Jacques-Pierre Gougeon, Frankreich – Deutschland

Jacques-Pierre Gougeon,
France-Allemagne. Une union menacée? Paris :
Armand Colin 2012. 216 p.,
ISBN : 978-2200257637

Der Umschlag des Buches von Jacques-Pierre Gougeon, France-Allemagne. Une union menacée? ist mit mehr als nur ein kurzer Blick wert. Betrachten wir die beiden Flaggen, die Trikolore und die Flagge von Deutschland, beide vor dem Hintergrund mit einer eingerissenen europäischen Flagge. Sicher kann man dieses Bild ganz unterschiedliche interpretieren. Wenn wir aufmerksam den Untertitel des Buches lesen, entdecken wir das Wort Union, womit die Europäische Union gemeint ist. Wenn das Einverständnis zwischen Frankreich und Deutschland beeinträchtigt, gestört oder sonst irgendwie beeinträchtigt wird, geht es Europa nicht gut, könnte man hinzufügen. Soweit sind wir noch nicht und der Autor will nicht dramatisieren. Er analysiert die Situation beider Länder hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Leistung und ihres je eigenen Blicks auf die nationale Geschichte. Aber dieser Vergleich zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg und der Selbst-Perzeption beider Länder wie ihr Blick über den Rhein zeigen immer mehr die Probleme der Konvergenz.

Ein Blick auf die beiden Länder zusammen zeigt immer mehr den Gegensatz zwischen einem “deutschen Modell”, das die Erfolge der deutschen Wirtschaft beschreibt und dem Gefühl des Niedergangs in Frankreich, das aus einer Reihe von Kennzahlen entsteht, wie der Rückgang der Wettbewerbsfähigung und Strukturproblemen, wie u. a. die deutlich niedrigere Anzahl von mittelständischen Betrieben im Vergleich zu Deutschland, dies zeigt.

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Albert Camus, ein Philosoph?

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Der Einfluss der digitalen Welt auf unsere Gesellschaften

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Wir sollen die Herrschaft über die Computer zurückgewinnen.

Frank Schirrmacher,
Payback .Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen
Blessing, München 2009.
240 Seiten. ISBN: 978-3-89667-336-7

Zwei Teile hat das Buch. Zuerst erklärt Frank Schirrmacher, warum wir hinsichtlich unserer digitalen Welt tun, was wir nicht tun wollen, und im zweiten Teil stellt er Überlegungen an, dass wir und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen müssen. Damit sind auch die Hauptthesen dieses Buches knapp und präzise umschrieben. Die Computerwelt hat uns zu Verhaltensweisen verleitet, die wir eigentlich gar nicht mögen, schon gar nicht wahrhaben wollen. Und so lautet die Botschaft des Autors, es ist für eine Rückbesinnung noch nicht zu spät, allerdings muß die Neujustierung der digitalen Welt, womit er aber im wesentlichen unseren Umgang mit ihr meint, unbedingt bald und ohne Zögern erfolgen. Der Befund ist eindeutig und nach der Lektüre sind die Urteile im ersten Teil des Buches (über 160 Seiten) zwar nicht überall wirklich überzeugend, aber der Autor hat sein Anliegen verständlich formuliert. Leider ist der zweite Teil nur knapp halb so lang und bietet folglich auch nur einige Einsichten und Handlungsanweisungen.

Ohne Zweifel kennt sich der Autor in soziologischen Fragen rund um das Internet vorzüglich aus, wie die zahlreichen Belege dies ausführlich dokumentieren. Seine Berufung auf wissenschaftliche Untersuchungen an vielen Universitäten und die Hinweise auf renommierte Experten bergen aber auch Gefahren der Einseitigkeit, weil eine andere Auswahl möglicherweise andere Ergebnisse stützen könnte. Zum Beispiel warnt er in dem Kapitel „Warum Menschen nicht denken“ vor der Verschiebung der Aufmerksamkeit in „Skripte“ (S. 118 f.), eine Art Drehbücher, die unseren Umgang mit digitalen Informationen bestimmen und die es uns erschweren, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Schauen wir uns die Argumentation auf diesen beiden Seiten genauer an: Schirrmacher fragt, was geschehe, wenn unsere Aufmerksamkeit aufgefressen werde, und warum es geschehe? Dann folgt eine rhetorische Frage mit einer eindeutigen Antwort: „Ist es dieser Zustand, den der Computer nutzt und verstärkt, ohne dass wir es merken? Kurz gesagt: Ja, er ist es.“ Das ist aber keineswegs so sicher, klingt aber hier nur so. Dann kommt noch eine kurze Erklärung dieser Bestätigung, bevor der Autor den „britische(n) Mathematiker – und einer der Väter der Informatik – Alfred North Whitehead“ als Illustrierung dieses Gedankens zu Wort kommen lässt, der „die dazugehörige Ideologie stellvertretend für viele formuliert: „,Zivilisation entwickelt sich in dem Ausmaß, in dem wir die Anzahl der Operationen ausdehnen können, die wir ausüben, ohne über sie nachzudenken…‘.“ Man könnte diese Passage auch als eine Art Skript oder Modell für das ganze Buch bezeichnen, weil immer wieder Hinweise auf wissenschaftliche Studien oder Aussagen renommierter Wissenschaftler als Belege von Gedankengängen des Autors erscheinen. Dadurch wird aus dem ersten Teil dieses Buches viel mehr eine Art Wissenschaftgeschichte als eine fundierte Kritik an der Art und Weise, wie wir die digitale Welt nutzen oder diese uns benutzt. Dabei gibt es eine Reihe von Überlegungen oder Analysen, die auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen, die im übrigen meistens nur bedingt zu den Thesen oder dem Anliegen Schirrmachers passen, unseren Umgang mit der digitalen Welt und die Missstände und die Gefahren, die daraus erwachsen, viel besser illustrieren könnten.

Schirrmachers Anmerkungen zu den Suchergebnissen von Google sind unvollständig. Es sind nicht alleine die Links, die auf eine Website zeigen, die über deren Platzierung im Suchergebnis entscheiden. Wenigsten 8-10 weitere Kriterien von über 100 wären auch zu nennen. Aber das völlige Ungenügen des Google-Algorithmus, die Websites auf der eigenen Ergebnisseite in eine wie auch immer geartetete sinnvollere Reihenfolge zu bringen, die der Bedeutung der Websites auch nur annähernd gerecht werden könnte, fehlt in den Überlegungen des Autors. Dieses elementare Defizit wird Google kaum je in den Griff bekommen. Schirrmacher benennt ganz richtig – aber aufgrund eines anderen Zusammenhangs – den „Kontrollverlust über Informationen“ (S. 58). Die willkürliche Anordnung von Suchergebnissen hat für Studenten und Schüler fatale Folgen. Sie vertrauen nur allzu gerne aus Bequemlichkeit den oberen Suchergebnissen, nutzen vielleicht auch nicht so häufig die vielen Funktionen, mit denen die Suchabfrage präzisiert werden kann. Die vielen Meinungen über Informationsgewinn aus dem Netz, die Schirrmacher zitiert, verstellen den Blick auf das Wesentliche. Welche Gefahren treten bei der Nutzung von Google auf? Welche Websites werden von Google wohl nicht angezeigt werden, welche alternativen Suchformen gibt es? Hätte der Autor diese Fragen wenigstens gestreift, dann würde man seine Feststellung, sein Buch wäre ohne Google nicht geschrieben worden, die richtige Einschätzung verleihen können. Hat er Google in Kenntnis seiner Defizite benutzt oder so wie alle Google nutzen?

Das Wort Wikipedia kommt nur zwei oder dreimal in seinem Buch vor. Leider fehlt im vorliegenden Band eine eingehende Analyse dieses Mitmachlexikons, mit deren Ergebnis er seine These „Mein Kopf kommt nicht mehr mit“ bestens hätte belegen können. Früher gab es in Enzyklopädien präzise Darstellungen eines Sachverhaltes vielleicht mit einigen gezielten Querverweisen. Heute sind manche Einträge in Wikipedia Pro- oder Hauptseminarbeiten geworden, die bisweilen von seitenlangen Diskussionsseiten ergänzt werden, zu denen bei vielen Beiträgee ein nutzloses Versionsgerangel hinzukommt, die die Thesen und die Klagen Schirrmachers wunderbar illustrieren und seiner Untersuchung eine weitere und besondere Schärfe hätten verleihen können, so dass sie manchen der zitierten Untersuchungen wirklich überlegen gewesen wäre.

Die wenigen Bemerkungen über soziale Netzwerke zeugen nicht von einer profunden Kenntnis von deren Konzeption, Möglichkeiten und Gefahren. (Cf. H. Wittmann, Web 2.0 und soziale Netzwerke,- hier:  www.stuttgart-fotos.de/web-2-0-und-soziale-netzwerke – Eine Analyse des ungebremsten Drangs so vieler, in diesen Netzwerken vertreten sein zu wollen, verlangt eine eingehendere Untersuchung. Überhaupt fehlen in diesem Buch Anmerkungen zu Web 2.0, dem Mitmachnetz, um die Frage zu analysieren, ob das mit vielen Web 2.0-Seiten einhergehendes oder vorgegaukelte Mehr an Demokratisierung stimmt, und ob der Begriff der Demokratie sich überhaupt eignet, um die Qualität der Partizipationsangebote zu testen oder zu belegen. Mitmachen und Partizipation, Beeinflussung und Manipulation, die Grenzen sind eben nicht mehr eindeutig zu bestimmen. In diesem Zusammenhang müssten Beispiele und Geschäftsmodelle analysiert und diskutiert werden, um den Partizipationsgedanken von allzu platter Werbung trennen zu können.

