Thomas R. Flynn, Der Existentialismus und seine Geschichte

Thomas R. Flynn, Existenzialismus. Eine kurze Einführung. Aus dem Amerikanischen von Erik M. Vogt. (Engl. Existentialism. A Very Short Introduction, Oxford University Press, New York 2006), Wien, Berlin: Verlag Turia + Kant, 2007. 191 S., ISBN 978-3-85132-488-4,.

Thomas R. Flynn, Professor für Philosophie an der Emory University, USA, hat eine knappe Einführung in den Existentialismus, für den gemeinhin Sartre und Camus stehen, aus historischer Sicht verfasst. Die enge Verbindung des Existentialismus mit der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht zu übersehen, aber Flynn erinnert daran, dass die Wurzeln des Existentialismus bis in die antike Philosophie reichen.
Flynn weist auf die Bedeutung von Sartres Untersuchung Was ist Literatur? (1947) hin, in der Freiheit und Verantwortung des Schriftstellers als untrennbare Einheit erscheinen, und nennt den Appellcharakter des Kunstwerks als das zentrale Thema der Ästhetik Sartres. Die Auseinandersetzung mit Edmund Husserls (1859-1938) phänomenologischer Methode und seiner Theorie der Intentionalität des Bewußtseins nutzt Sartre bei der Entwicklung seiner Theorie über die Vorstellungskraft, gleichwohl grenzt er sich von Husserl ab. Die Hauptaussagen des Existentialismus Sartrescher Prägung, Verantwortung, Wahl, Situation, Authentizität, Freiheit, Bewußtsein und “mauvaise foi”, werden von Flynn als grundlegende Begriffe in einen Zusammenhang gestellt und dienen hier als Einführung in Sartres philosophisches Hauptwerk.
Nach Flynn wird der Existentialismus nach 1945 im Wesentlichen von Sartre bestimmt. Dabei vernachlässigt er aber doch den erheblichen Einfluß Camus’ auf den Existentialismus. Die Ausführungen zu Camus sind, trotz der Bemerkungen zu Le Mythe de Sisyphe (S. 74 f.) und zum Streit mit Sartre über L’homme révolté (1951), auch im Rahmen dieser Einführung zu knapp geraten.
Trotz aller Verkürzungen, die durch die Konzept dieses Buches als Short Introducation verlangt werden, ist es dem Autor gelungen, eine lesenswerte Einführung vorzulegen.

 

Jüngst erschien eine weitere Einführung mit dem Titel Der Existentialismus von Roland Galle, Universität Duisburg-Essen. Zu Beginn seiner Einleitung spricht Galle von “Anleihen” des Existentialismus bei Hegel, Kierkegaard, Husserl und Heidegger, verzichtet aber auf weitere inhaltliche Ausführungen mit der Begründung, der Existentialismus sei “von einem auffallenden Pathos der Voraussetzungslosigkeit” geprägt. Einer solchen Trennung des Existentialismus von seinem philosophischen Kontext hat Flynn mit Recht widersprochen. Schwerer wiegt die Ausblendung der Ästhetik Sartres und Camus’. Mit der Analyse von Sartres Roman La nausée. Journal (1938) stellt der Autor fest, dass der im Roman geschilderten Auflehnung gegen die Welt “der Begriff der Geschichte und erst recht der des Politischen noch vollkommen fremd” (S. 91) sei. Hier verpasst der Autor die Chance, die von Roquentin am Ende von La nausée deutlich zum Ausdruck gebrachte Bedeutung der Ästhetik für den Existentialismus Sartrescher Prägung in den Blick zu nehmen: “Eine Geschichte zum Beispiel, wie es keine gegeben kann, ein Abenteuer. Sie müßte schön sein und hart wie Stahl und müßte die Leute sich ihrer Existenz schämen lassen,” (Sartre, Der Ekel, in: ders., Gesammelte Werke. Romane und Erzählungen I, Hamburg 1987, S. 91) sagt sich Roquentin auf dem Rückweg nach Paris. Leider erwähnt Galle auch nicht die zahlreichen Studien Sartres über Baudelaire, Flaubert, Leconte de Lisle, Genet, Mallarmé, Tintoretto, Calder, Wols, Masson, Giacometti und Leibowitz, in denen Sartre seine ästhetischen Analysen mit ausgewählten Aspekten der Psychoanalyse unter dem Stichwort la psychoanalyse existentielle verbindet.
Dies gilt auch für Galles Nichtberücksichtigung der Rolle von Kunst und Künstlern im Gesamtwerk Camus’. In langen Passagen in Le mythe de Siyphe und L’homme révolté hat Camus seine Schlussfolgerungen über das Absurde darlegt. Die Kapitel über die Kunst in diesen beiden Büchern sind keine bloßen Anhängsel, sie gehören zu ihrem eigentlichen Konzept und enthalten Camus’ Begründungen hinsichtlich der Zusammenhänge von Kunst und Freiheit.
Diese Aussparungen der ästhetischen Positionen Camus’ und Sartres führen zu einem erheblichen Defizit dieser Studie, die durch ihre perspektivische Enge beeinträchtigt wird.
Roland Galle
Der Existentialismus. Eine Einführung
W. Fink, UTB 3188, Paderborn 2009.

Heiner Wittmann