Grundsätzliches zur Gastronomie-Kultur

Serviert von Vincent Klink 
Grundzüge des gastronomischen Anstands von Grimod de la Reynière
Hamburg: Rowohlt 2016.

Wir haben uns schon oft gefragt, wo der Koch Vincent Klink, den Ursprung seiner Passion für die Koch- und Bewirtungskunst gefunden hat, die er in so perfekter Weise in seinem Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart zu zelebrieren versteht.

Vincent Klink spricht über Grimod de la Reynière
5. Dezember 2016 von H. Wittmann

Es ist Balthazar Grimod de la Reynière (1758–1837) der in seinen Werken die hohe Kunst der Gastronomiekritik entwickelt hat. Er wurde in eine sehr wohlhabende Pariser Familie hineingeboren. Das war am 20. November 1758. Ein Krüppel kam zur Welt mit verstümmelten Armen ohne Hände. Das hinderte ihn nicht daran, schon als Kind und Heranwachsender die Sinnes- und Gaumenfreuden im elterlichen Haus zu verfolgen und zu verinnerlichen. Ob ihn der Tod des Großvaters, der an einer Gänseleber erstickte, beeindruckt hatte? Klink nennt seine Einleitung zur Werkauswahl von Grimod de la Reynière: “Der große Vordenker der wohlüberlegten Nahrungsaufnahme: Alexandre Balthazar Laurent Grimod de la Reynière (1758-1837)” und berichtet vom kulinarischen und gatronomischen Salon, den der Vater dem Sohne finanzierte.

Am 1. Feburar 1783 war es wieder mal Zeit für so ein Festmal, ganz im Zeichen des Todes: “gegessen wurde von Särgen…” Exzentrik pur. “Vierzehn Gänge zu jeweils fünf unterschiedlichen Gerichten wurden gereicht.” (S. 16) Er soll ausgerufen haben: “Die Tafel macht uns alle gleich. (S. 19) Dann kam die Revolution, sie machte nicht alles platt, sonderrn veränderte die Öffentlichkeit. Was im Verborgenen der Palais sich abgespielt hatte, gegessen wurde, trat nun an die Öffetnlichkeit. Die Revolution hatte sein Vermögen vernichtet, nun musste Grmod de la Reynière zum Gesellschaftskritiker mutieren, erklärt Klink, und der Franzose entwickelt eine literarische Gattung, die Klink uns in diesem Buch so gelungen serviert. Er nennt die Dinge beim Namen, freut sich Klink, und vermutet ganz zu Recht, dass der Franzose heute hart mit uns ins Gericht gehen würde: “Auch bei Tisch werden Dumme nicht gescheit, und wer sich nicht entblößen will, flüchte sich in ein Lied!” (S. 24)

Die Vorspeise: Alkoran. Der Feinschmecker. 30 Ratschläge, die es beim Essen zu berücksichtigen gilt: U. A. “Appetit ist die Seele des Gourmands,” Vorsicht bei der Wahl er Themen, die zur Sprache kommen oder die Lende ist besser als das Flügelstück eines jeden Geflügels. Vor dem Gesetz und vor dem Tisch sind alle gleich. NIE etwas Umwerfen, weder das Salzfaß noch, o Gott behüte, das Weinglas. Nur selbstgeflücktes Obst ungeschält genießen.

Jetzt kommt der Hauptgang: Grundzüge des gastronomischen Anstands. Hier wird erklärt, aus der Feder Grimod de la Reynières, wie Einladungen ausgesprochen und zu befolgen seien. Eine Missachtung der Regeln, wie Gäste empfangen und placiert werden, ist äußerst unschicklich. Und schon in den ersten Minuten des Mahles zeigt sich, ob die Gäste den guten Ton beherrschen. Vortrunk, Nachtrunk… da bedauere ich Hektik unserer täglichen Mittagsmahle. Die richtige Bedienung des Tisches ist eine conditio sine qua non für das Gelingen des ganzen Mahles. Das Servieren der Wene ist eine eigene Kunst. “Beplauderter Bissen…”, nicht einfach drauflos quatschen, Grimod de la Reynière hat zu den Tischgesprächen präzise Vorstellungen. Was wäre das Mahl ohne die Vorvisiten, Appetitvisiten oder gar die Verdauungsvisiten? Aber die Gastgeber haben auch viele Pflichten gegenüber den Dienern allemal. Auf S. 86 ff. wird alles nochmal in Kurzform prägnant und einleuchtend wiederholt.

Jetzt kommt der 2. Hauptgang: Küchenkalender. Jeder Monat ist für Grimod de la Reynière widmet jeedem Monat einen gastronomischen Exkurs, den Klink jeweils mit einem Spitzenrezept anreichert. Das erste Quartal: Ochs, Kalb und Schwein, überhaupt alles Gundsätzliche zum Fleisch im ersten Jahresmonat. Dann folgt Klinks Ochsenroulade mit Dijonsenf. Für zwei Personen. Nicht nur das Rezept, sondern es wird gastronomisch präzise erklärt à la Grimod de la Reynière. Im Februar kommt das Geflügel an die Reihe. Klink schlägt dazu Geflügelleber-Parfait. Für 6 Personen als Vorspeise vor. Im März geht es um Fische und Klink kocht einen Steinbutt – der Fasan des Meeres. Für 4 Personen und verrät dabei detaillierte gastronomische Kulturgeschichte. Im April, Schinken, Spargel, und jahreszeitlich passend Lämmer in der Küche. Klink schlägt uns eine Navarin d’agneau. Für vier Personen. Makrelen, Tauben und Gemüse im Mai und Klink berichtet über das Frikassee vom Keuschhahn. Für vier Personen. Klinks Rezept für den Monat September: Gänsebraten mit Rotkohl. Für 4-6 Personen.

Dieses Buch ist einem Kochbuch überlegen. Grimod de la Reynière erklärt das Fundament, auf dem die heutige Kochkunst ruhen sollte. Und Klink verbindet durch seine Rezepte seine Kunst mit der Gastronomiekritik des Franzosen und besteht diese Prüfung glänzend.
Heiner Wittmann