Der Autor übernimmt aber lieber Ergebnisse von Studien, so wie das 2007 in den USA durchgeührte „National Enowment of Arts“, mit der das Lesen untersucht wurde. (S. 35) Ihr Ergebnis war die Einsicht, das der Verlust von Lesekonzentration Folgen für den sozialen Aufstieg hat und immer mehr Kinder und Erwachsene nicht mehr systematisch lesen können. Schirrmacher schreibt „Die Studie erbrachte den Beweis für die Veränderung aller Gehirne. Und für die bemerkenswerte Geschwindigkeit, in der die digital entwickelste Gesellschaft der Welt verlernt, komplexe Texte zu erfassen.“ Diese Interpretation der Untersuchungsergebnisse mag zutreffend sein, es stört hier nur, wie diese Studie hier genutzt wird, um in den folgenden Absätzen zu der Einsicht zu kommen: „Unser gesamtes Bildungswesen ist instabil geworden“ (S. 36). Nebenbei bemerkt, der Kritik an den „Zertifizierungen“ „Normen“, mit denen man diesen Missständen abhelfen will, ist voll und ganz zu teilen. Statt sich immer wieder auf Wissenschaftler zu berufen, und die eigene Argumentation an deren Ergebnissen entlangzustricken, gäbe es Beobachtungen in Hülle und Fülle, mit denen die Vermutung „Unser Denkapparat wandelt sich“ vom Autor genausogut hätte belegt werden können. Seminararbeiten, Examensarbeiten und Doktorarbeiten werden durch die Computertechnik immer länger und unlesbarer. Kaum ein Student käme heute noch auf die Idee, seine Arbeit mit Füller auf weißes Papier zu schreiben, wobei er selbst eine wunderbare Entdeckung machen könnte, nämlich die seiner zusammenhängenden Gedanken, die vom Korrekturfunktion der Schreibprogramme ausgelöscht wurden. Der unreflektierte Umgang mit der PC-Technik spiegelt sich auch im oben genannten Informationschaos in Wikipedia wider. Man benötigt keine Studien, in der Art wie Schirrmacher sie immer wieder zitiert, um das Unvermögen vieler mit Schreibprogrammen umgehen zu können, zu analysieren. Ein kürzlich erschienener Band zum
E-Learning 2009 zeigt welche Hoffnungen Pädagogen und Medienwissenschaftler in die PC-Technik setzen. Die Berücksichtigung dieser und ähnlicher Stellungnahmen hätte für Schirrmachers Untersuchung sicherlich weitere interessante Aspekte geliefert.

Die Einsicht Schirrmachers, er hätte sein Buch ohne Google nicht schreiben können, deutet möglicherweise auch auf eine unzureichende Beobachtung und Auswertung unserer Gewohnheiten im Umgang mit der digitalen Welt hin. Ich kenne Studenten, die ganz enttäuscht waren, weil sie keine Sekundärliteratur zu ihrem Thema fanden. Das Werk, das ihnen als Lektüre des Seminars bekannt war, hatten sie noch nicht gelesen und das Googeln hatte Ihnen auch keine Ergebnisse gebracht. Seitdem habe ich Bedenken, wenn Studenten oder auch Autoren sich bei der Informationsbeschaffung auf Google beschränken und ihren Text um die Suchergebnisse herum verfassen.

Aufmerksamkeitsdefizit, Chaos im Kurzzeitgedächtnis, die Vermutung oder Einsicht, „dass die Maschinen uns bereits überwältigt haben“, die Veränderung des Denkens, die Kritik am „Mulitasking“, der Möglichkeit, die zum Zwang mutiert, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen haben, so der Autor, gravierende Folgen: „Menschen verlieren buchstäblich all das, was sie von Computern unterscheidet – Kreativität, Flexibilität und Spontaneität…“ (S. 69 f.). Ist das wirklich so? Wie immer, da ist ein bisschen was dran und auch wieder nicht. Genauso könnte man mit der Digitaltechnik ein Plus für die Kreativität konstruieren – wie der Autor dies auch im zweiten Teil seines Buches macht.

„In unserer Gesellschaft überlebt nicht mehr, wie es – früher ebenso falsch – hieß, der ‚Tüchtigste‘; sondern der Bestinformierte.“ (S. 121) Mit einem solchen Satz muss man nicht unbedingt einverstanden sein und dies erst recht dann nicht, wenn er am Anfang eines Kapitels steht, also die folgende Argumentation auf dieser Aussage aufbauen. Der Bestinformierte? Gemeint sind wohl diejenigen, die mit den Informationen richtig umgehen können? Auch in diesem Kapitel „Der digitale Darwinismus“ (S. 121-142) zitiert der Autor viele Aussagen von Wissenschaftlern und illustriert damit seine Argumentation. Wenn Studenten die Hnweise auf die Sekundärliteratur n die Fußnoten verbannen und in ihrem Text ihre Argumentation vortragen, können ihre Arbeiten richtig gut werden. Die Arbeitsergebnisse des Soziologen Robert Merton, des Psychologen Geoge Miller, des Philosophen Daniel Dennett, der Informatiker und Kognitionspsychologen Peter Pirolli und Steve Card verleihen der Argumentation Schirrmachers durchaus interessante Aspekte, aber sie machen aus seinem Buch und besonders aus seinem ersten Teil ein Referat über deren Forschungsergebnisse und lenken den Autor und damit auch den Leser vom eigentlichen Thema, wie wir unsere werden Informationen nutzen ab. Das Ergebnis sind dann solche Sätze wie: „Die Auswertung und Analyse unserer Assoziationen, die unsere Aufmerksamkeit im Netz und in allen anderen Informationssystemen lenken und erleichtern soll, halte ich für einen der gravierendsten Vorgänge der aktuellen Entwicklung.“ (S. 142) Man spürt was der Autor hier meint, es geht um die Art und Weise, wie Informationen aufgenommen und von uns, den Nutzern des Internets – und nicht nur durch Hyperlinks – mit anderen Informationen verknüpft wird.

Der Autor betont ausdrücklich, dass sein Buch kein Pamphlet gegen Computer sein soll. (S. 157). Sein erstes Kapitel „Mein Kopf kommt nicht mehr mit“ (S. 13-21) klingt aber ganz anders, bis auf den letzten Absatz, dessen erster Satz „Aber im Internet und den digitalen Technologien steckt auch ein gewaltige Chance…“ den Ton des zweiten Teil seines Buches angibt. Wiederum nennt Schirrmacher viele andere Wissenschaftler und ihre Arbeiten. Aber er kommt auch zu wesentlichen Einsichten, die „Konsequenzen der Informationsrevolution“ in den Schulen und Hochschulen fordern. Recht hat er. Und in diesem Zusammenhang nennt er auch den „Zertifizierungswahn“ und die „groteske Verschulung heutiger Hochschulausbildung“. Und jetzt folgen entscheidende Sätze: „Die Informationsgesellschaften sind gezwungen, ein neues Verhältnis zwischen Wissensgedächtnis und Denken zu etablieren. Tun Sie es nicht, sprengen sie buchstäblich das geistige Auffassungsvermögen ihrer Bewohner.“ Schirrmacher meint wohl, dass die digitale Technik Möglichkeiten bietet, die die Hochschulen bisher nicht wahrgenommen haben. Nebenbei bemerkt, das Wort Informationsgesellschaft ist ein unnützes Kunstwort, Gesellschaften mit mehr oder weniger Information gab es immer. Er meint wohl, dass es auch neue Formen des Umgangs mit Informationen geben wird, aus denen Wissen erzeugt werden kann. Im Grunde genommen öffnet er hier ein weites Feld, nämlich das der Erkenntnistheorien und die werden zunächst einmal nicht grundlegend durch die digitale Technik verändert. Sie gewinnen möglicherweise einige neue Perspektiven hinzu. Es gibt zusätzliche Formen der Wissenserarbeitung, wie die vom Autor zitierte Form der Fragestellung vor einer Vorlesung: „Sie lernen nicht mehr, was sie wissen möchten, sondern was sie nicht verstanden haben.“ Diese Auffassung von einer interaktiv unterstützten Vorlesung teile ich nicht. So etwas entspricht eher der krampfhaften Suche nach einem Anwendungsfeld bestimmter vorhandener Techniken als einer sinnvollen Modifikation des Vorlesungsbetriebs. Aber der Autor ist sich sicher, dass der „Perspektivwechsel in Zeiten des digitalen Lebens“ (S. 221) wichtig ist und kommen wird. Die Gefahren glaubt er bewußt gemacht zu haben: „Aber die Chancen, dass daraus etwas Gutes wird, sind ebenso groß.“ (S. 222) Und: „In den Schulen, Universitäten und an den Arbeitsplätzen muss das Verhältnis zwischen Herr und Knecht, zwischen Mensch und Maschine neu bestimmt werden.“ Die vielen interessanten Ansätze des zweiten Teils wären in ausführlicherer Form noch einleuchtender geworden. Vielleicht haben die vielen interessanten Suchergebnisse zu den Themen des ersten Teils zum Ungleichgewicht dieses Buches mit beigetragen.

Ein Website mit den anklickbaren Links in der Bibliogaphie wäre eine gute Ergänzung für dieses Buch.

