtszeit von Angela Merkel deutlich umschrieben. Auf diese Weise wird an die Verantwortung Frankreichs und Deutschlands für Europa erinnert, und so muss auch das Bild von diesem Motor verstanden werden.

Das Deutsch-französische Geschichtsbuch wird ohne die Nennung der beiden an dem Projekt beteiligten Verlage dargestellt. In anderen Beiträgen sind die bibliographischen Angaben nicht immer neuesten Datums, so bei den Kulturbeziehungen, wo es Camille Mazé gelungen ist, die wesentlichen Klippen der deutsch-französischen Kulturbeziehungen zu nennen. Trotz gemeinsamer Anstrengungen und gegenseitigen Zusicherungen, weist Mazé mit Recht auf das Scheitern der Sprachpolitik hin. Der Existentialismus wird in dem Beitrag Existentialisten / Existentialistes sachlich derart stark verkürzt dargestellt, nämlich nur aus einer deutsch-französischen Sicht, so dass man auf diesen Beitrag besser verzichtet hätte. Im Kapitel Medien und Unterhaltung fehlt ein Hinweis auf Angebote im Internet, wobei hier deutsch-französische Internetportale und Blogs zu nennen wären, die den Austausch auf vielen Ebenen befördern. Derartige Internetangebote hätten im Beitrag Interkulturelle Kommunikation oder auch Medien und Unterhaltung genannt werden können: Das > Frankreichblog enthält bereits> 190 Beiträge zu den deutsch-französischen Beziehungen.

Astrid Kufer und Isabelle Guinaudeau haben das Tandem / Couple untersucht und kommen zu dem Schluss, dass die deutsch-französischen Beziehungen „heute besänftigt und gut organisiert“ erscheinen. Sie erkennen aber auch, ohne ganz konkret zu werden, dass „zukünftige Kanzler und Präsidenten… einen neuen Stil definieren“ müssen, der aufgrund einer „gewissen ‚Banalisierung‘“ der Beziehungen zwischen beiden Länder erforderlich sein wird. Beinahe nebenbei formulieren die beiden Autoren dieses Beitrags ein Kernproblem des aktuellen deutsch-französischen Verhältnisses. Solange die Akteure sich gut verstehen und sich in gewohnter Weise immer wieder (bloß) eine Intensivierung der gemeinsamen Beziehungen versprechen, im Grunde genommen diese aber nur verwalten, ohne ihr Potential wirklich einzusetzen, muss tatsächlich nach einem neuen Stil gefragt werden. In diesem Zusammenhang betonen die Autoren auch die Defizite im gemeinsamen Dialog mit den USA, in dem sich immer wieder zeigt, dass die beiden Partner „noch weit davon entfernt [sind], in Gesprächen mit den US-amerikanischen Partnern mit einer Stimme zu sprechen“.

Mit jedem der Beiträge in diesem Band könnte man ähnlich verfahren, Zustimmung und Bedenken äußern. Dabei verfestigt sich der Eindruck, dass die Autoren das sich selbst gesetzte Ziel, einen Überblick über Fragen und Probleme, aber auch über Erfolge und Chancen der deutsch-französischen Beziehungen im Umfang ihres Bandes sachgerecht erreicht haben.

Prüft man den Tenor der Beiträge dieses Bandes mit der aktuellen politischen Situation im November 2009 angesichts der immer zahlreicheren französischen Initiativen zugunsten der deutsch-französischen Kooperation, so gibt es in diesem Band manche Hinweise darauf, wieso, um im gewählten Bild zu bleiben, der deutsch-französische Motor nicht auf Betriebstemperatur fährt. Symbolische Gesten und Versprechungen die gegenseitigen Beziehungen weiter vertiefen zu wollen, reichen nicht aus, um die im Grunde genommen gute und alltägliche Kooperation wieder etwas Besonderes zu verleihen. Das öffentliche Schweigen der Bundesregierung gegenüber dem französischen Vorschlag, einen deutsch-französischen Minister zu ernennen, läßt ein Zaudern erkennen, das zu den offiziellen Beteuerungen über die Qualität der Beziehungen nicht so recht passen will. Dieser Band bietet in verschiedenen Beiträgen Erklärungen für dieses Zaudern an. Es wird teils historisch, teils politisch begründet, manchmal wird wohlbegründet ein vorsichtiger Ton verwendet, der aus dem gemeinsamen Blick auf die beiderseitigen Beziehungen entsteht.

Heiner Wittmann