Heiner Wittmann

Auf YouTube steht eine Präsentation dieses Buches durch den Autor:

Sartre und die Freiheit

Eros der Freiheit lautet der Titel des Plädoyers für eine radikale Aufklärung, die Ulrike Ackermann bei Klett-Cotta vorgelegt hat. Das Buch behandelt die historische Entwicklung der Freiheit und legt auf diese Weise auf knappem Raum eine politische Ideengeschichte vor, die auch Studenten wie auch Schülern interessante Anregungen auf lesenswerte Bücher nahe legt. Ihre Hauptthese, die ich auf dem Blog von Klett-Cotta vorstelle, dass die Freiheit mit ihrem Dilemma der Sehnsucht nach ihr und zugleich mit der Angst vor der Freiheit ringt, hat sie mit ausgewählten Zitaten der maßgeblichen Denker eindrucksvoll belegt.

Eine Lücke in ihrem Buch gibt Anlass nachzufragen. Es ist erstaunlich, dass sie in ihrer Darstellung an keiner Stelle die Überlegungen Sartres zu Freiheit auch nur streift. Sartre, der 1943 seine Untersuchung zur menschlichen Freiheit als eine ontologische Phänomenologie unter dem Titel Das Sein und das Nichts vorlegte, kommt bei ihr nicht vor. Ackermanns Hauptthese der Widersprüche, die der Freiheit inhärent seien und die zum Guten wie zum Bösen führen können, korrespondiert auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Sartres Anspruch einer absoluten Freiheit, die den Menschen immer wieder vor eine Wahl stellt, für die er aber selber eine Verantwortung trägt. Ulrike Ackermann konzentriert ihre Darstellung auf die Entwicklung der Freiheit durch die Jahrhunderte, während Sartre die Freiheit des Menschen auf einer philosophischen Ebene von allen Seiten durchleuchtet.

Sartres Überlegungen zur Freiheit sind aber umso bedeutender, als er auf ihrem Hintergrund den Marxismus und auch die Psychoanalyse untersucht hat. Zunächst hat er die Verbindung zwischen diesen beiden Ansätzen theoretisch analysiert, danach mit einem praktischen Ansatz in seiner > Mallarmé-Studie evaluiert und beide aufgrund ungenügender theoretischer Grundlagen verworfen. Die Psychoanalyse kritisiert er, er der das Drehbuch zu Jean Hustons Film über Freud verfasst hat, weil für ihn das Unbewusste immer ein “Bewusstsein von etwas sei”, und dem Marxismus warf er eine “fehlende menschliche Dimension” (Sartre, Fragen der Methode, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 194 et cf. passim) vor. Sein Engagement auf der Seite vieler linken Gruppierungen machte ihn für die Rechten suspekt, als Intellektueller wahrte er dennoch zu allen -ismen eine kritische Distanz und schrieb zahlreiche Künstlerporträts, um den unbedingten Anspruch der Freiheit zu illustrieren.

Bleibt immer noch die Frage, ob in dem Band von Ulrike Ackermann etwas fehlt, wenn Sartre nicht genannt wird? Jeder blättert ein neues Buch durch, schaut in das Literaturverzeichnis und stutzt, wenn die ihm vertrauten Werke dort fehlen. Ackermanns Ansatz aus der Geschichte der Freiheit eine Erinnerung an ihre Chancen und ihre Gefahren, die auch Angst machen, herzuleiten, benötigt nicht unbedingt Bezüge zum Werk Sartres. Wenn es aber darum geht, die Freiheit des Menschen als eine conditio sine qua non seiner Entwicklung darzustellen, darf eines der wichtigsten Werke des 20. Jahrhunderts eigentlich nicht fehlen.

Sartre begründet mit dem für ihn absoluten Freiheitsanspruch des Menschen die Unabhängigkeit von allen Ideologien, die Warnung vor Totalitarismen jeder Art sowie die Fähigkeit des Künstlers etwas neues schaffen zu können. Bedenkt man aber, dass Sartre bei der Untersuchung der Freiheit, ihre beiden Seiten, ihre Chancen wie auch die Angst des Menschen vor ihr en détail analysiert: “…die meiste Zeit flieht er vor der Angst in die Unaufrichtigkeit,” (Sarte, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, übersetzt von Hans Schöneberg und Traugott König, Reinbek bei Hamburg, 1991, S. 642) nennt, dann darf man doch zu der Meinung tendieren, dass Sartre im Band von Ulrike Ackermann nicht fehlen dürfte.

Heiner Wittmann
Ackermann, Ulrike, Eros der Freiheit. Für eine radikale Aufklärung
Klett-Cotta, 1. Aufl. 2008, 168 Seiten
ISBN: 978-3-608-94305-4

Die digitale Welt und die Politik

Kleck, Véronique,
Numérique & Cie. Sociétés en réseaux et gouvernance,
Editions Charles Léopold Mayer, Paris 2007.

Das Motto dieses Buches enthält ein Zitat von Jacques Robin aus der Gründungserklärung des VECAM 1, das die aktuellen Veränderungen unserer Gesellschaften nicht als Krise und auch nicht als dritte industrielle Revolution bezeichnet, sondern diese Veränderung als eine wahrhaftige Mutation, den Wechsel einer Ära und die Geburt einer neuen Zivilisation versteht. 1994 hatte Jacques Robin bereits. auf die sozialen Auswirkungen der Informations- und Kommunikations-technologien hingewiesen. Damals entstand das VECAM, das am Rande des G7 Gipfels in Brüssel im Februar 1995 den Journalisten vorgestellt wurde. In diesem Sinne enthält das vorliegende Buch ein Resümee und eine Bewertung der bisherigen Tätigkeit des VECAM und zugleich auch einen Ausblick vor allem auf die künftigen sozialen Implikationen der Informationstechnologien.

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L’élection présidentielle 2007


www.france-blog.info bloggte live aus der Redaktion von www.france24.com
1 er tour: dimanche, 22 avril et 2ème tour: dimanche 6 mai 2007


Lesetips für die Präsidentschaftswahl in Frankreich:
Internationale Politik
Die Zeitschrift Internationale Politik
bietet in ihrem jüngst erschienenem Aprilheft (4/2007) ein ausführliches Dossier zu den französischen Präsidentschaftswahlen an: Wohin steuert Frankreich?
Internationale Politik

Daniela Schwarzer, Frankreich- und Europaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin berichtet unter dem Titel Wahl der Willkür über Trends, Themen und Temperamente. Sie zeigt, wie die Kandidaten erst im Wahlkampf ihre Themen schmieden, wodurch auch die hohe Zahl der Unentschiedenen erklärbar wird, und sie zeigt einleuchtend,wie sich die Konturen zwischen rechts und links verwischen. Sie sieht Hoffnungen für François Bayrou, als Wähleralternative angenommen zu werden.

Johannes Wetzel, freier Jurnalist, berichtet über François Bayrou; Rebell der Mitte, der das ‘extreme Zentrum’ (A. Duhamel) neu erfindet. Allerdings zeigt sich der Autor skeptisch, ob das von Bayrou angestrebte Ziel der Einheit wirklich in die politische Landschaft passt, in der gerade die Linke und die Rechte den Mythos der nationalen Einheit bestimmen.

Frank Baasner fragt angesichts des Wartens auf den großen Ruck in Frankreich, ob der der Ausweg VI. Republik? heißt. Die Verkürzung des Mandats des Präsidenten auf 5 Jahre, die Cohabitation, die wohl nicht mehr angemessene Repräsentativität der Assemblée nationale mit ihrem Mehrheitswahlrecht deuten auf einen Reformbedarf der Institutionen hin. Die Situation ist paradox meint er. Nur ein starker Präsident wäre in der Lage, die Machtposition des Parlaments zu stärken.

Daniel Vernet, außenpolitischer Direktor bei LE MONDE, untersucht Frankreichs außenpolitische Vorstellungen, die zwischen dem Beharren auf Tradtionslinien, Realpolitik und Moralismus schwanken: Multipolare Verwirrungen. Er beschreibt den Zick-Zack-Kurs der französischen Außenpolitik, die mit dem “De Gaulle-Mitterrand-Chirac’schen Kompormiss” eigentlich seit dem Ende der Blöcke in Europa und den neuen neuen Herausforderugnen durch die Globalisierung überholungsbedürftig ist.

Dominique Moïsi, Mitbegründer des Institut français des relations internationales (ifri) in Paris und Professor für Internationale Beziehungen am Collège d’Europe in Natolin/Warschau entwickelt einen “Leitfaden: Wie man Weltmacht bleibt, ohne seine Freunde zu ärgern: Knigge für die Grande Nation. Frankreich kann sich nicht aus der Globalisierung ausklinken, und es darf seine Aufgaben nicht vernachlässigen: dazu gehören das transatlantische Verhältnis, der Dialog mit dem Islam und der Klimaschutz. Unter den 7 Ratschlägen an die Adresse Frankreichs ist der Punkt 4 besonders wichtig: Frankreichs Einfluss in der Welt hängt von der eigenen Reformfähigkeit ab. Zudem sind die Innen- und die Außenpolitik immer enger miteinander verbunden. Dazu passt auch, dass der Autor daraufhinweist, dass es nicht darum geht, ob und wie Europa islamisiert wird, sondern, was “Frankreich und Europa zur Aussöhnung der islamischen Welt mit sich selbst beitragen können.”

Martin Koopmann leitet das Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen in der DGAP und berichtet über die Neuformierung der französischen Europa-Politik. Zaghaft, aber es bewegt sich was, und Berlin sollte dabei Hilfestellungstellung leisten: Brückenbauer gesucht. Er zeigt, die Auswirkungen des Maßerfolgs des Referendums, erinnert aber auch daran, daß man allgemein der Ansicht ist, daß die für die Institutionen relevanten Passagen der Verfassung nicht die Ursache seiner Ablehnung waren. Zwar entwickeln die Kandidaten aus der Analyse der bisherigen Europapolitik unterschiedliche Ansätze, der Autor zeigt aber am Beispiel der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), daß auch Berlin sich hier kompromissbereiter zeigen muss.Er traut der PS unter Ségolène Royal neue Ansätze in der Europapolitik zu, er weiß daß Nicolas Sarkozys Haltung in Berlin am besten bekannt ist, glaubt aber, daß François Bayrou u.a. im Bereich von multilateralen europäischen Kooperation ein “hohes Maß an Konsensfähigkeit” zukommt.

Angelica -Schwall-Düren, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion für Angelegenheiten der Europäischen Union plädiert für ein europäisches Frankreich Gemeinsam Geschichte schreiben und erinnert mit ihrem Titel an den Erfolg des gemeinsamen Geschichtsbuches (Klett und Nathan).

Henrik Uterwedde, stellvertretender Direktor der Deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg analysiert Frankreichs Wirtschaft zwischen Erneuerung und Beharrung: Revolution auf Raten. Sein Titel ist gut gewählt und bringt die Probleme Frankreichs auf den Punkt: Bemerkenswerte wirtschaftliche Erfolge stehen punktuell strukturellen Problemen gegenüber, wobei eine der Hauptursachen, das staatsdirigistische Modell der Nachkriegszeit tatsächlich seit dem Beginn der achtziger Jahre abgebaut wird – auf Raten. Neue Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen und eine Stärkung des Mittelstandes gehören u.a. zu den vordringlichen Aufgaben.

Eva Sabine Kuntz, Generalsekretärin Deutsch-Französischen Jugendwerks zeigt, wie der Jugend Frankreichs der soziale Abstieg droht:keine Arbeit, keine Zukunft. Der Blues der “Generation Chirac” lautet die Überschrift ihres Beitrags. Sie zeigt die dramatischen Veränderungen der letzten Jahre, die hohe Arbeitslosigkeit, die Auswirkungen der Randale in der Banlieue und der erfolgreichen Proteste gegen den Ersteinstellungsvertrag. In beiden Protestwellen erkennt die Autorin den Wunsch der Jugendlichen, etwas bewegen zu wollen. Der immer schwierigere Berufseinsteig für die Jugendlichen in Frankreich und der daraus entstehende Frust kann das “republikanische und soziale Modell” ins Wanken bringen.

Heiner Wittmann


DokumenteDOKUMENTE. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog hat seinem 2. Heft / 2007 ein Dossier 50 Jahre Römische Verträge vorgelegt. Außerdem berichten mehrere Autoren über die bevorstehenden Wahlen in Frankreich.

Dokumente

Das paßt gut: ein Dossier, das dem Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge und einer Bilanz der EU gewidmet ist.

Ansbert Baumann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen und Maître de Conférence am IEP Paris. Er berichtet über Deutsch-französische Impluse vom Elysée-Vertrag bis nach Maastricht, betont die unterschiedlichen Ziele Frankreichs und Deutschland, und weist daraufhin, dass “die Interdependenzen zischen deutsch-französischer Kooperation und europäischen Integrationsprozess … dabei meistens vielschichtig” waren. Dabei wird aber dennoch die Bedeutung der persönlichen Beziehungen zwischen dem Bundeskanzler und dem Staatspräsidenten deutlich, z. B. waren es Schmidt und Giscard d’Estaing, die mit dem EWS einen bedeutenden währungspolitischen Erfolg errangen. Oder 1983 als Mitterrand in Frankreich wirtschaftspolitischen Änderungen einleitet und sich dem Stabilitätskurs der Partner übernahm. Baumanns Artikel ist lesenswert, weil er gerade vor den Wahlen an das Potential der deutsch-französischen Kooperation zugunsten der EU erinnert.

Medard Ritzenhofen, Journalist in Strasbourg erinnerte an Chiracs zwiespältige Bilanz: Adieu Jacques!. Sein Ablehnung des Irak-Krieges verschaffte ihm die meisten Punkte seiner Popularität. Zögerliche Reformen belasten seine Blianz ebenso wie seine Zurückhaltung im deutsch-französischen Verhältnis. Nicht von Royal und nicht von Sarkozy, sondern von François Bayrou erwartet Ritzenhofen Veränderungen zugunsten der französischen Europapolitik

Winfried Veit leitet das Pariser Büro der Freidrich-Ebert Siftung. Er sieht die französische Linke vor den Präsidentschaftswahlen In der Bewährungsprobe. Zwar haben sich die Mitgliederzahlen der PS von 130.000 auf 280.000 infolgen einer geschickten Werbung 2006 verdoppelt. Die Umfragen halfen Ségolène Royal, die allein geeignet erschein, den Herausforderer Sarkozy schlagen zu können. Ihr neuer Stil der “partizipativen Demokratie” wurde im Verlauf des Wahlkampfes modifiziert, auch band sie wieder die Führungspersönlichkeiten ihrer Partei in ihren Wahlkampf ein. Veits Artikel zeigt, dass Royal scheitern könnte, weil sie die verschiedenen linken Lager nicht in dem Maße einen könnte, wie dies nötig wäre, um im zweiten Wahlgnag die notwendigen Stimmen aus dem rechten Lager zu bekommen.

Medard Ritzenhofen berichtet über Nicolas sarkozy, François Bayrou und Jean-Marie le pen: Renouveau der Rechten. Drei Punkte: “Die Rechte gibt es weniger als die Linke.” Die Rechte hatte nie einen guten Ruf und ihre Herrschaft ließ die Linke nur als Ausnahme zu. Ritzenhofen bezeichnet Sarkozys Vorstellungen als einen modernen Konservativismus und stellt ihm die “Radikalität der Mitte” von François Bayrou gegenüber, in Frankreich zum solidesten Fürsprecher Europas geworden ist. “Frankreich den Franzosen”: so wurde Le Pen zum langlebigsten Politiker und tritt schon das 5. Mal bei der Präsidentschaftswahl an. Diesmal hat aber Sarkozy mit seinen Stellungnahmen zur Verbrechensbekämpfung dazu beigetragen, dass die Ansichten der FN populärer werden. Royal, die von militärisch geführten Erzehungsanstalten sprach, hat ebenfalls wenn auch nur indirekt zur Aufpolierung des Images der FN beig tragen. Trotzdem bleibt Le Pen bei seinen Grundüberzeugungen, die die Protestwähler ansprechen. Bayrou hingegen will sich am Berliner Vorbild der Großen Koalition orientieren.

Joachim Schild lehrt Vergleichende Regierungslehre an der Universität Trier und analysiert die Bedeutung der Europapolitik im Präsidentschaftswahlkampf: Europa als Sündenbock. Die drei Kandidaten, die in den Meinungsumfragen an der Spitze stehen teilen die Bedenken vor der Erweiterung der EU. Royals Vorstellungen hinsichtlich der Statuten der Europäischen Zentralbank haben den deutschen Partner irritiert. Hinsichtlich des EU-Vertrages setzt sich Sarkozy für einen “Mini-Vertrag” ein und will ihn im parlementarischen Ratifizierungsverfahren verabschieden. Royal und Bayrou möchten beide nach Änderungen des Vertrages ein neues Referendum. Schild bezeichnet es als eine “politische wie intellektuelle Kraftanstrengung”, die notwendig ist, “eine im Innern aufgrund der politischen und sozialen Krisen der letzten Jahre und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit tief verunsicherten Republik mit Europa zu versöhnen und Frankreich den gewohnten Paltz als europäische Führungsmacht auch für die Zukunft zu garantieren.”

Heiner Wittmann

Bildung in Frankreich

Frankreich Jahrbuch 2005. Bildungspolitik im Wandel,
hrsg. v. Deutsch-Französischen Institut mit W. Asholt u. a.,
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006.
ISBN 2-531.14923-7

Kaum ein anderes Thema wie das der Bildung betrifft in Frankreich alle gesellschaftlichen Bereiche. In vielen anderen europäischen Staaten ist das nicht anders, aber in Frankreich verdienen die bildungspolitischen Debatten eine ganz besondere Aufmerksamkeit, da der dort seit 1968 eingeleitete Reformprozeß keineswegs abgeschlossen ist, aber nun auch zunehmend auf die europäische Bildungspolitik reagieren muß. Dabei geraten die französischen Sonderfälle wie die Classes préparatoires aux Grandes Ecoles (CPGE) und die Grandes Ecoles selbst unter einen immer stärkeren Reformdruck, den Albrecht Sonntag in seinem Beitrag für Frankreichs Schwierigkeiten, sich dem Globalisierungsdruck anzupassen, als möglicherweise charakteristisch bezeichnet.

Hendrik Uterwedde beschreibt die “Brüche im Gesellschaftsmodell” Frankreichs, die mit der Niederlage des Europa-Referendums und dem in die Krise geratenen Wirtschafts- und Sozialmodell verdeutlicht werden. Zugleich wird verständlich, daß die französische Innenpolitik alleine diese Fragen nicht beantworten kann. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Ablehnung des Referendums zur Ratifizierung der Europäischen Verfassung auch eine Ablehnung eines Wirtschaftsliberalismus war, von dem man Impulse zu Reformen erwartet wurden, sind die Streiks gegen das Gesetzes-vorhaben der Regierung CEP (Contrat première embauche) nur ein weiteres Zeichen für die überfällige Neuorientierung der Sozial- und Wirtschaftspolitik in Frankreich. Uterwedde erinnert daran, daß ähnlich gelagerte Reformbedürfnisse beiderseits des Rheins von den Wählern unterschiedlich beurteilt werden: In Frankreich gab es die Ablehnung der Europäischen Verfassung und in Deutschland ein “kritisches Ja” zur Reformpolitik der abgewählten Regierung, was man aber auch durchaus als ein “Nein” zur Arbeit und insbesondere der Wirtschaftspolitik der rot-grünen Koalition bezeichnen könnte. Viel wesentlicher ist, daß Uterwedde, wie dies stets im deutsch-französischen Verhältnis auch offiziell immer wieder erklärt wird, darauf dringt, man möge nicht “die im Kern gemeinsame Notwendigkeit, dies- und jenseits des Rheins, die Wirtschafts- und Sozialmodelle in ihren Leitbildern wie auch in ihrer praktischen Ausgestaltung zu erneuern” (S. 21) übersehen. In der Tat vollzieht sich die tägliche politische Zusammenarbeit auf vielen politischen Ebenen recht lautlos und ist Teil des normalen Tagesgeschäfts geworden. Aber auf zielgerichtete gemeinsame Aktionen und Taten im Wirtschafts- und Sozialbereich beider Länder infolge der vielfach gelobten engeren Zusammenarbeit darf man nach wie vor gespannt sein. In diesem Sinn ist Uterweddes Aufsatz als Auftakt für diesen Band lesenswert, weil er in knapper Form die sozialpolitischen Bedingungen skizziert, in die Frank Baasner im folgenden die “Bildungsdiskussionen in Frankreich” einfügt. Er konzentriert seine Ausführungen auf den Erziehungsauftrag der Schulen und die Ausbildung in den Hochschulen, die zusammen zum Bereich der “éducation” gehören und zeigt auf einleuchtende Weise, wie sich das französische Bildungssystem europäischen Anforderungen nicht länger verschließen kann, sondern aus dieser Entwicklung auch neues Selbstbewußtsein gewinnen kann.

Werner Zettelmeier erklärt, wie sich die Rolle des Schulleitungspersonals während der Entwicklung des französischen Schulwesens seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts gewandelt hat. Die Autonomie, die die Lycées durch die Reformen Anfang der 80er Jahre erhalten haben, die sich aber vor allem auf die Verwaltung und nicht auf die unmittelbare Unterrichtsgestaltung bezogen, werden nicht voll ausgeschöpft, was Zettelmeier mit ihrer Doppelfunktion als Verantwortliche für die Verwaltung mit Autonomierechten und als Repräsentanten des Staats erklärt. Seit 1988 gibt es daher Schullei-tungspersonal ohne Unterrichtserfahrung und -befugnis. 2003 entstand eine eigene Hochschule in Poitiers, die Ecole supérieure de l’Education nationale (ESEN), in der Schulleiterpersonal und Schulaufsichtspersonal gleichermaßen ausgebildet werden. Dahinter verbirgt sich die Absicht, diese Berufsgruppen weiter zu professionalisieren. Zettelmeier weist ausdrücklich daraufhin, daß der Erfahrungsaustausch zwischen deutschen und französischen Schulleitern noch sehr wenig entwickelt ist. Aber es gibt Initiativen wie die Europäische Schulleitervereinigung (www.esha.org), außerdem arbei-tet die ESEN in Poitiers an einem Netzwerk, das vergleichbare Institutionen in Europa verbinden soll. Ohne Zweifel bietet die pädagogische Forschung hier interessante Themen für deutsch-französische Projekte, die auch europäische Fragen mit einschließen sollten. Alle Beteiligten können von einer Erweiterung ihrer Horizonte nur profitieren, neue Konzepte kennenlernen und die eigenen Ansätze im Vergleich mit denen der Nachbarn unter neuen Gesichtpunkten evaluieren. Zettelmeiers Beitrag ist bemerkenswert, weil er den Blick auf längerfristige Entwicklungen in Frankreich richtet, die bei uns kaum wahrgenommen werden, aber neue pädagogische Ansätze ermöglichen, die den Anfang der 80er Jahre begonnenen Autonomiebestrebungen in den Schulen bereits eine neue Dynamik verliehen haben.

Philippe Bongrand stellt die ZEP (Zones d’éducation prioritaires) vor, die seit 1981 unter der Federführung lokaler Verwaltungen in Gebieten eingerichtet wurden, wo aufgrund der sozio-ökonomischen Verhältnisse ein erheblicher schulischer Mißerfolg zu beobachten war. Das war ein doppelter Bruch mit der hergebrachten zentralisierten Bildungspolitik und dem 1973 eingeführten Collège unique, das damit keinesfalls angelastet wurde, denn es sind nur 8-10 Prozent der Schüler von den ZEP betroffen. Der schulische Mißerfolg war u. a. ein Ergebnis der Collège-Reform von 1977. Insgesamt sind die Ergebnisse der ZEP umstritten. Die Erwartungen schienen höher zu sein, als die Ergebnisse, die von der Forschung belegt werden können. Bongrand gelingt es aber einen interessanten Einblick in die Reformbedingungen französischer Bildungspolitik zu geben, da er wie Zettelmeier aktuelle Beobachtungen in einen historischen Rahmen bettet.

Albert Hamm zeigt den Zustand des “Hochschulwesens in Deutschland und Frankreich im Spiegel der deutsch-französischen Erfahrung” und Dieter Leonhard berichtet über die Erfahrungen der Deutsch-Französischen Hochschule auf dem Gebiet der Qualitätssicherung in binationalen und trinationalen Studiengängen. Diese beiden Aufsätze werden durch die Untersuchung von Guy Haug ergänzt, der die Herausforderungen für die Schul- und Hochschulausbildung in einen europäischen Rahmen stellt. Wolfgang Hörner nimmt “Zur unterschiedlichen Logik der Berufsbildungssysteme in Frankreich und Deutschland” Stellung. Ein markanter Unterschied unter vielen anderen: In Frankreich ist die Berufsbildung weitgehend in staatlicher Hand, dagegen sind in Deutschland dafür die Kammern zuständig.

Die Aufsätze zum Sekundarstufen- und zum Hochschulbereich bieten viele Einzelaspekte, die die Herausgeber geschickt zu einem fundierten Überblick über die französische Bildungspolitik zusammengefügt haben. Dabei werden die schwierigen Ausgangsbedingungen mancher Reformansätze deutlich, vor allem gewinnt der Leser einen interessanten Einblick, wie die europäische Bildungspolitik die nationale Politik beeinflußt und umgekehrt. Der Untertitel “Bildungspolitik im Wandel” gibt zu verstehen, daß es sich auch in Frankreich um längerfristige Prozesse handelt, die aus langsameren und schnelleren Phasen bestehen, wobei dann aber immer gleich Wechselwirkungen mit allen anderen Bereichen der Politik zu beobachten sind.
Das Jahrbuch enthält vier weitere Aufsätze. Alfred Grosser untersucht mit einem Blick auf seine eigene Biographie das Verhältnis zwischen Juden und Christen. Der Aufsatz stammt aus einem jüngst bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienenem Band Die Früchte ihres Baumes. Céline Caro berichtet über “Umweltpolitik im Paradies der Kernkraftbauer” und die französischen Grünen. Erst 2002 erschienen Umweltthemen in Jaques Chiracs Wahlkampfreden, bevor 2005 eine Umweltcharta in die Präambel der Verfassung der V. Republik aufgenommen wurde. Céline Caro erklärt die geringen Erfolge der Grünen in Frankreich vor allem mit der ideologischen Zersplitterung der grünen Bewegung und mit deren Konzentration auf die Atompolitik, wobei sie hier immer nur wenig punkten konnten, da Atompolitik und die Unabhängigkeit Frankreichs noch oft in einem einem Zug genannt werden. “Amerikanisches in Deutschland und Frankreich. Vergleich, Transfer und Verflechtung populärer Musik in den 1950er und 1960er Jahren” ist das Thema, mit dem Dietmar Hüser einen Beitrag zu diesem jungen Zweig der Verflechtungsforschung leisten will, die noch auf einschlägige Fallstudien wartet. Interessant sind seine Ausführungen hinsichtlich des Vergleichs zwischen der deutschen und der französischen Nachkriegszeit und dann die fünfziger Jahre, die in den beiden Ländern auf ganz unterschiedliche Weise den Rock ‘n’ roll empfingen. In diesem Zusammenhang erinnert Hüser auch daran, daß der Kulturtransfer im Bereich der Chanson-Szene sich eher von Frankreich nach Deutschland orientierte und kaum umgekehrt. Der Beitrag von Peter Kuon “60 Jahre Kriegsende-Erinnerungskultur in Frankreich” zeigt, wie Staatspräsident, Jacques Chirac, zum Beispiel anläßlich der Einweihung der neuen Ausstellung im Pavillon der Gedenkstätte von Auschwitz die europäische Dimension dieser Tragödie genannt hat. Kuon weist daraufhin, daß die Teilung dieser Erinnerung noch nicht als Faktum bezeichnet werden darf, son-dern “in einer erst noch auszubildenden europäischen Identität als unabweisbares gemeinsames Erbe zu verankern” (S. 228) ist.

Die für dieses Jahrbuch gewohnte Chronik der deutsch-französischen Beziehungen und ein Bibliographie auserwählter Neuerscheinungen der deutschsprachigen Literatur zu Frankreich (S. 276-303) ergänzen den Band.

Heiner Wittmann

Intellektuelle in Frankreich und Deutschland

Der Intellektuelle und der Mandarin Für Hans Manfred Bock. Hrsg. v. F. Beilecke, K. Marmetschke, Intervalle 8. Schriften zur Kulturforschung, Kassel University Press, Kassel 2005, 809 Seiten.

Im ersten Satz dieser Festschrift, deren Titel an Fritz. K. Ringers Untersuchung Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933 1 erinnert, steht: “Das Konzept des Intellektuellen als Sozialfigur hat in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt Eingang gefunden in sozial- und geisteswissenschaftliche Forschungen.” Ein Blick in einschlägige Bibliographien genügt , um einer solchen Feststellung zu widersprechen. Die Arbeiten aus den 90er Jahren von G. Hübinger, W. Mommsen, M. Gangl, G. Raulet, W. Bialas u.a., die in einer Fußnote angegeben werden, rechtfertigen allenfalls die von den beiden Herausgebern beabsichtigte Fokussierung des Themas auf die Frage “ob und in welcher Weise Intellektuelle zur Konstituierung kollektiver Verhaltensdispositionen und Deutungsmuster beigetragen haben.” Die Autoren des Vorworts geben sich alle Mühe, den Blick unnötigerweise einzuengen und den Leser auf eine Geschichte der Intellektuellen anhand vieler individueller Exempla (“akteurszentrierte Arbeiten zu Persönlichkeiten”) einzustimmen. Die Vielfalt der folgenden Artikel verlangt eine Einordnung, in “1. die sozialstrukturellen Entwicklungsbedingungen”, dann “2. die politische Generationszugehörigkeit” und schließlich “3. die informellen Gruppenbildungen”, dadurch wird deutlich, welche Mühen die Herausgeber hatten, die heterogene Sammlung der ihnen vorliegenden Aufsätze in eine gewisse Ordnung zu zwängen, die im Ergebnis keineswegs überzeugt. Immerhin wird im Vorwort auch eine historische Dimension mit der Figur des “Mandarin im Wilhelminischen Kaiserreich” gestreift oder des “kulturellen Mittlers zwischen zwei Nationen (z.B. Diestelbarth und Bertaux)”, womit der erste Satz dieses Vorworts noch einmal in Frage gestellt wird.

Im ersten Teil wird mit einem Aufsatz von Michel Trebitsch über die Geschichte der Intellektuellenforschung in Frankreich eine Perspektive aber nur im Rahmen eines Literaturberichts vorgegeben. Er referiert die Arbeiten von Jean-François Sirinelli, dessen Arbeiten von Pierre Bourdieu einer Analyse intellektueller Milieus ergänzt wurden. Seine Schüler wie Christophe Charle konzentrieren sich auf Untersuchungen hinsichtlich des Grads an Autonomie der Intellektuellen, die von anderen wie Jean-Louis Fabiani auf die Untersuchung von Institutionen ausgeweitet werden. Trebitsch erinnert ausdrücklich an Sartre, der den Intellektuellen vor allem aufgrund seiner kritischen Funktion definierte und ihn als “Anderen” gegenüber dem Staat, der Macht und überhaupt jeder Orthodoxie beschrieb. Mit seiner Bemerkung über Sartre hat Trebitsch wohltuend und ausdrücklich zu Protokoll gegeben, daß für die Theorie ein kaum mehr als 100 Seiten langes Buch wie das Plaidoyer pour les intellectuels 2 von Sartre genügt, und damit hat er den Unterschied zwischen einer biographischen Annäherung aufgrund von Einzelschicksalen und einer Theorie des Intellektuellen hinreichend deutlich gemacht.

Die folgenden Aufsätze des ersten Teils dieses Bandes referieren einzelne Positionen, die für sich genommen meist interessante Ausblicke bieten. Lothar Peter bezeichnet Pierre Bourdieu als “weder ‚totaler’ noch ‚spezifischer’ Intellektueller. Johannes Thomas berichtet unter dem Titel “Jacques Derrida – oder von der Undenkbarkeit eines notwendigen intellektuellen Engagements” über Derridas Amerikakritik und dessen Europakonzeption und begründet seine Einschätzungen mit einer Darstellung der Zeichentheorie Derridas und dessen Auseinandersetzung mit Husserl. Der Beitrag von Christoph Scheerer über die französische Wirtschaftstheorie hinsichtlich der Regulierung der Wirtschaft paßt nicht in den ersten Teil dieses Bandes, in dem noch Eike Henning eine Theorie politischer Kontingenz bei Max Weber und Carl Schmitt andeutet. Er beginnt bei Machiavellis Fürst und entwickelt eine historische Perspektive als Bestandteil einer Handlungstheorie. Machiavellis Trennung von Tugend und Moral ist später durch ideologische Orientierungen ersetzt worden: Mit einer Bemerkung deutet Henning die Überlegenheit Machiavellis an: “Il Principe ist ein Buch, das empirisch dem Verhalten politischer Akteure nachspürt.” Wieso empirisch? Machiavelli untersuchte historische Fakten, zog seine Schlüsse, beschrieb die Auswirkungen der politischen Fehler seiner Zeit und begründete die politischen Wissenschaften. 3 Max Weber gilt bei Henning als Antipode zu Schmitt. Der Beitrag über Pop-Stars und “Vor-Ort-Intellektuelle” von Dietmar Hüser erscheint im ersten Teil etwas unvermittelt, zeigt aber einen interessanten Ausblick auf die Texte der Rapper: “Die meisten Texter sind bestrebt, mit Wörtern als Waffen authentische Straßenliteratur vorzulegen.” Robert Picht berichtet, wie er zusammen mit Hans Manfred Bock als DAAD Lektoren Anfang der siebziger Jahre aktiv an der Veränderung der französischen Deutschland-Studien beteiligt war und wie sie diese Erfahrungen nach ihrer Rückkehr auf Deutschland übertrugen, um die Frankreich-Studien in Deutschland durch Kooperation und interdisziplinäre Ansätze neu zu gestalten. Picht, der lange Jahre Leiter der Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg war, zeigt, wie die verstärkte Interaktion zwischen beiden Ländern notwendigerweise in ein “Stück europäische Öffentlichkeit” mündete.

Der 2. Teil “Der Intellektuelle und der Mandarin seiner Zeit” enthält Aufsätze wie der von Niels Beckenbach über die 1968er Bewegung, über Institutionen, wie der von Nicole Racine über Anne-Heurgon-Desjardins und die Dekaden von Cerisy 4, und von Detlev Sack über Renate Mayntz, Fritz Scharpf (Max-Planck-Institut für Sozialforschung in Köln) sowie viele biographische Artikel über u.a. über Botho Strauß, Lucien Lévy-Bruhl, Arnold Zweig, Benno Reifenberg und die Frankfurter Zeitung, Benedetto Croce, Jorge Semprún. Kaum einer der hier vorgestellten Autoren paßt nicht in diesen Teil des Buches; dennoch ist es ein rechtes Durcheinander in zeitlicher und thematischer Hinsicht, das hier dem Leser zugemutet wird. Eine Auswahl der genannten Personen, die stellvertretend für andere eine bestimmten Typus des Engagements repräsentieren, hätte dem Thema und dem Anliegen dieses Buches viel mehr genutzt.

Der 3. Teil ändert die Perspektive und rückt “Intellektuelle und Mittler im deutsch-französischen Spannungsfeld” in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und verrät so auch das Anliegen, des Bandes, der sich im wesentlichen auf die deutsch-französische Geschichte beschränkt. Hansgerd Schulte erinnert an Joseph Rovan (1914-2004) und dessen außerordentliche Verdienste für die deutsch-französische Kooperation in Europa. Weitere Aufsätze untersuchen das Engagement u.a. von Gilbert Ziebura, Edmond Vermeil, Eugen Ewig, Theodor Heuss, Klaus Mann, Heinrich Mann, Felix Bertaux und und Hermann Hesse. Auch hier die gleiche Vielfalt wie im zweiten Teil, die die Bezüge zwischen den Aufsätzen missen lässt, und den Leser enttäuscht zurücklässt.

Die Wirkung intellektuellen Engagements wurde keinesfalls erst zu Beginn der 90er Jahre entdeckt. Wenn Ulrich Pfeil in seinem Beitrag über Eugen Ewig an Ernst Robert Curtius und dessen Band “Deutscher Geist Gefahr” (Berlin 1932) erinnert, so müsste an dieser Stelle auch Karl Mannheim erwähnt werden, wodurch die Bedeutung intellektueller Auseinandersetzungen erst so recht verdeutlicht wird. Dirk Hoeges hat in seiner Untersuchung Kontroverse am Abgrund. Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim 5 schon auf Intellektuelle und ‚freischwebende Intelligenz’ in der Weimarer Republik hingewiesen und mehr als deutlich gemacht, dass Intellektuelle, zu denen auch Curtius gehörte, sich sehr wohl einzumischen wussten. Er und Mannheim haben keinesfalls Gelegenheitsschriften verfaßt. Ihrem Engagement und auch ihrer Gegnerschaft zur beginnenden Diktatur in Deutschland lag eine Theorie des Intellektuellen zugrunde (Cf. Hoeges, op. cit., S. 187 ff.), die die hier zu besprechende Festschrift nicht einmal zwischen den Zeilen auch nur erahnen lässt. Es wird die These aufgestellt, dass diese Theorie erst in den 90er Jahren allmählich formuliert wird, und weil dem keinesfalls so ist, fühlt sich der Leser hier zu Recht mehr als irritiert. Die Rolle der Intellektuellen nahm aber auch andere Züge an, die mit dem Aufsatz Die wahre Leidenschaft des 20. Jahrhunderts ist die Knechtschaft (Camus). Die Nationalintellektuellen contra Menschen- und Bürgerrechte. Ernst Jünger, Martin Heidegger, Carl Schmitt 6 verdeutlicht wird. Manche Intellektuelle begaben sich in Abhängigkeiten oder gar Komplizenschaften, wenn auch nur temporär, in jedem Fall ist die Geschichte der Intellektuellen nicht in bloßen Lebensläufen abzuhandeln. Auch Sartre schien solchen Versuchungen nachgeben zu wollen, bis er sich dann aber doch wieder auf die Unabhängigkeit des Intellektuellen besann.

Solche Ansätze, die eine gründliche Analyse der Geschichte der Intellektuellen in diesem Jahrhundert bieten würden, blendet dieser Band aus. Zwar läßt der Titel und der Umfang des vorliegenden Buches eine umfassende Theorie des Intellektuellen vermuten; er enhält aber nicht mehr als eine Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen in Lebensläufen. Das Ergebnis ist enttäuschend, da wichtige Arbeiten zu diesem Thema nicht genannt werden. 7 Und außerdem: Intellektuelle gibt es nicht erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Weltgeschichte weist genügend Namen von Rang auf, die eine solche Verengung des Blicks keineswegs rechtfertigen, wie dies erst kürzlich beispielsweise in der Festschrift für Dirk Hoeges 8 demonstriert worden ist. Das Bewusstsein der Unabhängigkeit durch die eigene Literatur und das intellektuelle Engagement, das sich als ein roter Faden durch die Literaturgeschichte zieht, war den Autoren von Bernardo Machiavelli, über Luigi Alamanni, Condorcet, Achille Murat, Jacques Maritain bis Camus und Sartre bewußt und selbstverständlich. In diesem Sinne kann es nicht angehen, daß auf einmal ein neuer Begriff erfunden wird, der die Entdeckung des Intellektuellen als Ereignis feiert. Der “zivilgeschichtliche Akteur” (F. Beilecke) ist als Bezeichnung neu, aber die Schriftsteller, die das Ancien Régime zu Fall gebracht haben, hat es schon früher gegeben. Und es ist nicht sicher, dass heutige Intellektuelle es verdienen, ein “fait social” genannt zu werden, wie Beilecke die “Sozialfigur bezeichnet, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in allen Gesellschaften westlicher Prägung in Erscheinung getreten ist.” Davor nannte man sie Schriftsteller und Philosophen, die sich in die Politik einmischten oder durch ihre Werke gesellschaftliche Entwicklungslinien vorzeichneten, und die heutigen “Sozialfiguren” in ihrem Anspruch als Intellektuelle nicht nachstanden, sondern eher überlegen waren.

Die bloße Mitwirkung bei der Gründung binationaler Einrichtungen, wie Beilecke dies vorträgt, genügt indes noch nicht, um der Erkundung der “politischen Handlungsspielräume” ein besonders wissenschaftliches Interesses an einem Ausbau der Netzwerkforschung zuzugestehen. Alle Definitionsversuche, die die Intellektuellen in erster Linie in ein Netzwerk einbinden möchten, entdecken früher oder später, daß die historischen Bezügen ihr wesentliches Netzwerk sind, um sich in der Literatur und in der Politik ihrer Zeit Gehör und Stimme zu verschaffen. Dabei geht es um die Verantwortung des Intellektuellen, die Jean-Paul Sartre 1946 in dem Aufsatz “Ecrire pour son époque9 eindeutig gekennzeichnet hat: Der Künstler und damit ist auch der Intellektuelle gemeint, muß darauf achten, daß sein Werk ausdrücklich als eine Waffe im Kampf, den die Menschen gegen das Übel führen verstanden werde (S. 671). Was von ihm bleibt, ist die Art und Weise, wie er welche Wahl in seiner Zeit getroffen hat, um diese zu überschreiten. Sartre hat das Maß für das Wirken des Schriftstellers und damit der Intellektuellen sehr deutlich formuliert: “…solange seine Bücher Wut, Unbehaglichkeit, Hass, Liebe provozieren, wird er leben, auch wenn er nur noch ein Schatten ist.” 10 Der Abschnitt wird hier zitiert, um eine Dimension aufzuzeigen, die der vorliegende Band nur am Rande streift, ja eigentlich unterschlägt. Es geht nicht um die Taten, es geht um die moralischen und ethischen Implikationen, die das Handeln der Intellektuellen bestimmen, und die dem theoretischen Teil dieser Festschrift einen roten Faden hätten geben können, den die Herausgeber nicht ausrollen.

Für eine solche Theorie gibt es heute wahrlich genug Gründe, zu denen ein ganzer Themenbogen gehört von Europa, über das Thema Krieg und Literatur, die Intellektuellen und der Zustand der Universitäten in Deutschland, die Folgen der Globalisierung, wobei hier nicht die Kritik am üblichen Gerede über dieses Thema gemeint ist, sondern das was Geisteswissenschaftler und Intellektuelle dazu sagen könnten.

Reinhart Meyer-Kalkus erinnert im dritten Teil unter dem Titel an “Die Gärten Epikurs in Sanssouci – Französische Epikureer und Materialisten am Hofe Friedrichs II. von Preußen” und damit an die deutsch-französischen Kulturbeziehungen im 18. Jahr-hundert. Sein Aufsatz hätte im ersten Teil dieses Buches dazu beigetragen, die notwendige historische Perspektive für alle Autoren dieses Bandes weit zu öffnen. Eva Sabine Kuntz berichtet schließlich über “Deutsche und französische Jugendliche” und deren Begegnungsmöglichkeiten von heute. Joachim Umlauf stellt das Lektorenprogramm des DAAD vor. Damit wird ein nützlicher Ausblick auf die Vermittlertätigkeit gegeben, als Fazit dieses Bandes reicht das aber nicht aus.

Heiner Wittmann
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1. Ringer, F. K., Die Gelehrten, Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933, Stuttgart 1987.
2. Sartre, J.-P.,Plaidoyer pour les intellectuels. Première conférence. Qu’est-ce qu’un intellectuel? [Trois conférences données à Tokyo et Kyoto en septembre et octobre 1965], in: ders. Situations, VIII, autour de 68, Paris 1972,., S. 375-400; Deuxième conférence. Fonction de l’intellectuel, S. 400-430; Troisième conférence. L’écrivain est-il un intellectuel? S. 430-455. – Weitere, z.T. schwer zugängliche Texte Sartres zum Thema des Intellektuellen sind zusammen in der deutschen Ausgabe erschienen: Plädoyer für die Intellektuellen. Interviews, Ar-tikel und Reden 1950 – 1973 (Übs. H. v. Born-Pilsach,  E. Groepler, T. König, I. Reblitz, V. v. Wroblewsky), in: ders. Gesammelte Werke in Einzelausgaben  (Hrsg. V. v. Wroblewsky), Politische Schriften, Band 6, Reinbek bei Hamburg 1995.
3. D. Hoeges, Niccolò Machiavelli. Die Macht und der Schein, München 2000.
4. Cf. “Sartre. Littérature et engagement”, Décade in Cerisy-la-Salle unter der Leitung von M. Rybalka  und M. Sicard, 20.-30. Juli 2005 :
5. Cf. Hoeges, D., Kontroverse am Abgrund: Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim. Intellektuelle und “freischwebende Intelligenz” in der Weimarer Republik, Frankfurt/M. 1994.
6. Hoeges, D., Die wahre Leidenschaft des 20. Jahrhunderts ist die Knechtschaft (Camus). Die Nationalintellektuellen contra Menschen- und Bürgerrechte. Ernst Jünger, Martin Heidegger, Carl  Schmitt, in: W. Bialas, G. I. Iggers, (Hrsg.), Intellektuelle in der Weimarer Republik [Schriften zur politischen Kultur der Weimarer Republik, Band 1], Frankfurt/M. u.a. 1996, (91-104).
7. Cf. Gipper, A., Der Intellektuelle. Konzeption und Selbstverständnis schriftstellerischer Intelligenz in Frankreich und Italien 1918-1930, Stuttgart 1992. Cf. jetzt auch: Buß, M., Intellektuelles  Selbstverständnis und Totalitarismus Denis de Rougemont und Max Rychner – zwei Europäer der Zwischenkriegszeit, Reihe: Dialoghi / Dialogues Band 8, Frankfurt/M. 2005.
8. Rohwetter, C., Slavuljica, M., Wittmann, H., (Hrsg.), Literarische Autonomie und intellektuelles Engagement, Der Beitrag der französischen und italienischen Literatur zur europäischen Geschichte (15.-20. Jh.) Festschrift für Dirk Hoeges zum 60. Geburtstag, Peter Lang, Frankfurt/ M. 2004, darin auch: Buß. M., Intellektuelle und Politik. Deutsch-französische Lernprozesse im 20. Jahrhundert, S. 327-346.
9. J.-P. Sartre, Ecrire pour son époque, in : M. Contat, M. Rybalka, Les écrits de Sartre. Chronologie. Bibliographie commentée, Paris 1970, p. 670-676. Cf. H. Wittmann, L’intellectuel est un suspect, [Vortrag bei der Tagung der Deutschen Sartre-Gesellschaft 1989 im Kloster Walberberg] in: R. E.Zimmermann, Hrsg., Sartre. Jahrbuch Eins, Münster 1991, S. 66-84, wieder abgedruckt in: ders.,  Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert, Tübingen 1996, S. 165-180.
10. Sartre, loc. cit., S. 676, übers. v. Vf.

Lexikon: Frankreich erklären

Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fekl, Siegfried Loewe
und Fritz Taubert
Frankreich-Lexikon
Jetzt auch in einer broschierten Ausgabe
Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen, Erich Schmidt Verlag
2., überarbeitete Auflage 2005, 1224 Seiten, 15,8 x 23,5 cm,
fester Einband, ISBN: 3-503-06184-3

Das Frankreich-Lexikon von Bernhard Schmidt (u.a.) ist in einer zweiten Auflage erschienen. Auf rund 1200 Seiten werden mit rund 600 Artikeln alle bedeutenden Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als Schwerpunkte dieses Bandes behandelt. Der Aufbau dieses Lexikons, sein möglicher Adressatenkreis und seine inhaltliche Vielfalt bestimmen die Konzeption dieses Bandes.

Der Aufbau
Ein Sachregister mit französischen Begriffen und ein Register mit deutsch- und anderssprachigen Begriffen erläutern die Grundidee des Lexikons. Der Schwerpunkt liegt auf der Erklärung Frankreich-spezifischer Besonderheiten (von Abolition des privilèges über Cohabitation, Décentralisation, Grandes écoles, Réformes de l’enseignement bis ZEP), das zweite Register erschließt Begriffe, die im Vergleich zu ihrem Verständnis in Deutschland mit ihren französischen Besonderheiten erläutert werden. Auf diese Weise leistet der vorliegende Band einen sehr nützlichen Beitrag zum Verständnis der beiderseitigen Beziehungen. (s. auch die Auswahlbibliographie, die einen eigenen Abschnitt mit Veröffentlichungen zu den deutsch-französischen Beziehungen enthält: S. 1078-1082) Viele Organisationen, die im beiderseitigen Verhältnis als Akteure auftreten, werden genannt: Deutsch-französischer Kulturrat, Deutsch-französische Hochschule, CIRAC – Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine, Deutsch-französische Brigade, Deutsch-französisches Jugendwerk (DFJW) – Office franco-allemand de la jeunesse: “Es hat sich – neben dem Konsultations-Abkommen – auch als stabilstes Element des Vertrags von 1963 erwiesen.”, S. 948. Dem deutsch-französischen Vertrag von 1963 werden fünf Seiten gewidmet. In seiner Würdigung dieses Vertrages heißt es trotz eines positiven Gesamtergebnisses dieses Vertrages, ” … klaffen gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik, Deklarationen und Realitäten weit auseinander.” (Walther Fekl, S. 950) Die “wechselseitige(…) Einschätzung der beiden Völker” hat sich seit 1963 sehr positiv entwickelt. “Die vom Elysée-Vertrag geschaffenen Institutionen, insbesondere das OFAJ, haben dazu beigetragen.” (ib.) Ein Artikel über den Sprachunterricht in Frankreich (im Vergleich mit Deutschland) hätte den Autoren dieses Bandes die Möglichkeit eröffnet, auf die lange Jahre andauernden eklatanten Mängel (Vgl. dazu: Ingo Kolboom: Was wird aus der Sonderbeziehung? (*.pdf), in: Dokumente, Heft 3, Juni 2000, S. 207-214) gerade in den beiderseitigen kulturellen und bildungspolitischen Beziehungen hinzuweisen, die erst jüngst ganz allmählich, eher halbherzig in den Blick der Regierungen rücken.

Inhaltliche Vielfalt
Interessenten können sich mit diesem Band sachgerecht in kurzer Zeit z.B. einen ausgewogenen Überblick über die Entwicklung der französischen Parteien (Partis politiques, und die Artikel über die einzelnen Parteien, und Gesetz über die Parteienfinanzieung: Loi sur le financement des partis) verschaffen, die historischen Grundlagen der Fünften Republik, wie über viele spezifische Themen der französischen Politik (u.a. ein Artikel Centralisation fehlt > Décentralisation, CSA, Intercommunalité, Laïcité, PAC, SMIC) die zum Verständnis diese Landes unverzichtbar sind. Im Artikel Documents- Revue des questions allemandes hätte die Schwesterzeitschrift Dokumente – Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog unbedingt genannt werden müssen. Sie wird aber in der Auswahlbibliographie unter “Laufende Publikationen” (S. 1069) und im Artikel BILD – Bureau international de liaison et de documentation genannt. Leider wird das Deutsch-französische Institut in Ludwigsburg nicht genannt, das als Anlaufstelle für Frankreich-Interessierte eine wichtige Rolle im beiderseitigen Verhältnis hat.

Lexikonartikel müssen immer auf die Einhaltung bestimmter editorischer Regeln und auf einen Umfang achten, der dem Leser die versprochene schnelle Information gemäß des anvisierten Konzepts auch wirklich vermittelt. Die Autoren müssen oft ihr jeweiliges Spezialthema in aller Kürze darstellen. Es wird daher ihren Lesern leichtfallen, immer mal wieder auf Lücken hinzuweisen. Allerdings schleichen sich oft Bewertungen ein, die durch die Knappheit der Artikel verständlicherweise gefördert werden, aber eigentlich vermieden werden sollten: Camus’ Werk im Artikel Existentialisme als “eher pessimistisch” (S. 375) zu charakterisieren ist eine Auffassung, die als Summe des Werks von Camus nicht unwidersprochen bleiben darf.

Eine Zeittafel mit der sinnvollen Verknüpfung in Form der Hinweise auf die dazugehörigen Artikel, eine Liste mit Internet-Adressen, bei denen ebenfalls die Hinweise auf entsprechende Artikel erscheinen, eine von Siegfried Loewe erstellte Auswahlbibliographie (30 S.) und ein Personenregister ergänzen den Band, erschließen ihn und geben nützliche Anregungen und Ausblicke. Das Fehlen eines Hinweises auf die Website Romanistik im Internet ist nicht unbedingt ein Manko angesichts der Vielfalt der Angebote, mit denen sich Interessierte im Internet über Frankreich informieren können. Die im Frankreich Lexikon versprochenen weiteren Informationen (S. 4) unter esv.info/3 503 06184 3 enthalten künftig vielleicht die notwendigen Ergänzungen zu diesem Band.

Besonders interessant sind die zahlreichen Artikel über alle Medien und Verlage in Frankreich, die neben ihrem heutigen Einfluß und deren geschichtliche Entwicklung knapp aber einprägsam umreißen. Das ist ein Vorteil der zweiten Auflage, die sich auf ein solides Fundament beziehen kann. Zusammen mit vielen Artikeln zu Wirtschaftsthemen und französischen Unternehmen ist dieses Lexikon auch für alle sehr gut geeignet, die sich auf einen Dialog mit französischen Geschäftspartnern vorbereiten wollen. Die Themenbreite wird in diesem Band durch viele Artikel mit kulturellen und historischen Inhalten ergänzt: Chanson française, S: 166-172), Festivals, – im Artikel Intellectuels hätte ein Hinweis auf Sartres Plaidoyer pour les intellectuels (1965) erscheinen müssen -, Nouveaux philosophes, Nouvelle vague, Prix littéraires, RAP, Structuralisme, zur Geschichte u.a. zur Révolution française (S. 839-854) Viele Artikel zum französischen Bildungswesen, einschließlich der Darstellung zahlreicher Institute, Universitäten und Grandes écoles bestimmen die Vielfalt dieses Bandes.

Der mögliche Adressatenkreis
Der Band vermittelt Frankreich-Neulingen interessante Kenntnisse und zeigt auch denjenigen, die schon mit Fankreich vertraut sind, wichtige Zusammenhänge auf. Ein historisches Gerüst, ein Faktenwissen, ein Verständnis politischer Entscheidungen und somit eine Phantasie hinsichtlich möglicher Entwicklungen der deutsch-französischen Beziehungen, für die sich ein Engagement lohnt, ist unverzichtbar. Viele politische Verantwortliche wohl auf beiden Seiten vernachlässigen oft zugunsten kurzsichtiger tagespolitischer oder parteipolitischer Interessen, bestimmte Chancen, um den beiderseitigen Beziehungen das Gewicht wiederzuverleihen, das die Zivilgesellschaft ihnen täglich gewährt, ohne dafür stets die notwendige politische Unterstützung zu erhalten. Viele wichtige Initiativen in der EU hatten ihren Ursprung im deutsch-französischen Dialog, der auf einer immer besseren Kenntnis voneinander beruhte. Wenn dieses Gespann sich immer häufiger verspricht, künftig immer enger zusammenarbeiten zu wollen, ohne entsprechende Taten auch wirklich folgen zu lassen, ist dies ein Hinweis auf solch kurzfristige tagespolitische Interessen, die oft einer sachgerechten Überprüfung nicht standhalten. Genauso wie ein öffentlicher Dialog in Deutschland (noch nicht) oder mit Frankreich über die EU-Verfassung nicht zu erkennen ist, sind effektive deutsch-französische Initiativen zugunsten Europas nicht in Sichtweite. Ein eigener Eintrag Frankreich und die Europäische Union hätte Interessierten zu diesem Thema die Haltung Frankreichs aufzeigen können. In dem vorliegenden Band werden Informationen zu diesem Thema in über 20 verschiedenen Artikeln angeboten, in denen die EU meist nur beiläufig erwähnt wird. Ebenso fehlt laut Register auch ein Hinweis auf den europäischen Verfassungsentwurf. Die historische Entwicklung wird in den Artikeln Cinquième République (EWG, S. 184), PAC – Politique agricole commune, Traité de Mastricht, u.a. dargestellt. Die Gestaltung der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist Grundlagenarbeit, wie die jüngst begonnene Entwicklung des deutsch-französischen Geschichtsbuches zeigt. Für diese beharrliche und notwendige Arbeit der Aufklärung und Einsicht in die von vielen ungeahnten Möglichkeiten, die die Beschäftigung mit Frankreich eröffnet, liefert das Frankreich-Lexikon eine gute Basis.

Heiner Wittmann

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